Der lange Weg der Seidenkarawanen

Zwei bis drei Jahre konnte in der Antike der Transport von China bis ans Mittelmeer dauern.
Zwei bis drei Jahre konnte in der Antike der Transport von China bis ans Mittelmeer dauern. Die Presse/Petra Winkler
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Seit 2000 Jahren ist die Seidenstraße ein Bindeglied zwischen China, Zentralasien und Europa. Allein schon das Wort ruft faszinierende Bilder hervor: von Oasen im Wüstensand, Kaufleuten, die mit Stoffen und Gewürzen handeln und wundersamen Reisen.

Die Geschichte der jahrtausendealten Seidenstraße zu beschreiben ist ein riskantes Unterfangen für den Autor, es erinnert an die Herausforderung, der sich der reisende Kaufmann mit seiner Kamelkarawane einst unterzogen hat. Wie soll er sich auf dem mythischen Trampelpfad durch die unwirtlichen und unübersehbaren Räume zwischen Orient und Okzident zurechtfinden? Ständig droht ihm Gefahr, dass er vom richtigen Weg abirrt, ihn seine Orientierungskraft verlässt und er sich ablenken lässt von der faszinierenden Landschaft und Abenteuern auf seinem Weg und so das erstrebte Ziel verfehlt. Denn nicht von einer Trasse oder Straße sprechen wir hier, sondern von einem riesigen Routengeflecht, das beherrscht wird von wasserlosen, glühend heißen Wüstenstrichen und den höchsten Gebirgsketten der Erde mit tiefen Schluchten und vereisten Pässen.

Obwohl man sich eine Route nicht qualvoller, nicht unwirtlicher vorstellen kann, wurde sie über zweitausend Jahre als transkontinentale Verbindung und längstes Wegenetz der vormodernen Welt zwischen Asien und dem Mittelmeerraum aufrechterhalten, trotz Gefährdungen durch Kriege, Räuber, Erdbeben, Sandstürme. Große Reiche kamen und verschwanden, der Handelsweg blieb. Waren die Zeiten zu unruhig, wählte man neue Routen oder fuhr übers Meer, doch nie gab man den Weg ganz auf, kehrte immer wieder zu ihm zurück.

Magie des Wortes.
Die Geschichte der Menschheit erzählt von vielen legendenumwobenen Handelsadern, dem Pelzweg nach Sibirien etwa, der arabischen Straße der Wohlgerüche, der Bernsteinstraße von der Ostsee zum Mittelmeer, doch sie alle kennen nicht die märchenhaften Umrankungen wie die große Seidenstraße, auf der ab dem Ende des 1. Jahrtausends vor Christus die berühmten chinesischen Seidenstoffe aus dem „Himmlischen Imperium“ in den Westen transportiert wurden. Der venezianische Kaufmann Marco Polo ist bis heute der berühmteste China-Reisende auf dieser Route. Doch in vormoderner Zeit kannte man den Namen Seidenstraße noch gar nicht, die magische Wortschöpfung mit ihren Assoziationen von Exotik und Luxus würde als Markenname ihrem Urheber heute jede Auszeichnung für Emotional Branding verschaffen.

Dabei war es ein deutscher Professor, der viel gereiste Geograf Ferdinand von Richthofen, der das Wort 1877 prägte und in wissenschaftlicher Präzision über die „centralasiatischen Seidenstraßen“ erzählte. Auf den Plural legte er Wert, denn er kannte all die Verästelungen und Ausläufer, die zusammengerechnet eine halbe Erdumrundung ausmachten. Seine geniale Wortschöpfung findet sich heute in vielen Sprachen, sie setzte sich sogar im Chinesischen durch. 1936 erschien dann Sven Hedins berühmtes Buch „Die Seidenstraße“, der große schwedische Forscher bereiste China und Zentralasien bereits mit dem Auto.

Das bestgehütete Geheimnis Ostasiens war in antiker Zeit die Herstellung der Seide. Wann die Chinesen erstmals die Entwicklung vom Ei des Seidenspinners über die Raupe bis hin zum Schlüpfen des Schmetterlings aus dem Kokon beobachteten und merkten, dass man aus einem unzerstörten Kokon einen Faden gewinnen konnte, ist im Legendendunkel verborgen. Jeder Bauer in China pflanzte nach der Entdeckung auf Geheiß des Herrschers auf seinem Grund Maulbeerbäume, deren Blätter der Raupe Nahrung lieferten. Der nächste Schritt war die Einrichtung von Seidenwebereien, bald war Seide im Überfluss da und Chinas Kaiser erkannten die enormen wirtschaftlichen Möglichkeiten, die im Handel mit dem Luxusprodukt steckten.

Um Christi Geburt florierte bereits der Export der Seide auf der Seidenstraße ins Römische Reich, die Ausfuhr von Raupeneiern und Maulbeersamen aus China war unter Todesstrafe verboten: So blieb das Monopol jahrhundertelang aufrecht. Auch wenn man versucht hätte, die Raupe in den Westen zu schmuggeln: Sie hätte die lange Reise gar nicht überlebt. Die wohlhabenden Granden in Rom verfielen dem exotischen Gewebe ganz und gar, Gewebe aus Leinen und Seidenfäden wurden von den vornehmen Römerinnen als Unterkleidung getragen. Horrende Preise wurden für die Seide im Westen bezahlt, „so viel kosten uns unser Luxus und unsere Frauen“, jammerte Plinius. Sie wäre billiger gewesen, wenn die Chinesen mit den Römern direkt gehandelt hätten, aber der Handel erfolgte über viele Zwischenhändler. Keiner hat die ganze Strecke von 6000 Kilometern je zurückgelegt, immer verlief der Handel über Oasen, Stationen, Stützpunkte, immer fielen Zölle an, die Ware wurde immer teurer.


Durch die Wüste.
Stellen wir uns die erste Gruppe von Händlern vor: Sie macht sich etwa um 100 vor Christus von Chinas alter Hauptstadt Changan, dem heutigen Xian, auf, sie wird angeführt von einem erfahrenen Kaufmann, der seine Seidenstoffe in Rollen verpackt auf seinen Karren lädt.

Nur im östlichsten Teil der Route reist er unter dem Schutz der Zivilisation auf gut gebauten Wegen, dann kreuzt er den Gelben Fluss, nun wird die Fracht umgeladen auf Kamele, 150 Kilo pro Tier. Die Lasten müssen sorgfältig auf dem Rücken der Tiere austariert werden, je sechs von ihnen werden von einem Kamelführer gelenkt. Die Karawane folgt einem Korridor zwischen der Wüste Gobi im Norden und Tibet im Süden. Solange sie im Reich des Kaisers unterwegs ist, sieht man in regelmäßigen Abständen Türme, auf denen Soldaten sitzen. Doch mit dem Erreichen der Jadetorgrenze wird die Grenze der Zivilisation überschritten, es beginnt Wüstengebiet. Nun lauern Gefahren und Herausforderungen: Die Kamele werden unerbittlich angetrieben, die Karawane darf nicht stehen bleiben, sonst gehen die Wasservorräte aus, 30 Kilometer müssen pro Tag zurückgelegt werden bis zur nächsten Oase. Die Wüste bietet sonst keinen Rastplatz, manchmal ist man wegen der Hitze des Nachts unterwegs. Mörderisch ist die Takla-Makan-Wüste, sie muss umgangen werden, es bildet sich eine nördliche und eine südliche Route heraus, sie treffen sich bei Kashgar. Längst ist es nicht mehr die alte Karawane, sie wurde auf den Umschlagplätzen, auf Märkten und in Karawansereien, ausgetauscht gegen neue Tiere, die Waren wurden weiterverkauft an neue Händler, die sich nun auf den Weg machen.

Nun folgen die nicht minder gefährlichen, oft verschneiten Pässe der Hochgebirge, über 4000 Meter hoch, die des Karakorum und durch das Indus-Tal nach Indien über den hohen Pamir. Kamele eignen sich nicht für die dünne Luft und die schwindelerregenden Pfade, so wird auf Yaks umgesattelt, an den steilsten Hängen laden sich die Männer die Lasten selbst auf den Rücken. Über die Oasen Samarkand und Buchara geht es nach Teheran, die größte Stadt an der Seidenstraße, und schließlich nördlich von Damaskus und Palmyra zum Mittelmeer.

Die Seidenstraße war jedoch keine Einbahnstraße von Ost nach West. Für Seide, Porzellan, Teppiche und Gewürze lieferte der Westen Glas und Edelsteine, und vor allem: seine Kultur. Über diese Route erreichte der indische Buddhismus China. Mittelasien war ein ständiger Umschlagplatz für die von allen Wegen der Seidenstraße hier zusammenströmenden Waren. So entwickelte jede Route der Seidenstraße ein eigenes Gesicht, der Süden als Vermittler der großen Religionen, die Nordroute für die Wanderungsbewegung der Nomaden. Dieser interkulturelle Gedanke – die Seidenstraße als erstes großes Beispiel der Globalisierung – ist heute wieder aktuell geworden, als Achse eines gewaltigen Wirtschaftsraums.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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