"Legend": Zwillinge, "zur Gewalt geboren"

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In den 1960ern beherrschten die Kray-Zwillinge Londons Unterwelt. Derzeit facht der Kinofilm "Legend" den Mythos um die brutalen Brüder weiter an.

Zehntausend Menschen säumen die Straßen Londons, als sechs Rappen die mit Blumen übersäte Kutsche mit dem Sarg vorbeiziehen. Die Polizei sperrt Straßen ab, um die Prozession aus Kutsche und 26 schwarzen Limousinen passieren zu lassen. Prominente beten in der Kirche für die Seele des Verstorbenen. Der hatte einst von sich gesagt: "Ich wusste schon in jungen Jahren, dass ich einmal einen Menschen töten werde".

Dass Ron Kray auch ein Celebrity werden würde, hätte er sich wohl weniger leicht vorstellen können. In den 1960er-Jahren beherrschte er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Reg nicht nur Londons Unterwelt, die Brüder scharten auch Stars und Politiker um sich. Zum Zeitpunkt seines tödlichen Herzanfalls im März 1995 saßen die beiden seit 25 Jahren hinter Gittern. Als Reg fünf Jahre später starb, war die Menge der Schaulustigen schon deutlich kleiner. Der Mythos der Kray-Zwillinge lebt aber bis heute, angefacht auch durch dutzende Bücher und Filme - derzeit läuft in den Kinos "Legend" mit Tom Hardy in einer Doppelrolle als beide Brüder.

Tom Hardy in ''Legend''
Tom Hardy in ''Legend''(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)

"Ich wurde geboren, um gewalttätig zu sein"

Ronald und Reginald Kray werden 1933 in eine Umgebung hineingeboren, in der, wie sie selbst lebenslang betonten, es nur zwei Möglichkeiten zum Aufstieg gibt: Boxen oder Verbrechen. Die Krays probieren beide Methoden ziemlich erfolgreich. "Ich wurde geboren, um gewalttätig zu sein", erklärt Reg in der Autobiografie "Our Story". Er und sein Bruder hätten es immer geliebt, zu kämpfen, im Boxring wie auf der Straße. Schließlich wird aber doch das Verbrechen und nicht der Sport zum "Erfolgsweg" der Krays. Das bitterarme Londoner East End gilt damals als eine Welt mit eigenen Gesetzen und eigener Moral, wobei eine Regel ganz oben steht: Mit der Polizei wird nicht geredet.

Schon als Jugendliche gründen die Krays eine Gang, bei Bandekämpfen  machen sie sich einen Ruf als furchtlos und brutal. Ihnen wird eine telepathische Verbindung nachgesagt, an die zumindest Ron auch zeitlebens glaubt. Jedenfalls aber ist ihre Verbindung stets extrem eng. Ihre Mutter Violet ruft die Beiden seit Geburt nur "die Zwillinge". Biograf John Pearson behauptet in seinem Buch "Notorious: The Immortal Legend of the Kray Twins" sogar ein inzestuöses Verhältnis zwischen den Zwillingen. Sie hätten sich in jungen Jahren ihrer Homosexualität (bzw. in Regs Fall: Bisexualität) so sehr geschämt, dass sie sie nur miteinander ausgelebt hätten.

Mitte der 1950er Jahre beginnt der Aufbau der "Firma", wie die kriminelle Organisation der Krays genannt wird. Die ersten Einnahmen fließen in Form von Schutzgeld. Später werden die Zwillinge Besitzer eines Nachtclubs und eines Casinos, in denen sich Schauspielerinnen neben Schlägern amüsieren.

Reg Kray und Schauspielerin Barbara Windsor
Reg Kray und Schauspielerin Barbara Windsor(c) imago stock&people (imago stock&people)

Die Zwillinge lassen sich dunkelblaue Anzüge schneidern und gefallen sich in der Rolle der glamourösen Gastgeber. Vor allem Ron steht im Mittelpunkt. Er ist, wie später diagnostiziert wird, paranoid schizophren, hat seine Krankheit mit Medikamenten nur zeitweise im Griff. 1959 wird er nach einer Verurteilung wegen Körperverletzung vom Gefängnis in eine psychiatrische Anstalt verlegt. Dort wittert er überall Verschwörungen, den Mann im Nebenbett hält er für einen Hund. Die Ärzte beurteilen ihn als "verrückt", ohne eine konkrete Diagnose zu stellen. Er sei ein "einfacher Mann mit niedriger Intelligenz, kaum in Kontakt mit der Außenwelt".

Ausbruch durch Kleidertausch

Ron droht ein lebenslanger Psychiatrieaufenthalt, doch er kann sich wie immer auf seinen Bruder verlassen: Bei einem Besuch tauscht Reg mit Ron die Kleider. Der skurrile Plan geht auf: Ron spaziert als "Besucher" aus der Anstalt, Reg darf später nach Vorlage seines Führerscheins ebenfalls gehen. Die Familie findet einen Psychologen, der gegen gutes Geld ein positives Gutachten über Rons Geisteszustand erstellt. Damit in der Tasche stellt sich Ron nach sechs Monaten und muss nun nur noch seine Reststrafe im Gefängnis absitzen.

Esmeralda's Barn, das Casino der Krays
Esmeralda's Barn, das Casino der Krays(c) imago stock&people (imago stock&people)

Wenige Jahre später muss auch Reg für sechs Monate ins Gefängnis. In dieser Zeit geht es mit dem florierenden Casino-Geschäft bergab. Ron verprasst das Geld und gibt Spielern Kredite. Die kriminellen Geschäfte sind ihm aber ohnehin lieber, und die laufen weiter bestens. Neben den Schutzgelderpressungen verdienen die Zwillinge unter anderem, indem sie für die US-Mafia gestohlene Schuldverschreibungen zu Geld machen. Immer mehr Mythen rankten sich in der Öffentlichkeit um die Zwillinge, Geschichten über brutale Gewalttaten - manche davon wahr, manche erfunden. Keine Erfindung ist etwa Regs gefürchteter "Zigarettenschlag". Mit der linken Hand bietet er seinem Gegenüber eine Zigarette an. Wenn derjenige sie sich in den Mund steckt, schlägt er mit der Rechten gegen das Kinn - durch den geöffneten Mund bricht es leichter. Ihren Ruf als "Unberührbare" stärken die Brüder auch mit der Befreiung des "irren Axtmanns" Frank Mitchell aus dem Gefängnis, den sie später angeblich erschießen lassen haben.

Natürlich bleibt das Treiben auch der Polizei nicht verborgen. Scotland Yard führt eine umfangreiche Akte über die Krays. Doch neben der mangelnden Bereitschaft der Opfer, gegen die Brüder auszusagen, macht auch noch ein politischer Skandal sie zu "Unberührbaren". Mindestens zwei Abgeordnete sollen Rons homosexuelle Sexpartys besucht haben, Regierung wie Opposition sollen das vertuscht haben.

"Wir regierten London"

"Wir regierten London. Nichts konnte uns zu diesem Zeitpunkt aufhalten", schreibt Ron in "Our Story". Starfotograf David Bailey setzt den Brüdern mit einem im "Vogue"-Studio aufgenommenen Porträt ein Denkmal. Biograf Pearson meint, "Monster" seien in den 1960ern "en vogue" gewesen. Gerade in Ron Kray habe London das Monster gefunden, das es gesucht habe: "Er sah wie ein Mörder aus, lange bevor er wirklich einer wurde". Hatte die Zwillinge in jungen Jahren nur ihre Mutter unterscheiden können, sieht Rons Gesicht durch den Einfluss der Medikamente nun deutlich verändert aus.

Reg, Charles (älterer Bruder) und Ron Kray
Reg, Charles (älterer Bruder) und Ron Kray(c) imago stock&people (imago stock&people)

1965 versuchen zwei Scotland-Yard-Inspectoren trotz der mangelnden Unterstützung der Führung der Behörde, die Zwillinge zu stoppen. Ihre Chance wittern sie in einem vergleichsweise harmlosen Fall: Ein Kray-Kumpan hat einen Klubbesitzer bedroht, der sein Lokal nicht an die Krays verkaufen wollte. Die Krays werden wegen Erpressung angeklagt. Der Fall stärkt jedoch den Nimbus der Unberührbarkeit nur noch mehr: Die Krays bedrohen bzw. bezahlen Zeugen und mindestens einen Geschworenen und kehren als gefeierte Sieger im Kampf gegen die Polizei nach Hause zurück. Und den Klub, der Auslöser für das Verfahren war, bekommen sie auch noch.

Mord vor Zeugen

Den Fall der Brüder läutet der 9. März 1966 ein: An diesem Nachmittag betritt Ron das Pub "Blind Beggar", marschiert auf den Kleinkriminellen George Cornell zu, drückt ihm eine Waffe an die Stirn und drückt ab. Cornell ist sofort tot. Das Motiv für diesen Mord ist bis heute nicht ganz klar: Ron zufolge nannte ihn Cornell einmal "fette Schwuchtel", und einen Tag vor der Tat soll die Gang, der Cornell angehörte, ein Mitglied der "Firma" getötet haben. Pearson zufolge war die Person des Opfers im Grunde nebensächlich: Ron habe seit längerem vorgehabt, jemanden zu töten, irgendjemanden. Tatsächlich erklärt Ron in der Autobiografie: "Ich wusste schon in jungen Jahren, dass ich einmal einen Menschen töten werde." Und zur Tat selbst: "Niemals davor oder danach habe ich mich so gut gefühlt."

Vorerst kommt Ron mit seiner Tat davon. Reg räumt hinter seinem Bruder her, die Zeugen im Pub werden von Mitgliedern der "Firma" eingeschüchtert. Rons Verfolgungswahn wird wieder schlimmer, aber auch Reg wird psychisch immer instabiler. Nach dem Selbstmord seiner Frau Frances Shea im Juni 1967 trinkt er immer exzessiver. Frances war schon zwei Jahre zuvor, acht Wochen nach der Hochzeit, wieder zu ihrer Familie gezogen, physische Gewalt soll dabei anders als im Film "Legend" dargestellt keine Rolle gespielt haben.

Hochzeit von Frances Shea und Reggie Kray
Hochzeit von Frances Shea und Reggie Kray(c) imago stock&people (imago stock&people)

Im Oktober 1967 wird auch Reg zum Mörder. Sein Opfer ist Jack "The Hat" McVitie, der immer wieder Aufträge für die Brüder erledigt hat. Zuletzt beauftragte ihn Ron damit, ihren früheren Berater Leslie Payne umzubringen. McVitie scheitert daran nicht nur, sondern stößt auch noch öffentlich Drohungen gegen die Brüder aus. Am 29. Oktober 1967 lassen sie ihn zu einer Party locken, wo Reg mit einem Küchenmesser auf ihn einsticht, nachdem seine Pistole versagt hat.

Davon ahnt Inspector Leonard "Nipper" Read noch nichts, der zu dieser Zeit seine Ermittlungen gegen die Krays seit kurzem wieder aufgenommen hat. Diesmal hat er Erfolg: Leslie Payne sagt gegen das Verbrechersyndikat aus. Mit diesen Angaben im Gepäck erhält der Inspector zudem die Aussagen mehrerer Opfer. Am 8. Mai 1968 werden zeitgleich die Krays und die meisten ihrer Komplizen festgenommen. Viele davon sagen schließlich im Prozess gegen ihre Bosse aus, um eine mildere Strafe zu erhalten. Am 8. März 1969 werden die Brüder wegen der Morde an Cornell und McVitie zu lebenslanger Haft verurteilt, der vorsitzende Richter Melford Stevenson empfiehlt eine Freilassung frühestens nach 30 Jahren: "Die Gesellschaft verdient eine Pause von Ihren Aktivitäten."

Erfolg auch noch hinter Gittern

Viel ist aber in den kommenden Jahrzehnten nicht zu spüren von einer Pause: Die Krays geben Interviews, veröffentlichen Bücher, heiraten medienwirksam, verkaufen T-Shirts mit ihrem Konterfei - und zeigen keinerlei Reue. Ihre Mordopfer seien brutale Gangster gewesen. "Wir haben Dinge gesehen und getan, von denen die meisten normalen Menschen nur träumen können", prahlt Reg in "Our Story". Die einzigen Fehler seien gewesen, sich die Hände bei den Morden selbst schmutzig gemacht und zu vielen Menschen vertraut zu haben.

Weitere Morde bestreiten die Zwillinge bis zu ihrem Tod. Laut Pearson sollen in ihrem Auftrag aber mindestens zwei weitere Menschen umgebracht worden sein. Ein ehemaliger Zellengenosse von Reg behauptete 2002 zudem, Ron habe dessen Frau Frances zum Schlucken der tödlichen Dosis Tabletten gezwungen.

Ihren letzten gemeinsamen Auftritt haben die Zwillinge, die ihre Strafe getrennt absitzen müssen, bei der groß inszenierten Beerdigung ihrer Mutter im Jahr 1982 - so wie später bei Ron säumen dabei Zehntausende die Straßen. Reg stirbt im Oktober 2000, fünf Wochen nach seiner Freilassung, an Krebs. Bei der Beerdigung umrahmen Blumen seinen Sarg, die das Wort "Legend" formen. Der gleichnamige Film facht den Mythos nun weiter an.

Ron Crays Begräbnis
Ron Crays Begräbnis(c) Reuters /Kevin Lamarque

Literatur

Our Story

Reg Kray, Ron Kray, Fred Dinenage

Pan Books


Notorious: The Immortal Legend of the Kray Twins

John Pearson

Arrow Books

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