Justiz: „Eine Menschenverachtung, die beispiellos ist“

The internal prison of the former concentration camp Mauthausen near Linz
The internal prison of the former concentration camp Mauthausen near Linz(c) REUTERS (DOMINIC EBENBICHLER)
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Die Begründung, mit der die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Wiederbetätigung einstellte, sorgt auch seitens des Justizministeriums für Kritik.

WIEN. „Die Begründung ist unfassbar, das ist eine Menschenverachtung, die beispiellos ist“, betont Christian Pilnacek, Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium. „Mit einem gut gelebten Vieraugenprinzip hätte so etwas nie passieren dürfen“, sagt Pilnacek im Gespräch mit der „Presse“. Und kritisiert die Staatsanwaltschaft Graz, die ein Verfahren wegen eines in der FPÖ-nahen Zeitschrift „Aula“ erschienenen Artikels einstellte.

Der 2015 unter dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ erschienene Artikel widmet sich den Folgen der Befreiung des KZs Mauthausen. „Die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der befreiten Häftlinge aus Mauthausen den Menschen zur Landplage gereichte, gilt für die Justiz als erwiesen und wird heute nur noch von KZ-Fetischisten bestritten“, heißt es. Und weiter: „Raubend und plündernd, mordend und schändend plagten die Kriminellen das unter der ,Befreiung‘ leidende Land.“

Die Staatsanwaltschaft Graz ermittelte nach einer Anzeige des Grün-Mandatars Harald Walser, sie stellte das Verfahren aber ein. Gegenüber dem Autor des Artikels begründete dies eine Staatsanwältin schriftlich so: „Es ist nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs darstellte.“ Und „da zu den Befreiten neben den überwiegend jüdischen Lagerinsassen auch aufgrund von Gewalts- und Eigentumsdelikten deponierte Häftlinge zählten“, könne „nicht ausgeschlossen werden“, dass es nach der Befreiung zu Straftaten gekommen sei.

NS-Maßnahmen würden im Artikel nicht gutgeheißen, meinte die Staatsanwältin. Es liege daher keine Wiederbetätigung vor, auch die Delikte Verleumdung und Verhetzung würden ausscheiden.

Man hätte zumindest Personen einvernehmen müssen, um zu klären, ob durch die Übernahme der Diktion des NS-Regimes Wiederbetätigung vorliegt, meint Pilnacek. Das Justizministerium, das an sich gegenüber Staatsanwälten weisungsbefugt ist, könne hier aber nichts mehr machen. Denn man sei erst nach der Einstellung verständigt worden. Nur der unabhängige Rechtsschutzbeauftragte der Justiz, Gottfried Strasser, könnte in dem Fall Ermittlungen wieder ins Rollen bringen können, sagt Pilnacek.

Keine neuen Ermittlungen

Die Frist dafür ließ der Rechtsschutzbeauftragte aber verstreichen. Strasser hält die Einstellung „für unbedenklich“. Dass es im KZ auch inhaftierte Rechtsbrecher gegeben habe, sei ein historisches Faktum, sagt er und verweist auch auf seine Kindheit in der Nähe des KZs. So habe es im KZ auch Kriminelle gegeben, die von der SS im Lager als Capos eingesetzt worden seien. Ein Mann habe seinen Vater, einen Polizisten, damals sogar mit einer Pistole bedroht, so Strasser.

Für Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs fällt der Artikel insbesondere durch seine Wortwahl tendenziös aus. Zudem wird auf den Massenmord des NS-Regimes gar nicht eingegangen. Andererseits stehe im Artikel auch nicht, dass alle Befreiten Täter gewesen sein sollen. „Ob die Grenze zur Strafbarkeit überschritten ist, kann man nicht eindeutig sagen“, meint er. Die Einstellung sei aber vertretbar.

Walser hat zur Causa im Nationalrat eine Anfrage an Justizminister Wolfgang Brandstetter eingebracht. Die Grünen wollen auch erneut Anzeige erstatten, um zumindest eine sachlichere Begründung der Justiz für den Fall zu erhalten.

Kritik kam auch vom Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch: Mit der genannten Begründung „erteilt die Staatsanwaltschaft der Nazi-Logik einen Persilschein“, kritisiert er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2016)

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