Auschwitz-Wachmann wegen 170.000 Toten vor Gericht

Der Angeklagte Reinhold H. (r) wird am 11.02.2016 in Detmold (Nordrhein-Westfalen) in den Gerichtssaal im Gebäude der Industrie- und Handelskammer (IHK) geführt.
Der Angeklagte Reinhold H. (r) wird am 11.02.2016 in Detmold (Nordrhein-Westfalen) in den Gerichtssaal im Gebäude der Industrie- und Handelskammer (IHK) geführt.(c) APA/dpa
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Der 94-jährige Mann arbeitete in Auschwitz, als die Vernichtungsmaschinerie auf Hochtouren lief. Am ersten Verhandlungstag schwieg er zu den Vorwürfen.

Mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg muss sich von heute, Donnerstag, an ein ehemaliger SS-Wachmann des Konzentrationslagers Auschwitz vor dem Landgericht Detmold verantworten. Er ist wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen angeklagt. Der heute 94-Jährige soll 1943 und 1944 als Angehöriger des SS-Totenkopfsturmbanns Auschwitz im dortigen Stammlager eingesetzt worden sein.

Der SS-Totenkopf-Sturmbann "sicherte" das Vernichtungslager. Mitte Juni 1942 dienten etwa 2000 SS-Angehörige in dieser Einheit, im August 1944 waren es 3342 Männer und einige Frauen. Sie besetzten die Wachtürme des Lagers und begleiteten Arbeitskommandos aus Gefangenen.

Er trug zum Funktionieren der Maschinerie bei

Der ehemalige Wachmann war offenbar von 1942 bis 1944 in Auschwitz eingesetzt, er war damals Anfang zwanzig. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe bei der sogenannten "Ungarn-Aktion" vor: Innerhalb weniger Wochen wurden mehr als 300.000 ungarische Juden in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermorde.

Außerdem werden ihm Beihilfe bei Massenerschießungen und der "Selektion" von KZ-Insassen vorgeworfen. Mit seinem Einsatz als Wachmann habe er zum Funktionieren der Maschinerie beigetragen, heißt es in der Anklageschrift. Der Angeklagte hat bereits im Vorfeld eingeräumt, im Stammlager eingesetzt gewesen zu sein, mit den Morden aber will er nichts zu tun gehabt, ja sie nicht mal mitbekommen haben, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet.

Der Angeklagte leistete offenbar überwiegend Wachdienste im sogenannten Stammlager Auschwitz. Doch auch im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde seine Einheit zu Bereitschaftsdiensten eingesetzt.

Schweigen zum Prozessauftakt

Am ersten Verhandlungstag schwieg er zu den Vorwürfen und ließ von seinen Anwälten nur Angaben zu seiner Person verlesen. Er hatte bereits vor dem Prozess eingestanden, in Auschwitz eingesetzt gewesen zu sein. Eine Beteiligung an Tötungshandlungen bestritt er aber.

Ein Zeuge schilderte vor Gericht das unmenschliche Leid in Auschwitz. Wachleute hätten durch den Zaun geschossen. Gerade angekommene Gefangene hätten auf dem Weg zu den Gaskammern um Wasser gebettelt, ohne zu wissen, was passiere. "Eine halbe Stunde später waren sie tot", sagte der Auschwitz-Überlebende Leon Schwarzbaum. Der 94-Jährige forderte den Angeklagten in direkter Ansprache auf, zu sagen, was damals passiert sei. Dieser reagierte darauf aber nicht.

Keiner der Zeugen kannte den Angeklagten

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass keiner der Zeugen den Angeklagten selbst kannte. Konkret können ihm die Staatsanwälte keine Taten nachweisen. Die juristische Bewertung der "Beihilfe" wird also eine große Rolle spielen.

Zwölf Verhandlungstage bis Ende Mai sind nun angesetzt, nur zwei Stunden täglich, denn Reinhold H. ist aufgrund seines Alters gebrechlich.

Der angeklagte Wächter kam 1921 als Sohn einer Arbeiterfamilie im Kreis Lemgo-Lippe zur Welt. Mit 14 Jahren arbeitete er zunächst in einer Fabrik und trat in die Hitlerjugend ein. Im Sommer 1940 meldete er sich freiwillig zur Waffen-SS und kämpfte an der Front, bis er im Januar 1942 zum Totenkopfsturmbann nach Auschwitz versetzt wurde. Zwei Mal wurde er dort befördert, zuletzt zum Unterscharführer, berichtet die FAZ.

Zum Bericht der FAZ >>>

(APA/Red.)

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