Heute vor... im Jänner: Vororte haben von der Vereinigung mit Wien profitiert

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In den neuen Wiener Bezirken ist die Sterblichkeit gesunken.

Die Presse am 31.Jänner 1896

Die vielfachen Klagen, welche über die Vereinigung der Vororte mit Wien erhoben werden, erfahren durch den Stadtphysikatsbericht für die Jahre 1891 bis 1893 eine wirksame Widerlegung. Nach den Mitteilungen des Stadtphysikats haben sich die sanitären Verhältnisse der Vororte gerade in der Folge der bei der Vereinigung durchgeführten Sanierungsmaßregeln wesentlich gebessert, die Krankheits- und Todesfälle bedeutend vermindert. (...) Im Jahre 1892 war in den neuen Bezirken die Sterblichkeit um 6,13 per Tausend größer als bei den alten, im Jahre 1892 ist die Ziffer auf 5,33 per Tausend gesunken

Anmerkung: Am Dezember 1890 war die Eingemeindung von 34 Vororten und die Schaffung der Bezirke 11 bis 19 beschlossen worden, das Gesetz trat am 1.Jänner 1892 in Kraft.

Das Geheimnis des Wiener Kaffeehauses

Nur in Wien ist das Kaffeehaus zu Hause.

Neue Freie Presse am 30. Jänner 1926

Die ganze Welt kennt es, und doch - nur in Wien ist es zu Hause; es gehört zum Bilde dieser Stadt. Was ist das Geheimnis seines Erfolges? Ist es die Luft dieser schönen Stadt am Donaustrand, die sanft vom Wienerwald hereinstreicht, ist es die Freundlichkeit und Sorglosigkeit seiner Menschen, ist es die Behaglichkeit und das Kulturniveau des Wiener Kaffeehauses, das die Menschen dieser Stadt mehr als in jeder anderen hineinlockt?

Goldene Uniformen statt bürgerlicher Frack

Zum Hofburgball kamen alle, die Rang und Namen hatten – nur die Geistlichkeit schwächelte.

Neue Freie Presse am 29. Jänner 1886

In dem glänzend beleuchteten und mit Palmen und Azaleen herrlich geschmückten Zeremoniensaale der Hofburg hat heute Abend der Hofball stattgefunden. Derselbe glich in Bezug auf äußere Prachtentfaltung und die Gesellschaft, welche er vereinigt, allen ähnlichen Hoffesten. Von den Mitgliedern des Kaiserhauses besuchte heute zum erstenmale Erzherzogin Marie Valerie den Hofball. Die goldstrozenden Uniformen der Hof- und Staatswürdenträger drängten den bürgerlichen Frack mehr als auf dem vorjährigen Hofballe in den Hintergrund. Um 8 Uhr waren die Gäste des Kaisers vollständig versammelt; dieselben waren so zahlreich erschienen, daß der große Saal gedrängt voll war. Unter den Erschienenen befanden sich die am Wiener Hofe beglaubigten Botschafter und Gesandten, den italienischen Botschafter ausgenommen, sämmtliche Minister, der Präsident des Herrenhauses, Graf Trauttmansdorff, der Präsident des Abgeordnetenhauses, Dr. Smolka, sowie zahlreiche Mitglieder beider Häuser des Reichsrathes, die Leiter der obersten Staatsbehörden und zahlreiche Militärs. Die Geistlichkeit war schwach vertreten.

Zwei Prozent des Einkommens für die Miete

Der durchschnittliche Wohnungsaufwand ist in Wien gesunken.

Neue Freie Presse am 28. Jänner 1926

Das Bundesamt für Statistik hat Erhebungen über den gegenwärtigen Wohnungsaufwand in Wien veranstaltet, die zu dem Ergebnis führten, daß die durchschnittliche Zahl der Insassen einer Wohnung von vier auf drei und der Wohnaufwand von 20 Prozent auf 2 Prozent zurückgegangen ist. Im großen Durchschnitt werden gegenwärtig in Wien 17,11 Schilling für das Vierteljahr für eine Wohnung von Zimmer, Kabinett und Küche bezahlt. Diese Wohnung wird im Durchschnitt von drei Personen bewohnt. Das Einkommen eines solchen Haushalts wird mit 270 Schilling geschätzt, so daß auf den einzelnen im Monat ein Wohnungsaufwand von 5,7 Schilling entfällt. Daraus ergibt sich, daß der Aufwand für die Wohnung in Wien gegenwärtig etwa 2 Prozent des Einkommens ausmacht, das ist der zehnte Teil dessen,was vor dem Kriege normalerweise für den Wohnungsaufwand gerechnet worden war.

Die Kaiserin aus Marmor

Auch in der Nacht wird an dem Denkmal für Kaiserin Elisabeth gewerkt.

Neue Freie Presse am 27. Jänner 1906

Der Bildhauer Professor Hans Bitterlich hat das im Volksgarten im nächsten Frühjahr zu errichtende Kaiserin Elisabeth-Denkmal im Modell vollendet, und es wird nun an die Ausführung in Marmor geschritten werden. Mit dieser Arbeit wurde der akademische Bildhauer Friedrich Krill betraut, welcher, d es der Wunsch des Denkmalcomités ist, daß das Denkmal im Monate Mai d. F. Enthüllt werde, auch in der Nacht mit seinen Gehilfen an der Ausführung in Marmor arbeitet. (…) Der Blick der Kaiserin ist in die Ferne gerichtet. Die Hände liegen ausgestreckt auf dem Schoß, wobei die rechte in der linken ruht, respektive mit dem Daumen verschlungen ist.

"Presse" vs. "Neue Freie Presse"

Ein Wiener Zeitungskrieg. “Die Presse” schreibt über “eine merkwürdige Unabhängigkeit”.

"Die Presse" vom 26. Jänner 1866

Die Kölnische Zeitung brachte vor einigen Wochen in ziemlich zuversichtlichem Tone das Gerücht, die "Neue Freie Presse" sei in das Eigentum der österreichischen Regierung übergegangen. Viele Blätter des In- und Auslandes gaben dieser Mitteilung weitere Verbreitung, und das Publikum scheint dieselbe nicht sehr unglaubwürdig gefunden zu haben. Das junge Organ hat in der kurzen Zeit seines Daseins schon so Viele und so Vieles, namentlich auf volkswirtschaftlichem Gebiete, vertreten, dass es ihm weder an der nötigen Geübtheit, noch an gutem Willen fehlen konnte, auch in dieser Richtung seine Kräfte zu versuchen. Die auffallend schwache Abwehr, welche die Herausgeber der "Neuen Presse" dem erwähnten Gerüchte entgegensetzten, und die sie sonderbarerweise mit nichts Besserem zu kräftigen wussten, als dass Herr Konsul Friedland ihr "persönlicher Freund" sei, war gerade nicht dazu geeignet, den etwa erschütterten Glauben an ihre Charakterfestigkeit sehr zu stärken. Als nun das freie Blatt wiederholt, aber vielleicht ganz unabsichtlich, in einem nur den offiziösen Organen eigenen Tone gewisse Lehrmeinungen der Regierung vertrat, so erlaubten wir uns endlich die wohlgemeinte Bemerkung, dass eine wahrhaft unabhängige und unzweideutige Haltung weit besser als die heftigsten Klagen über "nichtswürdige Verleumdung" die von der Kölnischen Zeitung ausgestreuten Gerüchte zum Schweigen bringen würde.

Zum Lohne dafür überschüttet uns nun die "Neue Freie Presse" wieder in gewohnter Weise mit einer Flut von Scheltworten, welche bis jetzt das parlamentarische Bürgerrecht noch nicht erlangt haben. "Elende Motive", "Stupidität eines Harpagpo", "maßlos unverschämt nach Gassenjungenart", "Virtuosität der Gesinnungslosigkeit", "grenzenlose Dummheit" sind die hauptsächlichen Argumente, die uns heute von ihrer Unabhängigkeit überzeugen sollen (...).

Anmerkung: 1864 ging aus der "Presse" die "Neue Freie Presse" hervor, die zum Fahnenträger der neuen, antifeudalen, bürgerlich-kapitalistischen Eliten wurde. Die Chefredakteure Michael Etienne und Max Friedländer zogen so gut wie das gesamte Redaktionspersonal mit sich. "Presse"-Erfinder August Zang hatte den Zug der Zeit verpasst: Der krasse Egoist und Selfmademan, der zunehmend starrköpfig agierte und immer mehr in den Verdacht eines Korruptionisten geriet, wies den Wunsch der Redaktion nach besseren Arbeitsbedingungen und entsprechender Entlohnung kategorisch zurück.

Die neue Tageszeitung unterschied sich nicht nur redaktionell, sprachlich und stilistisch wenig von der "Presse", sondern sie sah sich auch in ihrer politischen Haltung in derselben Tradition: Sie vertrat jetzt als repräsentatives Blatt den vornehm großbürgerlichen Liberalismus mit einer betont österreichischen Linie. Die 1848 gegründete "Presse" hieß von diesem Zeitpunkt an im Volksmund nur mehr "die alte Presse".

Die eigentümliche Wirkung der Röntgenstrahlen 

In die Hände von Laien dürfen die energischen Strahlen nicht gelangen.

Neue Freie Presse am 25. Jänner 1906

Die letzte Sitzung der medizinischen Akademie in Paris brachte eine wichtige Debatte über Röntgenstrahlen: Professor Chauffard erstattete im Namen eines Comités Bericht über eigentümliche Wirkungen der Röntgenstrahlen auf den Organismus. Deutsche und französische Ärzte haben die Beobachtung gemacht, daß Tier,e welche durch längere Zeit den Röntgenstrahlen ausgesetzt werden, unfruchtbar sind – ein neuer Beweis für die energische Wirkung dieser Strahlen auf die lebende Zelle. Kaninchen, deren Körper längere Zeit den Strahlen ausgesetzt werden, gedeihen weiter, verlieren jedoch ihre sprichwörtliche Fruchtbarkeit. Chauffard warnte davor, daß Laien mit Röntgenstrahlen experimentieren, und war geneigt, die Beobachtungen an Kaninchen auch auf den Menschen zu beziehen und von einer „sozialen und nationalen Gefahr“ zu sprechen.

Wir haben bei Wiener Röntgenologen Erkundigungen über dieses Thema eingezogen und folgendes erfahren: Professor Schiff teilt uns mit, daß dieses Problem bereits den Berliner Röntgenkongreß im Vorjahre beschäftigt hat. Auf diesem Kongresse wurde auch beantragt, Laien das Experimentieren mit Röntgenstrahlen zu verbieten. Ein derartiges Verbot wäre sehr rationell; denn die Röntgenstrahlen sind mit einem stark wirkenden Medikament zu vergleichen, und sie können in der Hand eines Laien Schaden stiften.

Heute vor 90 Jahren: Ohrfeige im Salzburger Gemeinderat

Polit-Affäre vor Gericht: Vierzig Schilling Geldstrafe für eine Ohrfeige.

Neue Freie Presse am 24. Jänner 1926

Die Ohrfeigenaffäre im Salzburger Gemeinderat zwischen den Gemeinderäten Karl Czaika und Alexander Weidenhillinger hatte heute vor dem Berksgericht ihr Nachspiel. Wie gemeldet, hatte Weidenhillinger seinem Kollegen Czaika eine Ohrfeige versetzt, wofür der Geschlagene von dem Angreifer Abbitte, den Austritt aus dem Gemeinderat und einen Sühnebetrag von 500 Schilling und Kostenersatz verlangte. Dieses Verlangen wurde von Weidenhillinger abgelehnt und auch eine Besprechung im Gemeinderat führte zu keinem Ergebnis. So kam es zur heutigen Verhandlung, in der Bürgermeister Preis sowie mehrere Gemeinderäte als Zeugen auftraten. Weidenhillinger verantwortete sich damit, dass Czaika beleidigende Zwischenrufe gemacht habe und sich auf Witternigg habe stürzen wollen. Weidenhillinger wurde wegen Übertretung des Paragraf 469 StGB zu vierzig Schilling Geldstrafe verurteilt. Er behielt sich Bedenkzeit offen.

Heute vor 80 Jahren: Erinnerungen an König Georg

Die Neue Freie Presse würdigt den verstorbenen britischen König.

Neue Freie Presse am 23. Jänner 1936

Der König von England ist der mächtigste Herrscher der Welt, sein Reich das größte aller lebenden Monarchen. Es vereinigt die meisten Nationen, Rassen, Religionen unter seinem Zepter, seine Länder liegen verstreut über den Ganzen Erdball. Aber seine schriftlich verbrieften Rechte sind geringer als die des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika oder des Generalsekretärs des Rates der Volkskommissäre. Ist es nicht gerade deshalb erstaunlich, wie sehr Georg V., den England nun betrauert, dennoch das Werden um sich beeinflusste? Er hatte seine dekorative Stellung als lebendes Nationaldenkmal erst mit persönlichen Eigenschaften, im Wesen verwurzelter Kraft in sich ruhender Wirkungsfähigkeit erfüllen müssen, um sie hinauszuheben über den durch die Geburt allein gegebenen Rahmen eines Sinnbildes.

Die Franzosen als Sauerkrautesser

Der "Scherzname" der Franzosen für die Deutschen passt nicht mehr.

Neue Freie Presse am 22. Jänner 1916

Unter den Zahlreichen "Scherznamen", mit denen man in Frankreich schon im Frieden die Deutschen zu belegen liebte, spielte die Bezeichnung "Sauerkrautesser" bekanntermaßen eine häufige Rolle. Doch wie so vieles zur Friedenszeit Gebräuchliche umgeändert oder verschwunden ist, so steht auch das Wort Sauerkrautesser nicht mehr auf seinem eindeutigen Platze. Wenigstens behaupten dies die Franzosen selbst, denn der "Temps" stellt fest, daß Frankreich auf dem Gebiete der Sauerkrautherstellung Deutschland besiegt habe. Seit 1900, sagt das Pariser Blatt, wurde die Erzeugung von Sauerkraut in Frankreich auf 7 Millionen Kilogramm geschätzt. Seit 2 1/2 Jahren deckt Frankreich selbst 90 Prozent seines Sauerkrautbedarfs, während man früher alles Sauerkraut aus Deutschland bezog. Natürlich ist man in Frankreich nunmehr plötzlich zu ungeheurem Lob des Sauerkrautessens übergegangen, während man früher damit die "Unkultur" der Deutschen charakterisieren wollte.

Tod des Königs von England

König Georg V. war ein "Musterengländer".

Neue Freie Presse am 21. Jänner 1936

Das britische Empire hat einen schweren Verlust erlitten und zu dem Schmerz seiner über alle Erdteile verstreuten Völker gesellt sich die aufrichtige Trauer der ganzen Welt. König Georg V. hat seine Augen für immer geschlossen, nachdem es ihm noch im Frühling des vorigen Jahres vergönnt war, die glanzvollen Tage seines Regierungsjubiläums zu erleben und unzählige Beweise der Verehrung, der Liebe aus allen Zonen zu empfangen. Er wurde gefeiert wie nur je ein Monarch, aber hinter dem äußeren Prunk, hinter dem Zeremoniell verbarg sich eine warme Herzlichkeit, die den großartigen Veranstaltungen erst ihren vollen Zauber verlieh. (...)

König Georg hat es in unvergleichlicher Weise verstanden, die Macht des Herrschers zu erhöhen und fester denn je in den Herzen der Bevölkerung zu verankern. (...) Er war, wenn man das so sagen darf, ein Musterengländer, sowohl in der Sphäre seines Familienlebens wie auf dem Felde der königlichen Pflichterfüllung. Zwischen dem Privatmann und dem Träger der Krone gähnte keine Kluft, sondern es bestand vielmehr eine wohltuende und die Bevölkerung anheimelnde und fesselnde Übereinstimmung.

Die Lage in den K.u.k-Kriegesgefangenenlagern

Das Urteil eines Neutralen über unsere Gefangenenlager.

Neue Freie Presse am 20. Jänner 1916

Unlängst besichtigte eine internationale Kommission, von neutralen Mächten entsendet und vom k.u.k. Kriegsminister eingeladen, die Gefangenenlager und ähnliche Anstalten in Österreich-Ungarn. Mitglieder der Kommission waren zwei Schweizer, Schweden, Norweger, drei Holländern, drein Dänen, endlich je ein Grieche, Spanier und Südamerikaner. Professor Dr. Gustav Krafft aus Lausanne war Vertreter der französischen, Dr. Paul Riehans Vertreter der deutschen Schweiz. (...) Der Bericht ist ein einziges Lob unserer Einrichtungen. (...) Dr. Krafft besuchte das Gefangenenlager in Wieselburg, Niederösterreich, wo 56.000 russische Kriegsgefangene bewacht werden. Er schreibt mit wärmster Anerkennung über die menschenfreundliche Behandlung der Gefangenen, die ritterliche Auffassung der Offiziere und die schlicht militärische Denkungsart der österreichisch-ungarischen Soldaten; sie stehen im Besiegten nur den Soldaten, nicht den Feind. Bei strenger Disziplin werden die Gefangenen mit einer gewissen wohlwollenden Kameradschaft behandelt. (...)

Überraschend wirkten auf den ausländischen Gast die modernen Einrichtungen der Kriegsheilanstalten von Wien und Budapest. Dr. Krafft beschreibt mit wahrhaftiger Begeisterung, wie Medizin und Hygiene sich den unermeßlichen Forderungen angepasst haben, die aus dem Kriege erwachsen sind, und berichtet viele fesselnde Einzelheiten über seine Besuche in den Spitälern. Mit tiefer Rührung sah Dr. Krafft 3600 Kriegsinvalide, die sich unter Leitung hervorragender Ärzte und Fachmänner in der Benützung von Prothesen übten. (...) Im ganzen, meint Dr. Krafft, gibt es in den Lagern der Gefangenen mehr Wohnlichkeit, Reinlichkeit und bessere hygienische Verhältnisse, als in alten, armen Teilen der Großstädte."Und überall (schreibt er) erhielt ich schöne Beispiele der Unparteilichkeit, überall findet man den Krieg bedauerlich, ohne persönlichen Hass gegen den Feind zu empfinden, und ich hörte nirgends, weder an hohen Stelllen noch auf der Gasse, die leiseste Beschimpfung des Feindes. Ich besonders als Schweizer wurde mit offenen Armen empfangen."

Schneestürme und Verkehrsstörungen

Tage im Zeichen der Schneeschaufel.

Presse vom 19. Jänner 1891

Aus den südöstlichen Vororten wird uns gemeldet: Gestern konnte die Bevölkerung wieder aufatmen. Samstag hatte der heftige Schneefall die Straßen wieder in einen nicht zu beschreibenden Zustand versetzt. Der gestrige Sonntag war dem Schneeschaufeln gewidmet. Alt und Jung, wer nur einen Krampen oder eine Schaufel tragen konnte, eilte hinaus, um sich an der Arbeit zu beteiligen. In Rannersdorf und Kaiser-Ebersdorf lässt die Kommunikation noch viel zu wünschen übrig. Die Straße von Schwechat nach Mannswörth, Fischamend und zur donau ist unpassierbar, nicht einmal mit Schlitten kann man dahin gelangen. Von Ober-Laa an ist die Himbergerstraße nach Wien in sehr schlechtem Zustande. Die Dampftramway Gaudenzendorf-Wiener-Neudorf konnte gestern Mittags bis Inzersdorf den Verkehr wieder aufnehmen. (...)

Die in der Laxenburger Hof-Allee, zwischen Neu-Erlaa und Altmannsdorf, seit zehn Tagen mit Schneeschaufeln beschäftigten Arbeiter (50 an der Zahl) wurden gestern Mittags in dem Momente, als sie ihr Mittagsmal einnehmen wollten, sehr angenehm überrascht. Der Partieführer und Straßeneinräumer Rieß aus Altmannsdorf erhielt von der Schlosshauptmannschaft Schönbrunn ein Telegramm mit dem Wortlaute: "Jedem Schneeschaufler sofort 1 Gulden und 50 Kreuzer auszuzahlen und für heute die Schneeschauflerei einzustellen."

Kampf um die deutsche Amtssprache

Ein Erlass der Prager Statthalterei.

Neue Freie Presse vom  18. Jänner 1916

Graf Coudenhove hat einen wichtigen Erlass über den Gebrauch der deutschen Sprache im inneren Dienste an die Behörden in Böhmen gerichtet. Die deutsche Amtssprache im inneren Dienste und im zwischenbehördlichen Verkehre ist gesetzliche Vorschrift, die jedoch durch Duldung und Missbrauch in manchen wichtigen Dienstzweigen außer Gebrauch gekommen ist. Der Statthalter fordert im staatlichen Interesse und gestützt auf die Erfahrungen im Kriege die volle Beachtung der Vorschriften über die deutsche Amtssprache im inneren Dienste. Der Erlass lautet:

Statthalter Graf Coudenhove hat nachstehenden Erlass sämtlichen landesfürstlichen Behörden zukommen lassen: Die Amtssprache der landesfürstlichen im inneren Dienste und im Verkehr mit anderen staatlichen Behörden, Ämteern und Organen ist die deutsche. Gerade die gegenwärtigen Kriegsverhältnisse haben die zwingende Notwendigkeit dargetan, unbedingt an dieser Eichrichtung festzuhalten, welche rein im staatlichen Interesse gelegen ist und keineswegs als Zurücksetzung einer anderen Sprache aufgefasst werden kann. Ich bringe daher die geltenden Vorschriften behufs genauester Danachachtung in Erinnerung und mache die Herren Amtsvorstände für die strenge Einhaltung dieser Vorschriften persönlich verantwortlich. Die Herren Überwachenden ersuche ich, dem Sprachgebrauch der unterstellten Bezirksbehörden bei den Inspektionen und auch sonst ein besonderes Augenmerk zuzuwenden und mir über wahrgenommene Mängel stets sofort zu berichten.

Geschichtsfälschung in französischen Schulen

Der Entwicklungsgang des französischen Volkes erscheint durch die bonapartistische Brille wundersam verquickt.

Neue Freie Presse vom 17. Jänner 1866

Montesquieu sagte vor anderthalb hundert Jahren: "In den Geschichtsbüchern sind unwahre Begebenheiten mit wahren zusammengehäuft, oder die unwahren werden wenigstens bei Gelegenheit der wahren erzählt." Der zweite Teil dieses Ausspruches passt vollkommen auf die großartigen Fälschungen und Entstellungen, mit denen das second empire den Unterricht der Welt und National-Geschichte in seinen militärisch zugeschnittenen Lyceen zu versetzen für gut findet. (...) Das Lehrbuch der französischen Geschichte, das wir in Händen hatten, trägt keinen Namen des Verfassers, der Verlag und Druckort lassen erraten, dass es auf Befehl und unter den Augen des Ministeriums beschrieben wurde. Die Tendenz des Buches wird der deutsche Leser leicht erraten; die ganzen Schicksale, der Entwicklungsgang des französischen Volkes erscheinen durch die bonapartistische Brille wundersam verquickt, das Mittelalter hat eine entschieden unltramontane Färbung, die Zeit von Heinrich IV. bis zum Ausbruche der ersten Revolution ist unverhältnismäßig gekürzt, fast nur ein Gerippe von Namen, Daten und Zahlen, das erste Kaiserreich dafür in die Länge gezogen, als wäre dieser Teil des Buches aus einem großen Specialwerke hinzugefügt worden.

Während der großen Kriege 1813-1814 häufen sich die unverschämten Lügen derart, dass es schwer wird, die Körner von Wahrheit aus denselben herauszufinden. Trotz aller Niederlagen erscheint Napoleon immer als Sieger und dankt zuletzt nur aus Großmut ab. Bei dieser Gelegenheit erhalten die offenen und heimlichen Anhänger der Bourbonen einen neuen scharfen Hinweis. Zum Schlusse wird die Behandlung des Ex-Kaisers auf Helena von Seite des Gouverneurs Hudson Lowe in grellen Farben dargestellt und zu beweisen gesucht, dass das Kaiserreich allein in Frankreich eine Zukunft habe. Dies sind die allgemeinen Umrisse eines Lehrbuches, das nur diesen Namen führt, im Grunde aber eine große Tendenzschrift ist. In jedem Falle bleibt es ein trauriges Zeichen, dass das zweite Kaiserreich zu solchen Mitteln greifen genötigt ist, um sich des empfänglichen Gemüts der studierenden Jugend zu versichern.

Über seltsame Fliegerlandungen

Am Boden sind die eigentlichen Gefahren des Fliegers.

Neue Freie Presse am 16. Jänner 1916

Das Fliegen ist eigentlich gar keine so große Kunst. Wenn man nämlich einmal in der Luft ist - und - solange man in der Luft ist. Den Erdbewohner gruselt immer ein bißchen, wenn er liest, dass die gewöhnliche Höhe, in der unsere Flieger über den Feind ziehen, so um die 2000 Meter herum ist. Aber je höher der Flieger schwebt, desto weniger kann ihm eigentlich passieren. Selbst ein unvermuteter Zwischenfall ist in größerer Höhe weit weniger bedenklich, als dicht über dem Erdboden. Schwer aber ist das Auffliegen vom Boden, schwer das Landen. Am Boden sind die eigentlichen Gefahren des Fliegers. Bei verunglückten Starts und noch reichlicher bei verunglückten Landungen sind mehr Unfälle der Fliegerei geschlagen worden, mehr Menschenleben umgekommen als in der hohen, freien Luft. Stürzt ein Flugzeug aus dem hohen Raum herunter, so kann es fast immer während des Falles abgefangen werden, durch die Kraft des Falles selbst erhöht sich seine Geschwindigkeit, die Steuerung wirkt auch in der vom Fall durchschnittenen Luft genau so wie sie in der Luftströmugn wirkt, die das Flugzeug durch seine gewollte Vorwärtstbewegung hervorruft. Dass es hoch genug war, ist schon manchen stürzenden Flugzeugs Rettung gewesen. (...)

Seltsame Fliegerlandungen sind daher, so schreibt in einem sehr interessanten Artikel der deutsche "Motor" in seiner letzten Nummer, nicht gar so Seltenes. Unter ihnen nehmen die Waldlandungen die erste Stelle ein. (...) Es wiederholt vorgekommen, dass ein Flugzeug sich unter Verlust unwesentlicher Glieder weich und sanft auf die dichten Kronen des Waldes daraufgesetzt hat und darauf sitzen geblieben ist, wie auf einem großen Kissen. Unangenehm mag es freilich für die Insassen des Flugzeuges gewesen sein, als einmal eine Maschine sich auf ein so luftiges Gewirr von dünnen Zweigen und Ästen gesetzt, in denen es keinen Halt, keinen festen Grund für die Heraussteigenden gab, so dass diese gezwungen waren, stundenlang auf diesem Rest in den Kronen der Bäume auszuhalten, bis endlich Hilfe kam. (...)

Gegenstände sind besonders beliebte Zielobjekte für nicht ganz normal landende Flugzeuge. Auf einem Riesenflugplatz, der etwa 2000 Meter lang und mehrals 1200 Meter breit ist, also auf einem recht geräumigen Platz, stand bescheiden in einer Ecke ein etwas invalides Flugzeug, das am Abend zur Reparatur in einem Schuppen geschafft werden sollte. Ein unartiges Flugzeug setzte sich gerade auf dieses Flugzeug oben drauf.

Zum 100. Geburtstag von Grillparzer

Lorbeerkränze für den Dichterfürsten.

Neue Freie Presse am 15. 1.1891

Ein herrlicher Wintertag leuchtete all den Wallfahrern, welche heute im Volksgarten erschienen, um an dem Standbilde Grillparzers Kränze niederzulegen. Es erschienen auch viele Besucher, um den herrlichen Schmuck der Kränze zu bewundern. (...) Die Grillparzer-Gesellschaft legte heute Früh einen Lorbeerkranz auf das Grab des Dichterfürsten in Hietzing nieder. Die weißroten Atlasschleifen tragen die Widmung: "Österreichs größtem Dichtergenius - die Grillparzer-Gesellschaft." (...) Mittags erschienen noch Studenten-Deputationen der Couleurs "Alemannia", "Amelungia", "Simbria" und "Danubia" in voller Wichs. Die Studenten nahmen mit entblößten Schlägern vor dem Denkmal Aufstellung, und es wurde ein prachtvoller Lorbeerkranz mit weißen Schleifen auf das Momentum niedergelegt.

Geschmacklosigkeiten im Wiener Fasching

Beobachtungen zum regen Carnevalsleben.

Neue Freie Presse am 14.1.1866

Das rege Carnevalsleben Wiens, wie es sich im Lauf der letzten Jahre entwickelt hat, ist interessant genug, um zur Beobachtung herauszufordern. Wien besitzt heute noch die glänzenden Bälle in den Palästen des Adels, wie vor Jahrzehnten. Ihnen haben sich die Feste in den Salons der Geld-Aristokratie beigesellt, und so sieht man während einer Nacht zugleich durch die Fenster des alten aristokratischen Herren-Viertels der inneren Stadt und die Kristallscheiben am neuen Kärntnerringe zahllose Lichter schimmern. Die Hausbälle der kleineren Leute sind fast völlig ausgestorben, die betreffenden Kreise haben sich zusammengeschlossen, und es sind jene zahllosen Genossenschaftsbälle entstanden, carnevalistische Bezirksvertretungen der einzelnen Gemeinde-Coterien, welch letztere allein nicht reich genug waren, die Kosten der Feste zu bestreiten. Diese öffentlichen Bälle können aber auf die Dauer nicht ganz rein von jenen Elementen erhalten werden, welche in dem modernen Leben jeder Weltstadt eine so große Rolle spielen, und sich durch ihre Macht über die vornehme Männerwelt überallhin Eintritt zu verschaffen wissen; je weltstädtischer also Wien wird, desto rascher müssen diese Corporations-Bälle, auf denen nach und nach alles zu sehen ist, nur nicht die Corporation, wo alles zusammenkommt, nur nicht mehr Bekannte, verschwinden. Soll es sich sogar ereignen, dass Elemente zu Hausbällen Zutritt erhalten, die andere abhalten, denselben beizuwohnen. Man bemüht sich eben, der Männerwelt gefällig zu sein, sie zu fesseln, stößt aber dadurch Mütter und Töchter ab.

„Lederstrumpf“-Abenteuer in den unwegsamen Pripjet-Sümpfen

Russische Partisanenbande macht unseren Truppen zu schaffen.

Neue Freie Presse am 13.1.1916

Die Gestalten des „Lederstrumpf“ erwachen zu neuem Leben, was uns als Schulbuben mit Sehnsucht erfüllte, wird nun zur Wahrheit: Blutgierige Huronen schleichen durch unermessliche Wälder, fangen kleine Truppenteile ab, machen kühne Überfälle weit im Hinterland – mit einem Wort, das ganze Treiben, der Kampf zwischen Trappern und Indianern spielt sich vor unseren Augen ab, nur sind es nicht die Urwälder Amerikas, sondern die unwegsamen Pripjetsümpfe Russlands, die den Schauplatz für diese Kämpfe abgeben. Unsere und die deutschen Soldaten sind die Trapper, die blutgierigen Indianer aber sind die Mitglieder der Bande des „Sumpfwolfes.“

Gebildet wird der Riesensumpf durch den Dnjepr und seine Nebenflüsse. Dichte Urwälder bedecken meilenweit das Land, hier befanden sich vor dem Krieg die reservierten Jagdgründe des Zaren, in welchen die letzten Auerochsen Europas gehegt werden und noch zahlreiche Elche vorkommen. Die wenigen Ansiedlungen verbinden Fußwege, die allerdings nur den Einheimischen bekannt sind. Das geringste Abweichen vom Wege ist oft gleichbedeutend mit dem sicheren Tod, denn rettungslos versinken dort, wenn man vom Wege abkommt, nach wenigen Minuten Mann, Pferd und Wagen.

Dieses Gebiet, das demnach für den Fremden ein außerordentlich gefahrvolles Terrain ist, bildet das Operationsfeld des „Sumpfwolfes“. Ein Gutsbesitzer jener Gegend hat sich aus allem möglichen Gesindel eine Franktireurbande zusammengestellt, hat seine Agenten hinter unserer Front, hat tausend Schlupfwinkel zur Verfügung, die eine Verfolgung beinahe unmöglich machen. Die Bewohner der Sumpfgebiete führen ihn zu Pfaden, die kein anderer Mensch kennt, sie verproviantieren ihn und vor allem liefern sie ihm Nachrichten über den Stand der Truppen. Es versteht sich wohl von selbst, dass die Mitglieder der Bande als Franktireure behandelt werden, es verbittert aber doch den Kampf und man geht mit Hass- und Rachegefühlen nicht nur gegen den uniformierten Feind, sondern auch gegen die Bauern vor. Dass da zuweilen auch Unschuldige mit ein paar Schuldigen büßen müssen, dafür mögen sich die Landbewohner bei ihren eigenen Leuten bedanken, vor allem bei dem Anführer jener Bande.

In der Hölle der Londoner Unterwelt

Die Schlupflöcher und Höhlen des Lasters und des Verbrechens.

Die Presse am 12.1.1866

Kommt man in das Londoner Viertel Whitechapel, dringt man tief in die Höhlen und Schlupfwinkel des Lasters und des Verbrechens ein. Das Königreich der Diebe ist hier fest etabliert, und das besondere Idiom der Räuber und Einbrecher, männlicher sowohl als weiblicher, vertritt hier das „Englisch der Königin.“ In dieser dumpfen, mit pestilenzialischen Dünsten geschwängerten Atmosphäre, in den zerfallenen Hütten und Räuberhöhlen, die dem hier über alle Begriffe schmutzigen Themsestrom als Uferstaffage dienen, in diesen Stätten des Lasters, des Verbrechens, gibt es keine Gesetze , keine Moral, als die im Codex des Verbrechens zu Recht bestehenden. Tausende von Dieben, viele mit Frau und Kindern, andere mit ihren Concubinen und dem Gefolge degradierter, außer dem Gesetz stehender Charaktere, die, wenn schon mitunter nicht wirkliche Verbrecher, doch mit dem Auswurfe der Menschheit, mit der niedrigsten Stufe der Prostitution in beständigem Zusammenleben sich befinden, versammeln sich hier allnächtlich in den zahllosen Tanzkneipen, Trinkbuden und anderen Orten des Grausens und Schreckens, in wildem, bacchanalischem Treiben, in wüsten, schrecklichen Orgien, Verbrechen austüftelnd oder begehend, nicht vor Raub noch vor Mord zurückbebend – Tiger mit menschlicher Intelligenz!

Diejenigen, welche ihrer Profession bei Tage nachgegangen, finden sich hier unter dem Deckmantel der Nacht zusammen, sei es, um eine Teilung der gemachten Beute vorzunehmen, oder sei es, um den Ertrag ihrer Raubzüge in den empörendsten Schwelgereien zu vergeuden. Die Mitternachtsgauner finden sich früh ein zum Rendezvous, um über ihre Pläne sich zu besprechen; alle vereint im gemeinsamen Bund, bereiten sich vor für den nimmer endenden Krieg, den sie gegen den übrigen Teil der Gesellschaft führen . Das Leben eines Frauenzimmers, nachdem es sich einmal im Whitechapel-District eingebürgert hat, ist mit ungefähr acht Jahren als beendet zu betrachten; die Spirituosen, welche hier verkauft werden, kann man geradezu als „Gift“ betrachten. Mit einem Wort, der ganze District ist eine irdische, ein Beigeschmack der wirklichen Hölle in jeder Hinsicht; im Leben seiner Bewohner, in deren Gemeinschaft im Bösen, in deren Speisen und Getränken, und endlich in dem Schrecken und Scheu, mit der ein jeder honette Mensch es vermeidet, diesem Revier auch nur nahe zu kommen.

(Anmerkung: Über die berühmt-berüchtigten, hier dämonisierten Arbeiter- und Armensiedlungen im Londoner East End wie Whitechapel hat schon Charles Dickens Ende der 1840er Jahre geschrieben: „Ringsumher alles schwarz – dunkle Wasserlachen, schmutzige Gassen und erbärmliche Wohnungen … Not und Krankheit in vielen grauenhaften Gestalten“. Hunderte Hilfs- und Missionsgesellschaften wie William Booths „Christian Revival Society“ und die Heilsarmee wurden in der Folge hier initiativ, um die Bewohner aus ihrem Elend zu befreien. Eine solche Delegation, die das Stadtviertel besuchte, um die Verhältnisse zu studieren, war der Anlass für den Artikel in der „Presse“. Man sah die Hauptursachen für die elenden Lebensbedingungen vor allem im moralischen Verfall und Alkoholmissbrauch.  Leser von Charles Dickens kennen das hier beschriebene  Stadtviertel Whitechapel sehr gut, hier steht in „Oliver Twist“ das Haus, in dem der kleine Oliver eingesperrt ist, der alte Hehler Fagin, zu dessen Kinderdiebesbande Oliver gehört,  schleicht sich hier in der Nacht herum, „gleich einem ekelhaften Tier, das nächtlicherweise aus seiner Höhle kommt, um sich im Schlamm ein scheußliches Mahl zu suchen.“ Gewalt war in dem Stadtviertel nicht ungewöhnlich, Mord und Totschlag eher selten bis zum Auftreten von Jack the Ripper: Mit der Tötung von Emma Smith ab 1888 begann in Whitechapel eine Reihe von Frauenmorden.)

Über Physiognomie und Charakter der Chinesen

Chinesische Auswanderer passen sich rasch an fremde Sitten an. 

Die Presse 11.1.1866

Das unerlässliche Attribut des chinesischen Arbeiters sind zwei weite runde Körbe, ohne diese hält er seine Gestalt und Ausrüstung nicht für vollständig. Jeder mit dem gleichen Gewicht beschwert, hängen sie an den Enden einer Bambusstange von den Schultern zu seinen beiden Seiten herab. Dergestalt trägt er auf der Reise sein Gepäck, und so wandert er, immer in dem ihm eigentümlichen Trott, Tag für Tag aufs Feld zur Arbeit hinaus. Sie erwerben sich Ländereien, umfrieden diese mit starken Hecken und beginnen zu gärtnern. Der Chinese ist nämlich sozusagen ein geborener Gärtner, und erreicht in diesem Zweige menschlicher Tätigkeit Erfolge, wie sie der geschulteste Europäer nimmermehr erzielt. Sehr gern führt man den Fremden in den chinesischen Häusern umher und zeigt ihm mit Selbstgefälligkeit die darin aufgestapelten Herrlichkeiten, wie man überhaupt seinen Stolz dareinsetzt, den Europäer als Gast bei sich zu sehen. Auch in der Kleidung hält sich der Chinese in der Regel anständig und ordentlich. Im allgemeinen accomodiert sich der Chinese sehr rasch den europäischen Sitten und Lebensgebräuchen, ja pflegt sich, bei längerem Aufenthalt unter Europäern, selbst europäisch zu kleiden. Dennoch bleibt der Eindruck der Chinesen für Europäer ein unbeschreiblich eintöniger. Die chinesischen Physiognomien haben etwas merkwürdig Unbelebtes und Gleichförmiges. Man sieht nichts als schwarze Augen und schwarze Haare, quittengelbe Hände und quittengelbe Füße. Man hat mithin seine große Not, die einzelnen Individuen voneinander zu unterscheiden, bis man den Gentleman von dem Bauernlümmel, den Dummkopf von dem Gescheiten, den Schurken von dem freilich nur sehr ausnahmsweise zu findenden redlichen Manne sondern lernt.

Schmachvoller Rückzug der Alliierten von den Dardanellen

Freude in Wien über den Erfolg des osmanischen Reiches.

Neue Freie Presse 10.1.1916

Die Freude über den Erfolg des türkischen Reiches und über den Ruhm seiner Armee wird in der österreichisch-ungarischen Monarchie lebhaft empfunden. Als Nachbarn des Balkans haben wir eine bleibende Gemeinschaft mit der Türkei in dem Interesse, nach Beseitigung der serbischen Friedensstörer die Freundschaft mit allen Balkanstaaten zu pflegen. Die Befreiung der Dardanellen ist ein Weltereignis. Russland ist um den wichtigsten Vorteil, den es von seinen Bündnissen haben wollte, betrogen, da England und Frankreich ihm den Weg durch die Meerengen für seine Kriegsschiffe nicht sichern können. In England und Frankreich wird durch den Rückzug die Erkenntnis in der öffentlichen Meinung beginnen, in welchem Widerspruch die fortwährenden papierenen Siege in den Armeebefehlen den Tatsachen sind. Der gänzliche Zusammenbruch des Feldzuges zur Eroberung von Konstantinopel ist nicht mehr zu bemänteln, und nach den Verlusten an Menschen und Schiffen, die er gekostet hat, muss diese in der militärischen Geschichte kaum jemals übertroffene Katastrophe ein Gefühl tiefer Scham in England, Frankreich, Russland und Italien hervorrufen. Die Türkei ist zu beglückwünschen, weil sie durch ihren Sieg das Ottomanische Reich gerettet und bedeutungsvoll in die Weltgeschichte eingegriffen hat.

Jetzt will man uns auch noch die Blumen verbieten

Verbotene Blumen. Zur Verordnung über die Einfuhr von Blumen aus feindlichen Ländern.

Neue Freie Presse 9.1.1916

Viele Menschen sind in der glücklicheren Zeit des Friedens dem Frühling entgegengefahren, dieser Weg ist versperrt und die Küsten des Adriatischen Meeres sind Schauplätze des Krieges. Der Gedanke an Italien ist nahezu körperlich schmerzhaft geworden und Nizza, die in Rosen und Veilchen gebettete Stadt, und seine Umgebung verhöhnen durch Gehässigkeit die Gäste. Wir dürfen nur den Frühling haben, den uns der Himmel in der Heimat schenkt, und auch seine Boten aus fernen Ländern können nicht mehr zu uns kommen. Die Freude an diesem Stück der Natur, das auch der minder Wohlhabende in sein Zimmer tragen und an dessen Pflege, Wachstum und Gedeihen er sich vergnügen kann, wird gestört. Von den Opfern, die der Krieg auferlegt, ist das Verbot der Einfuhr von Blumen am wenigsten beschwerlich. Nur berührt es seltsam, dass die Ziergewächse, wie die Kinder der Flora in unserem Zolltarife genannt werden, ein Schicksal zu tragen haben, das so gar nicht zu ihrer Eigenart passt. Blumensendungen werden verboten, weil der Geldwert schwankt, Rosen und Wechselkurse, Veilchen und der widerspenstige Preis des Goldes, wer hätte jemals solche Zusammenhänge vorausgesehen.

Blumen werden entbehrlich genannt. Das mögen sie auch sein. Doch wir haben einen steilen Berg ßhinaufzuklimmen und brauchen das Haushalten nicht bloß mit den wirtschaftlichen Kräften, sondern auch mit der Fähigkeit zum inneren Schwunge, der über die Mühen und Sorgen hinweghilft. Ein wenig Freude und auch ein wenig Glanz sind für den Einfachsten fast so nötig wie die Lebensmittel. Wo dieser Schmuck fehlt, die Eintönigkeit nicht unterbrochen wird, sinkt auch die Lebenslust. Die Gesellschaft in einen grauen Sack stecken, sie von jeder Helligkeit absperren, würde die Menschen vergrämen. Das wahrhaft Schöne darf auch im Krieg erfreuen, den Frühling im Herzen wollen wir nicht verscheuchen und jedem gönnen, dass er mitten im Schrecken die Blume pflückt, die ein gütiges Schicksal ihm gewährt.

Sorge um den großen Guy de Maupassant

Ein Klassiker der Literatur und seine gesundheitliche Krise.

Neue Freie Presse am 8.1.1891

Im Jahre 1880 debütierte in der französischen Literatur ein junger Mann, der, ohne irgend eine von der modernen Darstellungskunst gemachte wesentliche, wertvolle Errungenschaft aufzugeben, zur alten klassischen Erzählermanier zurückgekehrt ist. Guy de Maupassant macht heute in der Literatur noch immer den Eindruck der Jugendlichkeit. Das Wort unwiderstehlich drängt sich bei ihm auf die Lippen. Bei seinem ersten Auftreten in der Literatur sah man einen jungen Menschen, der eine unanständige Geschichte nach der andern schrieb, Geschichten, die in berüchtigten Häusern spielten oder von deren Bewohnerinnen handelten, ganz haarsträubende Sachen – und dieser junge Mensch war von der ersten Novelle an, die er schrieb, ein Klassiker, welcher die ihrem innersten Wesen nach so logische französische Sprache in leuchtender Klarheit spielen ließ. Er war kein Schilderer von Menschen oder Möbeln, kein Zergliederer von Seelenregungen. Er äußerte sich mit wenigen Strichen, mit einem Bilde, einem malenden oder karikierenden Zuge, alle Psychologie in Handlung auflösend.

Es ist gar früh, dass die „Desillusion“, der Gedanke an das Alter und die Auflösung ihren Wermuth in den reichen Kelch mischen, den das Leben Maupassant kredenzt. Wahrscheinlich haben allzu viele Arbeit und allzu viel Genuss die unangreifbar scheinende Gesundheit seines Wesens untergraben.

(Anmerkung: Die kurze Feuilleton-Serie in der „Neuen Freien Presse“ vom 8. und 9. Jänner 1891 liest sich wie ein Nachruf auf den großen französischen Autor, gestorben ist Guy de Maupassant dann am 6. Juli 1893, er wurde nur 43 Jahre alt. Der Artikel deutet es an: Die letzten Lebensjahre waren stark verdüstert, infolge einer Ansteckung durch Syphilis rechnete er mit einem frühen Tod und litt unter der Angst, verrückt zu werden. Dazu kam Drogenkonsum, Schlaflosigkeit, Sehstörungen, Angstzustände usw., 1892 unternahm er einen Selbstmordversuch und wurde in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, wo er in geistiger Umnachtung starb. Sein Grab ist auf dem Pariser Friedhof Montparnasse.)

Gemeindebauten als Zwingburgen des Klassenhasses

Mit Waschküchenrevolte und Klosettaufstand ist zu rechnen.

Neue Freie Presse am 7.1.1926

Die Wohnhausbauten der Gemeinde Wien waren ein ausgezeichneter Wahlschlager. Dieses Wahlversprechen auch auszuführen wird sich als ein Fehler und als ein Schaden für die jetzige Rathausmehrheit erweisen. An ihren künftigen 25.000 Mietern und deren Angehörigen zieht sich die Gemeinde 50.000 erbitterte Feinde heran. Schon jetzt, wo doch nicht viel mehr als tausend Gemeindewohnungen fertiggestellt und bezogen sind, konnte der Ausbruch der Unzufriedenheit bei Erlassung des Hundeverbotes von den Vertrauensmännern nicht mehr zurückgehalten werden. Wenn erst einmal diese ungeheuren Häuserblocks voll besetzt sein werden, so werden sich die Mieter nach dem, was man ihnen Jahrzehnte lang vorgesagt hat, auf ihre Masse nicht wenig einbilden, bald wird es eine Waschküchenrevolte, bald einen Klosettaufstand, dann wieder einen Plantschbeckenaufruhr und so fort geben. … Der Gesamtflächenraum einer solchen Wohnung beträgt nur 38 Quadratmeter. In jeder dieser das Stadtbild von Wien auf Jahrzehnte hinaus entstellenden Zwingburgen des Klassenhasses führt ein sogenannter „Vertrauensmann“ über die Bewohner die Oberaufsicht, der jedoch in Wahrheit kein Vertrauensmann der Mieter, sondern ein solcher der herrschenden Rathauspartei ist.

Ibsen schleudert ein neues Stück in die Massen

Geniale Offenbarung oder poetische Unzurechnungsfähigkeit?

Neue Freie Presse am 6.1.1891

Es ist eine Eigentümlichkeit der Schauspiele Ibsens, dass sie zweimal Spektakel machen, einmal wenn sie im Buchhandel erscheinen und dann, wenn sie auf der Bühne Farbe und Leben gewinnen. Auch „Hedda Gabler“, das neueste Drama Ibsens, scheint dieses interessante Doppelleben führen zu wollen. Es wird von allen deutschen Blättern schon jetzt mit einer Leidenschaftlichkeit besprochen, als ob wir schon die regelrechte Sensations-Premiere erlebt hätten. Während die orthodoxen Ibsen-Schwärmer auch dieses Schauspiel für eine geniale Offenbarung nordischen Dichtergeistes ausrufen, ziehen die Gegner daraus die herbsten Schlüsse auf die geistige Fortentwicklung des großen Dramatikers, und einige zeigen nicht übel Lust, von nun an Ibsen überhaupt die poetische Zurechnungsfähigkeit zu bestreiten. Doch der sieht mit großer Genugtuung auf dieses Wogen und Kämpfen der Geister; wohin er auch seine Funken wirft, überall entzündet er eine mächtige Bewegung in der literarischen Welt. Er schleudert ein neues Stück in die Massen und hat noch ein unbändiges Vergnügen, wenn monatelang vor der Aufführung das Drama bis in die kleinsten Äderchen zergliedert und zerfasert wird. 

Der Dualismus macht den Österreichern Bauchweh

Die Ungarn wollen mehr Selbständigkeit – wohin soll das führen?

Neue Freie Presse am 5.1.1866

„Was ist Dualismus?“ Man hört die Frage jetzt oft. Das Schlagwort steht in allen Zeitungen, und der gute Wiener Bürger sieht es mit verwunderten Augen an. Er wuchs auf, ohne das Ding kennen gelernt zu haben, das ihm jetzt in den Morgenkaffee, die Mittagssuppe, das Abendbier gebrockt wird. Wenn er sich jenseits der Leitha nach dem Wesen des Dualismus erkundigt, erhält er von den Ungarn vielleicht die Antwort: „Dualismus ist, wenn ich hab‘ Stück Brot und Stück Speck, aber beide gleich groß.“ Für einen ungarischen Magen ist das eine leicht verdauliche Erklärung, aber dem Wiener verursacht das Wort Dualismus eine unbehagliche Empfindung, ein leichtes Alpdrücken, gegen das er vergeblich ankämpft. Man erwidert ihm, Dualismus sei noch immer besser als Föderalismus, und zwischen zwei Übeln müsse man das kleinere wählen. Aber man erklärt ihm weder das eine noch das andere Staatsrettungsmittel in leichtfasslicher Weise, man erklärt ihm nur, dass er sich die falschen zentralistischen Ansichten abgewöhnen muss, nicht das wenige Gute festhalten, sondern immer etwas neues probieren, bis wir durch Zufall auf das Rechte kommen; dass wir so lange fortgehen, bis wir nicht weiter können und dann umkehren müssen. Wir diesseits der Leitha haben es ja bequem, uns hat man, weil man unsere deutsche Langsamkeit und Schwerfälligkeit kennt, nur einen ganz kleinen Raum der Bahn freigelassen, um uns keine zu großen Anstrengungen zuzumuten. Den Ungarn aber, die feurige Weine trinken und feurige Rosse tummeln, einer heißblütigen und lebhaften Nation, musste man viel Platz für ihre politischen Evolutionen schaffen. Wenn sie dabei auf die Nase fallen, so wird man uns in Gnade erlauben, unsere Samaritaner-Dienste auszuüben. Als Staatschirurgen haben wir schon wiederholt treffliche Dienste geleistet, wenn es galt, Österreich ein verrenktes Bein einzurichten.

Anmerkung: Die Eingliederung Ungarns war seit 1848 für die österreichische Gesamtmonarchie zu einer lebenswichtigen Frage geworden. Der fortwährende Widerstand Ungarns gegenüber der zentralistischen deutschen Verwaltung lähmte Österreich. Unter Führung Franz Deaks war es erklärtes Ziel der Ungarn, die ungarische Verfassung von 1848 (also vor der Zeit des Neoabsolutismus) zu erringen. Ende 1864 leitete Kaiser Franz Joseph selbst Verhandlungen mit den Führern der Ungarn ein. Am 14. Dezember 1865 hielt der Kaiser vor dem ungarischen Landtag eine Thronrede, die die Richtlinien für die künftigen Verhandlungen festlegte.  Im Jänner 1866 verlegte er in Begleitung von Elisabeth sein Hoflager für längere Zeit nach Pest, um mit dieser Höflichkeitsgeste eine günstige Ausgangsposition für die Verhandlungen mit den Ungarn zu schaffen. So war der Ausgang der Verhandlungen über einen „Dualismus“ zum Zeitpunkt dieses Artikels noch völlig offen, im Sommer 1866 wurden sie durch den Krieg mit Preußen unterbrochen. Die liberale Presse stand dem „Ausgleich“ mit Ungarn skeptisch gegenüber, hielt am Zentralismus fest.

US-Präsident Wilson bricht seine Hochzeitsreise ab

Verstimmung in den Vereinigten Staaten nach Versenkung des Dampfers „Persia“.

Neue Freie Presse am 4.1.1916

Der Dampfer „Persia“ wurde am 30. Dezember 1915 40 Seemeilen südlich von Kreta von einem Torpedo eines Unterseebootes getroffen. Das Unterseeboot versuchte Hilfe zu leisten, aber dies war unmöglich. Der Dampfer neigte sich sofort zur Seite, viele wurden in die See geschleudert. Es war an Bord nicht möglich, die Boote niederzulassen. Die „Persia“ sank binnen fünf Minuten. Zwei Boote voll Menschen wurden mit ihr mitgerissen, da keine Zeit war, die Seile zu kappen. Vier Boote vermochten wegzukommen und wurden nach 30 Stunden von einem Dampfer aufgenommen. Verschiedene Schiffe fuhren vorbei, wagten aber nicht, Hilfe zu bringen, da sie offenbar einen Hinterhalt fürchteten.

Ein Telegramm des Reuterschen Bureaus berichtet, Präsident Wilson habe wegen der Versenkung der „Persia“ seine Hochzeitsreise abgebrochen und sei nach Washington zurückgekehrt. Es kann derzeit nicht beurteilt werden, inwieweit sich eine Meinungsverschiedenheit mit den Vereinigten Staaten entwickeln werde. Aus den vorliegenden Meldungen ist nicht zu entnehmen, welche Flagge das Unterseeboot, das angeblich die „Persia“ versenkt hat, führte. Von allen Seiten wird berichtet, dass Amerikaner auf dem Schiffe gewesen seien. Es ist gewiss auffallend, dass Amerikaner mitten im Krieg das Bedürfnis haben, in der Nähe von Kreta zu reisen und dass fast immer auf den Schiffen, welche auf den gefährlichsten Gebieten des Mittelmeeres fahren, sich Amerikaner befinden. Wir möchten nur wünschen, dass auch diese Angelegenheit ohne Störung des Völkerfriedens, soweit noch Reste vorhanden sind, durch gegenseitiges Entgegenkommen geordnet werden könne.

(Anm.:  Die „Persia“ war ein britisches Passagierschiff, es verkehrte ab 1900 zwischen Großbritannien und Indien und galt zu ihrer Zeit als luxuriöser Ozeandampfer. Versenkt wurde sie am 30.12.1915 im Mittelmeer ohne Vorwarnung von einem deutschen U-Boot, 343 Menschen kamen dabei ums Leben, darunter Frauen und Kinder. Viele britische Militärangehörige waren mit ihren Familien unterwegs, sie reisten zu ihren Dienststellen nach Indien. Wegen der Weihnachtsfeiertage war das Schiff besonders geschmückt, der Torpedotreffer erfolgte während des Mittagsessens um 13 Uhr, in fünf Minuten war das Schiff gesunken, die meisten Opfer rutschten vom Bootsdeck, bevor sie ein Rettungsboot besteigen konnten.  Nur bei der Versenkung der „Lusitana“ am 7. Mai 1915 und der „Leinster“ am 10. Oktober 1918 kamen mehr Zivilisten ums Leben. Die Versenkung löste heftige internationale Reaktionen aus. Erst im Sommer 2003 wurde das Wrack entdeckt. Von dem angeblich vorhandenen Juwelen eines indischen Maharadscha keine Spur.)

Die interessante Entwicklungslehre des Charles Darwin

Wie entstehen aus wenigen Urtypen die Pflanzen- und Tiergeschlechter?

Neue Freie Presse am 3.1.1866

Darwin lehrt uns in den geologischen Urkunden Bruchstücke des Stammbaumes der Pflanzen und Tiere zu erblicken. Ausgestorbene Mittelformen zwischen Fisch und Reptil, zwischen Dickhäutern und Wiederkäuern deuten ihm auf gemeinschaftliche Vorfahren. Und wenn wir in den höheren Schichten immer vollkommenere Geschöpfe finden, so sind sie ihm aus den minder ausgebildeten durch zufällige Varietät, Erblichkeit der Eigenschaften, natürliche Züchtung und Kampf ums Dasein entstanden. Nur mussten diese Ursachen während unermesslicher Zeiten und in allen möglichen Richtungen gewirkt haben, um die ganze Buntheit der ausgestorbenen und lebenden Pflanzen- und Tiergeschlechter aus wenigen Urtypen hervorzubringen.

Wenn also aus einem feurig-flüssigen toten Ball die heutige Erde wurde, aus Bergen und Tälern mannichfaltig geformt, ins Grün der Wiesen gekleidet, von Pflanzen und Tieren reich belebt und geschmückt, von Menschen beherrscht und ergründet, so behauptet der moderne Naturforscher: Alles keine Zauberei, sondern nur – Langsamkeit. Er verwirft die wiederholten Schöpfungsperioden als wissenschaftliche Märchen; er kennt nur eine einzige ununterbrochene stetige Fortentwicklung der anfänglich erzeugten Urwesen. Dennoch müssen wir daran erinnern, dass mit dem Auftreten des Menschen, wenn es auch von keiner gewaltsamen Revolution begleitet war, dennoch eine neue Epoche in der Geschichte der Erde begann.

Erinnerung an die Abschaffung der Folter unter Maria Theresia

Am 2. Jänner 1776 machte Österreich einen Schritt in Richtung Aufklärung.

Die Presse am 2.1.1866

Heute ist ein denkwürdiger Tag, der mit glänzenden Buchstaben in der Geschichte unserer heimatlichen Cultur und Sitte verzeichnet ist. Während der Weihnachtsfeiertage des Jahres 1775 wurde Freiherr von Sonnenfels zu Maria Theresia gerufen. Ein Prozess, bei dem man die Folter angewendet, spielte sich eben ab. Der Angeklagte hatte gestanden, aber jedermann schien an seine Unschuld zu glauben. Maria Theresia erörterte diesen Prozess mit dem gelehrten Professor der Staatswissenschaften an der Wiener Universität und vortragenden Hofrat der Kaiserin. Mit feuriger Beredsamkeit ergriff er das Herz der Kaiserin und in dem Bewusstsein, dass „der mächtigste von allen Herrschern der Augenblick sei“, zog er ein bereits fertiges Actenstück aus seiner Tasche, legte es der tiefbewegten Kaiserin vor, und sie unterzeichnete es. Am 2. 1. 1776 wurde verkündet, dass in den Erblanden die Folter durchwegs aufgehoben sei.

Der Zweifel an der Tortur fand seinen Ausdruck übrigens auch darin, dass schon 1775 von der Kaiserin eine Commission zusammengerufen wurde, welche die Möglichkeit der Aufhebung der Folter beraten sollte. Und zu dieser Commission gehörte Joseph v. Sonnenfels, den die Zeitgenossen gemeinsam mit Voltaire und Montesquieu nennen, er, der alles erfasste, was er für das Wohl der Menschheit als bedeutungsvoll erkannte. Sonnenfels war der Mann, dem Maria Theresia vertrauen musste und vertrauen konnte. Sie liebte ihn nicht, aber sie ringt sich ihre Vorurteile gegen ihn ab, und anerkennt ihn unbedingt, wo er es verdient. Mit dem Gesetz der Kaiserin über die gänzliche Abschaffung der Tortur trat Österreich in die Reihe jener Staaten ein, welche lange vorher schon dem Geist der Aufklärung gehuldigt. Aber die Frage war nicht ganz gelöst! Die Gesetzgebung setzte an die Stelle der Folter die Prügel, Lattenkammer, Zwangsjacke, Hunger, Arrest! Und die Wissenschaft gab uns die Verdachtsstrafen! Wo ist der Sonnenfels unserer Zeit?

Die USA werden die neue ökonomische Supermacht

Europa kann ohne Amerika den Krieg nicht finanzieren.

Neue Freie Presse am 1.1.1916

Ein wahrer Goldregen hat sich über den Ozean nach den Vereinigten Staaten ergossen. Amerika war ehedem stets das Land des Kapitalmangels, der Schuldner Europas. Jetzt hat sich das Blatt vollständig gewendet. Die Farmer liefern Brot und Fleisch für die Ernährung der Soldaten, die riesigen Stahlhütten und Fabriken in Amerika Kanonen, Gewehre, Munition für die Fortführung des Krieges an England, Frankreich und Russland. Die Zahlungen für die gewaltigen Bezüge aus den Vereinigten Staaten werden bereits auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. England und Frankreich senden kolossale Pakete amerikanischer Aktien und Bonds über den Ozean zurück, riesige Goldmengen sind aus England, Frankreich und Kanada nach New York geflossen, und doch reichen alle diese Zahlungen nicht aus; den überwiegenden Teil der Lieferungen sind England und Frankreich den amerikanischen Industriellen und Banken schuldig geblieben. Der reiche Goldsegen wird in Amerika nicht ohne Sorge betrachtet; die amerikanische Wirtschaft zeigt bereits Symptome der Inflation, nur dass die Vermehrung der Umlaufsmittel nicht durch Ausgabe ungedeckter Noten, sondern durch Gold erfolgt ist. Amerika schickt sich an, das Erbe des im Krieg so schwer geschwächten, in seiner überragenden Position erschütterten England anzutreten: als Vermittler der Weltumsätze, als industrielle Vormacht, als Geldgeber südamerikanischer Staaten, wo es bereits im Kriege manche Verbindungen Englands und Deutschlands an sich gerissen hat und im Frieden schwerlich wird loslassen wollen.

Anmerkung: Hundert Jahre lang war das Britische Empire die größte Wirtschaftsmacht der Welt gewesen, 1916 war es von den Vereinigten Staaten von Amerika bereits überholt. Die Analyse der „Neuen Freien Presse“ am 1.1.1916 kommt also zu einem richtigen Zeitpunkt, von nun an bis ins 21. Jahrhundert blieb die amerikanische Wirtschaftsmacht entscheidend für die Weltwirtschaft. Zugleich stellt der Artikel die historische Bedeutung der Verlagerung der Finanzarchitektur hervor. Die Kriegsanleihen der Entente stellten das alte Finanzsystem auf den Kopf. Vor dem Krieg war das Geld der privaten Investoren in London und Paris, den reichen Zentren Europas, an Kreditnehmer in Randgebiete geflossen. 1915 begann sich die Geldquelle derer, die um Kredite Schlange standen, an die Wall Street zu verlagern. Die mächtigsten Staaten Europas liehen sich von privaten Anlegern in den Vereinigten Staaten Geld (oder von wem auch immer, der ihnen Kredit gewährte), sie wurden abhängig von ausländischen Geldgebern, die der Entente einen Vertrauensvorschuss gewährten. Gegen Ende 1916 hatten amerikanische Investoren zwei Milliarden Dollar auf einen Sieg der Entente gesetzt. Abgewickelt wurden die Transaktionen von einer einzigen Privatbank, dem Wallstreet-Bankhaus J.P. Morgan, eine einzigartige internationale Verflechtung von staatlicher und privater Macht. Sie wurde unterstützt von der wirtschaftlichen und politischen Elite der USA und führte zu einer Mobilisierung der amerikanischen Wirtschaft. Dementsprechend groß war in der Folge der politische Einfluss der USA auf die Entente, die Macht der Darlehen war erdrückend. In London forderten zumindest bis Ende 1916 einflussreiche Stimmen, sich von der Abhängigkeit von amerikanischen Krediten zu befreien. Deutschland hatte das Privileg dieser Unterstützung nicht, die Seeblockade kam hinzu, so wurden ab dem Winter 1916/17 die Stadtbewohner in Deutschland und Österreich langsam, aber sicher ausgehungert. 1916 war also ein Schlüsseljahr, nicht zuletzt deswegen beginnt der amerikanische Historiker Adam Tooze seine kürzlich erschienene beeindruckende Darstellung der Zwischenkriegszeit „Sintflut – Die Neuordnung der Welt 1916 bis 1931“, Siedler Verlag, mit dem Jahr 1916.

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