Mongolenstürme: Die "Goldene Horde" erobert Kiew

Westteil der Goldenen Horde im späten 14. Jahrhundert
Westteil der Goldenen Horde im späten 14. Jahrhundert(c) Allgemeiner historischer Handatlas (Wikipedia)
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Vor 775 Jahren drangen die Nachfolger des gefürchteten Dschingis Khan gen Westen vor. Brutal brachten sie Städte in ihre Gewalt - und begründeten damit das größte zusammenhängende Herrschaftsgebiet der Weltgeschichte.

In der Nacht auf den 5. Dezember 1240 brannten in Kiew Häuser und Kirchen, einstürzende Gebäude begruben Männer, Frauen und Kinder unter sich. Der Grund für das Gemetzel waren „heidnische Völker aus dem Osten“, die die Stadt unter ihre Gewalt brachten – getrieben von Expansionslust. Hinter sich ließen sie eine Spur der Verwüstung, während ihr Blick sich weiter gen Westen richtete: Als nächstes sollte das Königreich Polen in die Hände der „Goldenen Horde“ fallen – einer Truppe von Kämpfern, „von denen man noch nie gehört hatte“, wie russische Chronisten dereinst niederschrieben. Und von denen nicht nur sie überrascht werden sollten.

Ein Schritt zurück: Um 1162 wurde Temüdschin, der spätere Dschingis Khan, als Sohn des mächtigen Herrschers Yesügei in der Mongolei geboren. Nachdem sein Vater durch Gift ermordet wurde, löste sich der durch diesen zusammengehaltene Bund mehrerer Clans auf. Temüdschin, seine Mutter und die Geschwister verloren den Besitz. Bald aber gelang es dem geschickten Taktiker, sich im Kampf hervorzutun. Er erhielt den Titel „Bewacher der westlichen Grenze“, zählte binnen kurzem zahlreiche Mongolen – von den Rus (ein Stamm der Ostslawen, heute wird der Begriff auch für das Gebiet, das Russland, die Ukraine und Weißrussland umfasst, verwendet) teils „Tataren“ genannt – zu seinem Gefolge, dem er brutal vorstand. Im Frühjahr 1206 riefen die Stämme Temüdschin zu ihrem obersten Anführer aus. Nun stand er einem Heer von mehr als 100.000 Männern vor und gab sich den Namen Dschingis Khan – „rechter“ bzw. „ozeangleicher Herrscher“.

Im Kampf setzte er auf eine leicht gepanzerte und sehr bewegliche Reiterei, die Prägnanz seiner Bogenschützen und die Disziplin seiner Krieger. Doch auch Bündnispolitik betrieb er gekonnt. So unterwarf er die Kirgisen und die Oyrad kampflos, um dann plündernd und mordend bis nach Peking zu ziehen. Seine Feldherren Dschebe und Sübütai wies er indes an, weiter nach Westen vorzudringen. 1226 schlug Dschingis Khan seine letzte Schlacht gegen die Tangut – ein Sturz vom Pferd wurde zu seinem Todesurteil. Als er im darauffolgenden Jahr seinen Verletzungen erlag, erstreckte sich sein Land im Osten bis an das Japanische Meer, im Westen bis zum Kaspischen Meer.

Eroberungsfeldzug gen Westen

Nach dem Tod des Mongolenherrschers verlor sich sein Reich zunächst in erbitterten Thronstreitigkeiten – bis sich sein dritter Sohn durchsetzen konnte. Ögedei Khan wurde 1229 zum Großkhan gewählt und setzte den Weg der Eroberungen fort. 1235 rief er den Kuriltai, eine Art Reichsversammlung, ein und beschloss einen großen Westfeldzug unter Führung von Batu Khan, auch genannt „Batu der Prächtige“ – einem Enkel Dschingis Khans und zu diesem Zeitpunkt Khan der von ihm gegründeten „Goldenen Horde“. In Europa sollten die nachfolgenden Jahre des Krieges und der Überfälle als „Mongolenstürme“ in den Geschichtsbüchern Widerhall finden.

Schon 1236 besiegten Batu Khans Truppen die Wolgabulgaren, die im Bereich von Wolga und Kama siedelten. Dann zog er gegen den russischen Großfürsten Jurij II. von Wladimir-Susdal in den Krieg. Bis 1239 hatte er sämtliche russischen Städte unter seine Macht gebracht - mit Ausnahme von Nowgorod. Seinen Kampfeshunger störte das wenig, 1240 setzte er sich ein neues Ziel: Kiew.

"Heulen der Menge, Brüllen der Kamele"

Batu Khan
Batu Khan(c) Vikiçizer / Wikipedia

Die Stadt wurde zu diesem Zeitpunkt von lediglich 1000 Soldaten verteidigt, ihr Fürst, Daniel von Halytsch-Wolodymyr, floh in den Westen. Die „Goldene Horde“ bot den Einwohnern an, die Stadt kampflos zu übergeben. Diese lehnten ab – und hielten sich standhaft. Mehrere Delegationen der Mongolen wurden hingerichtet. Am 28. November änderten die Nomaden ihre Taktik: Sie begannen, mit Katapulten die von Bäumen verdeckten Mauern der Stadt zu beschießen. Sieben Tage des Beschusses folgten, bis sie einstürzten und die Belagerer in das Innere der Stadt vordrangen. In einer alten Chronik des St. Michaelsklosters im Kiewer Rajon Schewtschenko heißt es dazu: „Im Jahr 1240 kam Batu nach Kiew, um die Stadt mit drückender Gewalt und mit einer großen Schar seiner Kräfte zu belagern.“ Unnachgiebig hätten die Truppen die Kreise um die Bewohner, die sich zu einem Großteil in der „Kirche des Zehnten“ zurückzogen, enger gezogen.

Am 5. Dezember holten die Mongolen zum finalen Schlag aus. In der russischen Chronik steht dazu: „Es war unmöglich, die Geräusche der knarrenden Karren zu hören, das Heulen der Menge, das Brüllen der Kamele und Rinder und sein (Batus, Anm.) Gelächter, als die russische Erde mit Feinden bedeckt wurde.“ Die „Goldene Horde“ rückte zu der Kirche vor. Während sie das Bauwerk angriff, brachen die von Menschen völlig überladenen Emporen zusammen und begruben etliche Stadtbewohner unter sich. Die Mongolen zeigten keine Milde: Nur etwa 2000 der rund 30.000 Einwohner der Stadt überlebten den Tag, fast alle Gebäude wurden niedergebrannt.

Die „Goldene Horde“, die ihren Namen aufgrund ihres Reichtums von den Rus erhalten haben dürfte (andere Quellen gehen indes davon aus, dass sich die Bezeichnung von der Zeltfarbe des Dynastie-Gründers ableitet), hielt sich mit den Ruinen nicht lange auf. Batu Khan trieb sein Gefolge weiter in Richtung Polen. Wie Mosaiksteine fielen zunächst Krakau und Liegnitz, am 11. April 1241 unterlagen die Ungarn unter König Bela IV. in der Schlacht bei Muhi. 1242 stieß die Horde bis Wiener Neustadt sowie Dubrovnik vor, bevor sie Thronstreitigkeiten zur Umkehr trieben.

Das Reich der Goldenen Horde im Jahr 1389
Das Reich der Goldenen Horde im Jahr 1389(c) Wikipedia

Nach Batu Khans Tod begann die Struktur der „Goldenen Horde“ langsam zu bröckeln. Innere Machtkämpfe dämpften die Schlagkraft der Krieger. 1380 besiegte der Großherzog von Moskau, Dmitri Donskoi, die „Goldene Horde“, die schließlich in die vier unabhängigen Khanate Astrachan, Kazan, Krim und Sibir zerfiel – und den Weg freiräumte für den Aufstieg des Moskowiterreiches.

Das Mongolische Reich

Um 1200 war es eine Hochebene nördlich der heutigen Volksrepublik China, in den folgenden zwei Jahrhunderten das größte zusammenhängende Herrschaftsgebiet der Weltgeschichte: Es waren rund 200.000 Nomaden, die sich im Mittelalter, ausgehend von der Mongolei über die angrenzenden Gebiete Nordchinas, Südrusslands und Ostkasachstans ausbreiteten und das „Mongolische Reich“ entstehen ließen. Kämpften die Naimanen, Keraiten, Merkiten, Tataren und Mongolen zunächst gegeneinander, erlangten unter Dschingis Khan (1155/1162–1227) die Mongolen die Übermacht, unterwarfen bis 1204 die übrigen Steppenvölker – und etablierten einen Staat. Jeder Krieger wurde, egal welchem Clan er angehörte, ins mongolische Heer integriert, eine einheitliche Schrift und Gesetz (Jassa) etabliert und die Hauptstadt Karakorum errichtet. Unter seinen Söhnen, Enkeln und weiteren Nachfolgern erreichte das Reich schließlich ein Ausmaß von 26.000.000 Quadratkilometern, in dem 100 Millionen Menschen lebten. Zu dem Gebiet zählten das Kaiserreich China, Korea, Khorassan (heute Teile Afghanistans und des Irans), Persien, Georgien, Armenien, Bulgarien, Ungarn, Russland sowie die dazwischen liegenden Länder.

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