Verkehrsgeschichte: Der holprige Siegeszug des Autos

Pferdelose Kutschen, zum eigenen und zum Gaudium des Straßenpubikums.
Pferdelose Kutschen, zum eigenen und zum Gaudium des Straßenpubikums.(c) Daimelr AG
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„Was uns bewegt“ ist Thema des neuesten Produkts aus der Reihe „Presse“-„Geschichte“. Unter anderem erzählt Historikerin Ebert über die Anfänge der Automobilisierung.

Wien. Anne-Katrin Ebert hält im Technischen Museum Wien sozusagen die Räder am Laufen, sie ist dort Bereichsleiterin für Verkehr und Mobilität. Im folgenden Auszüge aus einem Interview, das sie für das Verkehrsgeschichte-Magazin der „Presse“ gab.

„In der Rückschau ist es klar: Um 1900 hat der Siegeszug des Autos begonnen. Doch für die Zeitgenossen war es das keineswegs. Zu Beginn war es in keiner Weise absehbar, dass das Auto unser ganzes Leben und die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft funktioniert, prägen und verändern würde.

Wenn wir von Automobilisierung sprechen, dann klingt das so, als ob klar wäre, wo und wofür das Auto überall eingesetzt wird. Aber tatsächlich ist auch das lange Zeit völlig undeutlich gewesen. Ist das jetzt ein Stadtwagen, eine Wochenendabenteuermaschine, ein Ich-fahr-hinaus-Wagen oder ist es schlicht ein nützliches Werkzeug für den Farmer? Im Mittelwesten der USA kauften in den 1920er-Jahren Farmer ein Auto, in erster Linie das Modell T von Ford, und setzten es für alles Mögliche ein, für den Transport von Kleinvieh oder Heu oder als Antrieb für die Säge und dergleichen. Was in Amerika geschah, war eine ländliche Automobilisierung, während es in Europa, in Österreich ein Phänomen aus den Städten heraus war. Der Witz ist nur, dass die USA gerade in den 1920er- und 1930er-Jahren diese enorme Strahlkraft als modernes Land hatten und damit die Erwartung aufgebaut wurde, dass auch Europa stärker automobilisiert werden muss. Dem wurde politisch entsprochen. Wie fortschrittlich ein Land ist, wurde plötzlich daran gemessen, wie viele Autos und Motorräder es dort gibt. Und wenn man einmal damit anfängt, das Auto als Gradmesser für den Zustand und den Entwicklungsgrad einer Gesellschaft zu nehmen, so bekommt es ganz schnell eine große Bedeutung. Das sieht man in Österreich und Deutschland – beides Länder, die nicht besonders stark mobilisiert waren, da wurde die Politik zunehmend nervös.

Die frühen Automobilisten hatten einen permanenten Rechtfertigungszwang, weshalb sie mit dem Auto unterwegs sind: Es ist laut und stört, es ist gefährlich, es passieren Unfälle. Auch sind die Straßen nicht dafür ausgelegt – es gibt diese gigantischen Staubwolken. Das war damals ein Riesenthema: die sogenannte Staubplage. Man kennt diese Karikatur, bei der man auf den Horizont schaut und als Erstes nur diese Staubwolke von dem Auto sieht, das da kommt. Die Kritiker haben gesagt: ,Das Auto bringt nichts, das ist nur zum Vergnügen der Automobilisten, und die Gesellschaft hat nichts davon.‘ Um 1900 erscheint ,Radfahrseuche und Automobilunfug‘ von Emil Jung, eine von vielen Streitschriften gegen die neue Mode.

Lustig ausfahren

Autofahrer waren eine Schicht in den Städten, die technikaffin war und meist aus dem gehobenen Bürgertum kam. Sie begeisterten sich für die neuen Techniken, stiegen häufig ein mit dem Fahrrad und irgendwann um auf das Automobil. Man hat eine Freude an der Geschwindigkeit, die man mit Reisen in die Ferne verbindet, was eben wirklich dem eigenen Genuss dient. Daher der Rechtfertigungszwang. So hat es von Anfang an diese Tendenz der frühen Autofahrerklubs gegeben, die einerseits zum Wochenende lustig ausfahren und andererseits darauf hinweisen, wie ungemein nützlich das Auto für die Gesellschaft ist.

Wilhelm II. sagte: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Man sah keineswegs in diesen Kreisen eine revolutionäre Technik. Das hatte auch mit Standesbewusstsein zu tun: 1893 gab es einen Offiziersritt, bei dem man schauen wollte, wer am schnellsten ist. Die Österreicher ritten von Wien nach Berlin, die Deutschen von Berlin nach Wien. Dabei wurden die Pferde praktisch zu Tode geritten, was im Bürgertum eine Welle der Empörung nach sich gezogen hat – wie die armen Tiere da zugrunde gerichtet werden. Und man wollte zeigen, wie sich das mit Technik viel humaner lösen lässt: Mit einem Radrennen von Berlin nach Wien. Mit dem Fahrrad und dem Automobil haben wir so eine bürgerliche Gruppe, die versucht, mehr Geltung in der Gesellschaft zu bekommen.“

VERKEHRSGESCHICHTE

Aus dem Inhalt.

Vom Pilgern und Wandern – Unterwegs mit Postkutsche und Bahn – Freiheit des Radfahrers – Zeiserlwagen bis Zweierlinie – Österreichs Autogeschichte – Auf der Donau und in der Luft. 120 Seiten. Versandkostenfrei erhältlich unter DiePresse.com/geschichte um 8,90 € (Abonnenten 6,90 €) und im Handel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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