Staatsbürgerschaftsstreit: Ausbürgerung für Jihadisten?

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Wolf Biermann, Albert Einstein, Hannah Arendt – vielen Prominenten wurde in Diktaturen die Staatsbürgerschaft aberkannt. Soll man heute Terroristen ausbürgern? Über eine vor allem symbolische Debatte.

Für manche war es schon der Anfang vom Ende der DDR. Während einer Tournee durch die Bundesrepublik im Jahr 1976 erfuhr der Liedermacher Wolf Biermann von seiner Ausbürgerung, er durfte nicht mehr in sein Land zurück. Biermann habe in einem Konzert „aus dem Zusammenhang gerissene ausgewählte Aussprüche Rosa Luxemburgs“ zitiert, um „nachzuweisen, dass in der DDR keine Diktatur des Proletariats, sondern die ,Diktatur einer Parteiclique‘ herrschen würde“, heißt es in einem Stasi-Bericht. Unzählige Künstler in Ost und West solidarisierten sich daraufhin, in der DDR gab es den ersten offenen Protest seit über zehn Jahren. Viele, die dem kommunistischen Regime kritisch, aber grundsätzlich solidarisch gegenüberstanden, gingen nun radikaler auf Distanz. Und Biermann nutzte seine dadurch gestiegene Beliebtheit für weitere Regimekritik.

Brecht, Tucholsky, Thomas Mann

Biermanns Ausbürgerung gehört zu den bekanntesten der europäischen Zeitgeschichte – und zu den wirksamsten; wenn auch nicht im Sinn derer, die sie beschlossen haben. Mit den im deutschsprachigen Raum bekanntesten Fällen hat sie eines gemeinsam: dass sie nicht legitimes Mittel eines demokratischen Rechtsstaats war, sondern repressive Maßnahme eines diktatorischen Regimes. Unvergleichlich länger als die Liste der von der DDR beschlossenen Ausbürgerungen war die des NS-Regimes; fast 40.000 Personen waren davon betroffen, unter anderem Hannah Arendt, Albert Einstein, Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann und Kurt Tucholsky. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft in der NS-Zeit konnte in ihrer Zielsetzung durchaus an die mittelalterliche Reichsacht erinnern: Diese erklärte einen Menschen für vogelfrei, er war aus der Gemeinschaft ausgestoßen, jeder durfte ihn töten. Auch Martin Luther traf es; glücklicherweise für ihn sah sein Landesherr das anders und gab ihm Asyl auf der Wartburg.

Auch im österreichischen Ständestaat wurde vielen politisch Unliebsamen die Staatsbürgerschaft aberkannt. Heute klingt die Frage legitimer: Soll man Terroristen und Jihad-Kämpfern die Staatsbürgerschaft aberkennen, wenn ja, wie? In den letzten Jahren wurde immer öfter darüber diskutiert, auch in Österreich hat man solche Maßnahmen erleichtert. Zurzeit beherrscht das Thema die französische Tagespolitik. Die sozialistische Regierung, deren Chef, François Hollande, noch vor ein paar Jahren Aberkennungen der Staatsbürgerschaft strikt abgelehnt hat (als der Vorschlag vom Rivalen Nicolas Sarkozy gekommen ist), befürwortet eine Verfassungsänderung jetzt mit dem Argument, es sei eben Krieg.

Das klingt zumindest historisch logisch, die Aberkennung der Staatsbürgerschaft in Europa ist ursprünglich ein Kriegsthema: Frankreich war im Ersten Weltkrieg das erste Land, das die Ausbürgerung von (suspekten, etwa deutschstämmigen) Staatsangehörigen ermöglicht hat, etliche Länder haben in den folgenden Jahren ähnliche Gesetze erlassen.

Aber in Wirklichkeit geht es fast ausschließlich um Symbolik: Man will demonstrieren, dass man den Terrorismus bekämpft. Tatsächlich wäre der Effekt des Regierungsantrags minimal, obwohl dafür eigens die französische Verfassung geändert werden müsste. Erreicht werden kann nur die Ausweitung der schon vorhandenen Ausbürgerungsmöglichkeit auf in Frankreich Geborene und solche, die schon mehr als 15 Jahre im Land sind. Wie auch in Deutschland und Österreich sind freilich weiterhin nur Menschen mit zwei Pässen davon betroffen; denn die Personen dürfen nicht staatenlos werden, das verstieße gegen internationale Abkommen. Von den vielen Terroristen, die in Frankreich in den letzten Jahren an Anschlägen beteiligt waren, träfe das neue Gesetz somit nur einen einzigen.

Terroristen staatenlos machen?

Anders als Frankreich, Österreich oder Deutschland hat England 2013 die Möglichkeit geschaffen, unter äußersten Umständen Menschen die Staatsbürgerschaft sogar dann zu entziehen, wenn sie dadurch staatenlos werden (eine Änderung, die Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, europaweit befürwortet hat). Der politische Aktionismus in Frankreich hingegen erinnert eher an österreichische und deutsche Ausbürgerungsdiskussionen der letzten Jahre. Zum Beispiel daran, wie die Grünen die Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft Arnold Schwarzeneggers forderten, nachdem dieser 2007 als Gouverneur einem zum Tod Verurteilten die Begnadigung verweigert hatte. Oder an die vergeblichen Anträge zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft von Adolf Hitler: Diese sei formaljuristisch nicht möglich, beschied ein deutsches Gericht, da ein Toter kein Träger von Rechten sein könne, ihm also auch keine Rechte nachträglich wieder entzogen werden können. Außerdem würde Hitler, der 1925 freiwillig auf die österreichische Staatsbürgerschaft verzichtete, sonst staatenlos. Und das verbiete das Grundgesetz . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2016)

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