Intertrading-Skandal: Als der gesamte Voest-Vorstand zurücktrat

Der ehemalige Voest-Chef Heribert Apfalter.
Der ehemalige Voest-Chef Heribert Apfalter.(c) Die Presse Archiv
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Am 26. November 1985 trat die Spitze des heimischen Stahlkonzerns Voest-Alpine zurück und löste ein innenpolitisches Erdbeben aus.

1984 wird er vom Magazin "Trend" noch als "Manager des Jahres" gefeiert. Doch nur ein Jahr später, am 26. November 1985, muss Voest-Generaldirektor Heribert Apfalter zurücktreten - und mit ihm der gesamte Vorstand des Unternehmens. Der Grund: Die Voest-Handelstochter Intertrading hat nach missglückten Öl-Spekulationsgeschäften einen Rekordverlust von 4,2 Milliarden Schilling (305 Millionen Euro) angehäuft.

Zwar stellen bereits im Herbst 1984 sowohl der damalige Verstaatlichten-Minister Ferdinand Lacina (SPÖ), die Verstaatlichten-Holding ÖIAG und die Aufsichtsräte des Unternehmens angesichts der rasanten Aufwärtsentwicklung der Intertrading Fragen, doch der eloquente Apfalter weiß zu beruhigen. Bei einem Umsatz von 100 Milliarden sei das Risiko aus dem Ölgeschäft mit 400 Millionen Schilling begrenzt, erklärt er. Da zudem Kauf und Verkauf simultan erfolgen würden, sei das Risiko gering. Lacina wird in dem Zusammenhang später sagen, von den Managern getäuscht und hintergangen worden zu sein.

"Mit dem Regierungshütl"

Gernot Preschern,
Gernot Preschern, "Hans-Dampf-in-allen-Gassen".(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)

Die Intertrading war 1978 zur Abwicklung von Gegengeschäften für Voest-Exporte in Länder des Warschauer Pakts gegründet worden. Der Einstieg ins Erdölgeschäft verläuft ursprünglich harmlos. Ende der 1970er Jahre liefert die Intertrading Lebensmittel und wird dafür vom devisenschwachen Khomeini-Regime mit Öllieferungen bezahlt. 

Mit Intertrading-Chef Gernot Preschern, von seinen Mitarbeitern nur "Pre" genannt, brechen andere Zeiten an. Er geht mit den Ölgeschäften, die für den eigenen Gebrauch nicht benötigt werden, "raus auf die Märkte, rein ins Risiko". Das ist das Motto von Preschern, der stets das Bild eines ärmelaufkrempelnden Managers pflegt. Er hat kein Problem damit, "mit dem Regierungshütl" aufzutreten, um an Kredite zu kommen.

Die Intertrading boomt. 1982 macht sie 7,5 Milliarden Schilling Umsatz, ein Drittel davon aus Ölgeschäften. Ein Jahr darauf hat sich der Umsatz auf 31 Milliarden vervierfacht, der Umsatz mit Öl hat sich gar verzehnfacht. 1984 beläuft sich der Umsatz auf 108 Milliarden, 90 Milliarden Schilling gehen auf Ölgeschäfte zurück. 1985 machen die Ölgeschäfte erneut den Hauptteil des Umsatzes von 160 Milliarden aus.

Voest-Chef Apfalter und Intertrading-Chef Preschern glauben, das große Geld machen zu können. Abgekoppelt von jeglichen Warengeschäften beginnen sie nach und nach wie Spekulanten Öl in Form von Papiergeschäften und Leerverkäufen zu handeln. Es wird also Öl verkauft, das man gar nicht besitzt. Preschern wettet auf sinkende Ölpreise, doch die Preise steigen und bescheren der Intrading Riesenverluste.

Auch der neue Voest-Chef hat kein Glück

Als Preschern Ende Oktober 1985 Voest-Finanzchef Alfred Koch darüber und über drohende Verlust in der Höhe von weiteren zwei Milliarden Schilling informiert und - in der Hoffnung, die Verluste durch endlich sinkende Ölpreise minimieren zu können - für eine Verlängerung der Termine der Öllieferungen um weitere Garantien bittet, fliegt die Affäre auf. Am 6. November wird eine Krisensitzung einberufen, bei der Koch Prescherns Ansuchen ablehnt. Ihm ist das Risiko zu hoch. Dadurch wird der Verlust allerdings realisiert. Apfalter muss am 19. November die ÖIAG informieren. ÖIAG-Chef Oskar Grünwald ruft daraufhin den zuständigen Minister Lacina an. Nach Rücksprache mit Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) erwirkt Lacina den Rücktritt des gesamten Voest-Vorstands, der bei einer Pressekonferenz am 26. November bekannt gegeben wird.

Chemie-Linz-Generaldirektor Richard Kirchweger wird zum neuen Voest-Chef ernannt. Auch diese Entscheidung entpuppt sich schon bald als Fehler. Denn als um die Jahreswende 1985/86 bekannt wird, dass auch Merx, die Handelstochter der Chemie Linz, verlustreiche Ölgeschäfte betrieben hat, ist Kirchweger nicht länger haltbar. Am 14. Februar 1986 muss auch er zurücktreten. Erstmals tauchen zu diesem Zeitpunkt zudem - heftig dementierte - Gerüchte über illegalen Waffengeschäfte der Voest mit dem Iran auf. Diese werden sich schließlich bewahrheiten.

Preschern flüchtet ins Ausland

Der medienwirksame Intertrading-Skandal deckt strukturelle Probleme zu. Die Voest, die seit Jahren Zuschüsse in Milliardenhöhe erhält, fährt 1985 einen Rekordverlust von 11,8 Milliarden Schilling ein - die Verluste aus den Ölspekulationen machen also nur einen Teil aus.

Die Verluste der Intertrading seien "spektakulär und medial aufregend" gewesen, schreibt später der damalige Voest-Pressesprecher Franz Summer in einem Kommentar in den Oberösterreichischen Nachrichten. Aber sie seien "nur der Zündfunke zur Explosion der bereits längst völlig ausgehöhlten Unternehmenssubstanz und der politisch schon durch Kreisky verursachten De-facto-Unführbarkeit" gewesen. Dass Prescherns Kompagnon "eine weitere Milliarde Schilling bei den realen Geschäften von Maschinen, Fremdstahl, Textilien usw. verloren hatte, blieb unter dem Teppich."

Gernot Preschern, nach der Enthaftung, mit seiner Gattin Sabine, einer ehemaligen Intertrading-Mitarbeiterin.
Gernot Preschern, nach der Enthaftung, mit seiner Gattin Sabine, einer ehemaligen Intertrading-Mitarbeiterin.(c) Die Presse Archiv

Gernot Preschern flüchtet ins Ausland, wird aber Ende 1986 gefasst. Er wird wegen fahrlässiger Krida und Untreue angeklagt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er Provisionszahlungen auf eigene Konten umleitete. Durch Interviews mit ihm werden aber letztlich die Waffenlieferungen publik und zu einem weiteren Fall für die Justiz. Nach seiner Haftentlassung macht er sich selbständig, in Südafrika (wo er 2011 stirbt) etwa vertritt er jahrelang die Interessen der oberösterreichischen Firma Backaldrin.

Kanzler Fred Sinowatz soll später, nach seinem Rücktritt als SPÖ-Parteivorsitzender im März 1988, sagen, dass er sich politisch von dem Intertrading-Desaster nie erholt habe. Der Intertrading-Skandal stellt auch einen Wendepunkt in der österreichischen Wirtschaftspolitik dar. Der Großkonzern Voest-Alpine wird unter Führung von Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Lacina, der zum Finanzminister aufgestiegen ist, zerlegt. Die stufenweise Privatisierung wird eingeleitet.

(Red.)

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