Weiße Wut, verunsichertes Amerika: Trump erntet, was Goldwater 1964 säte

Barry Goldwater
Barry Goldwater Brown / Interfoto / picturedesk.com
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Vor einem halben Jahrhundert überrumpelte der extrem rechte Außenseiter Barry Goldwater die Republikaner. Seine Präsidentschaftskandidatur war ein Debakel und ermöglichte die Radikalisierung der Partei.

So etwas wie den republikanischen Parteitag von 1964 in San Francisco hatte Amerika bis dahin noch nicht gesehen. Nelson Rockefeller, Spross der berühmten Öldynastie, Gouverneur von New York und Kandidat des gemäßigten Parteiestablishments, wurde während seiner Ansprache vom zornigen konservativen Flügel von der Bühne gebuht. Diese rechtsextremen Delegierten hatten zuvor Parteibeschlüsse verhindert, mit denen die Republikaner die Durchsetzung der Bürgerrechte für die Schwarzen und die verstärkte zivile Kontrolle über das US-Atomwaffenarsenal befürwortet hätten.

Das waren klassisch liberale Positionen. Mit ihnen wollten die erzkonservativen Kohorten nichts gemein haben. Ihr Kandidat, Barry Goldwater, versprach der Partei eine siegreiche Zukunft, wenn sie sich nur auf ein reaktionäres Dogma besinne. Dieses Glaubensbekenntnis hatte der Senator aus Arizona vier Jahre zuvor in seinem Buch „The Conscience of a Conservative“ so gefasst: „Ich habe wenig Interesse daran, die Regierung zu reformieren, denn ich will ihre Größe verringern. Ich habe nicht vor, die soziale Fürsorge zu fördern, denn ich schlage vor, die Freiheit zu erweitern. Mein Ziel ist es nicht, Gesetze zu erlassen, sondern sie abzuschaffen.“

Goldwater baute eine ergebene, fanatische Anhängerschaft auf, die seinem Appell, Amerikas angeblich verlorene Größe wiederherzustellen, treu folgte. „Im Land ist Aufruhr. Es ist eine Stimmung des Unbehagens. Wir fühlen uns losgerissen in stürmischer See. Wir fühlen, dass wir von unserem Weg abgekommen sind“, sagte Goldwater während der Vorwahlkampagne 1964. Das traf den Nerv vieler konservativer Weißer in den Südstaaten, welche die schwarze Bürgerrechtsbewegung ablehnten und sich von einer liberalen Ostküstenelite verraten fühlten. Goldwaters Delegierte putschten in den vier Tagen des Parteitreffens von San Francisco gegen die Rockefeller-Republikaner und verhalfen ihrem Helden zur Präsidentschaftskandidatur. An einer Versöhnung mit dem Parteiestablishment hatte er kein Interesse: „Lassen Sie mich daran erinnern, dass Extremismus bei der Verteidigung der Freiheit kein Laster ist. Und lassen Sie mich auch daran erinnern, dass Mäßigung im Streben nach Gerechtigkeit keine Tugend ist!“

Die Goldwater-Revolution war vom Gedanken getrieben, dass eine „stille Mehrheit“ sehr konservativer Wähler bloß auf einen Kandidaten gewartet hat, der ihren Vorlieben voll entspricht. Da sollte sich bei der Präsidentschaftswahl 1964 als Mythos entpuppen. Goldwaters Radikalisierung der republikanischen Partei verschaffte dem demokratischen Amtsinhaber Lyndon B. Johnson den größten Erdrutschsieg des 20. Jahrhunderts. In ihren bisherigen Hochburgen in Neuengland und im Nordosten der USA wurden die Republikaner vernichtet. Goldwater gewann nur in sechs der 50 Teilstaaten; in seinem Heimatstaat Arizona verlor er fast. Mit 27,2 Millionen Stimmen erlangte Goldwater fast sieben Millionen weniger als Richard Nixon vier Jahre zuvor. Und nur jeder fünfte republikanische Wähler, etwa 5,4 Millionen, war ein Goldwater-Anhänger. Das brachten Nachwahlumfragen zutage. Der Rest hatte ihn nur aus Parteiloyalität gewählt, mit zugekniffener Nase.

Goldwater riss seine Partei auch im Kongress mit in den Abgrund. Im Abgeordnetenhaus fielen sie von 174 auf 140 Sitze, im Senat von 34 auf 32. „Der Zusammenbruch der republikanischen Parteistärke im Kongress zertrümmerte die legislativen Barrieren, die mehr als 25 Jahre lang große Fortschritte in der Wohlfahrtspolitik blockiert hatten“, strich der Historiker Richard Hofstadter in seinem Buch „The Paranoid Style in American Politics“ die Ironie der Goldwater-Revolution hervor. Ehe er seiner Vietnam-Kriegs-Politik zum Opfer fiel, konnte Johnson umfassende Sozialprogramme und den Voting Rights Act von 1965, mit dem die Verfassungsrechte der Schwarzen im Süden durchgesetzt wurden, durch den Kongress bringen.


Der große Vereinfacher.
Die persönlichen Ähnlichkeiten zwischen Goldwater und Donald Trump, der nun die republikanische Partei als demagogischer Außenseiter aufmischt, sind spärlich. Goldwater wollte den Staat, vor allem die Sozialausgaben, drastisch beschneiden. Trump verspricht dagegen, weder am staatlichen Pensionssystem Social Security noch an der Krankenversicherung für Alte namens Medicare zu rütteln. Goldwater war hoch religiös, Trump ist es nicht. Und während Trump seinen Wahlkampf bisher teilweise recht amateurhaft nachlässig organisiert und sich allein auf seine Anziehungskraft verlässt, hatte Goldwater in den Jahren vor seiner Kandidatur eine schlagkräftige Minderheit im Parteiapparat organisiert.

Dennoch gibt es zwischen diesen beiden Männern bemerkenswerte Parallelen. „Stellen Sie sich einen charmanten, energischen, grundsätzlich unpolitischen Mann vor, der irgendwie in die Politik gezogen worden ist“, charakterisierte Hofstadter Goldwater 1964 in der „New York Review of Books“. „Während er nie irgendeine Regierungs- oder Gesetzgebungsverantwortung hatte, war er ein erfolgreicher Geschäftsmann in Arizona, und ein Großteil seines Erfolges beruhte auf seinen Fähigkeiten als Verkäufer.“ Goldwater, schrieb Hofstadter damals, „kann mit einiger Wirkung eine Bandbreite von Irritationen und Beschwerden ansprechen, aber es ist schwer für ihn, ein positives Thema zu finden, eines, das nicht darauf beruht, gegen etwas zu sein oder darin zu gründen, etwas aus einer unwiederbringlichen Vergangenheit wiederherzustellen.“

Vor allem war Goldwater ein großer Vereinfacher. „Das Problem mit dem sogenannten Liberalen ist, dass er die Einfachheit nicht versteht“, sagte er. „Die Antworten auf Amerikas Problem sind einfach.“ Die Ungeduld für Kompromisse, der Glaube, dass man große und komplexe Staatsfragen mit einer raschen und gewalttätigen Geste vom Schachbrett wischen kann: Diese Geisteshaltung führt vom Senator aus Arizona direkt zum Bauspekulanten aus Manhattan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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