Vor 75 Jahren: Amsterdam streikt gegen die Judenverfolgungen

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Im Februar 1941 riefen niederländische Arbeiter zum Widerstand gegen Judenverfolgungen auf. Der "Februarstreik" zählt als der einzige öffentliche Protest gegen die Rassendiskriminierung der deutschen Besatzer.

Es war acht Uhr früh am 25. Februar 1941, als mitten in Amsterdam die Straßenbahnen stehen blieben. Keine quietschenden Bremsen, kein Klingeln der Trams - die sonst so typische Musik Amsterdams verstummte. "Jetzt weiß die ganze Stadt, dass etwas geschieht", erinnerte sich Harry Verweij, damaliger Schaffner, in einem Videodokument. Kommunistische Straßenbahnfahrer gaben Zehntausenden Bürgern das Signal, die Arbeit niederzulegen: Geschäfte, Werkstätte, Betriebe, Büros, Schulen  - Amsterdam stand still. Der Grund: Die Niederländer zeigten sich mit den verfolgten Juden solidarisch und riefen zum kollektiven Streik gegen die deutschen Besatzer auf.

Bis heute symbolisiert jener 25. Februar den Widerstandsgeist der Niederländer: Der "Februarstreik" vor 75 Jahren war der einzige öffentliche Protest gegen die Judenverfolgung in dem von Deutschen besetzten Europa. 

Explosive Stimmung in Amsterdam

Doch warum begehrten gerade die Bürger in der seit 1940 besetzten Stadt auf? Aus keiner anderen europäischen Region wurden ähnliche Vorfälle überliefert. Der Professor Johannes Houwink Ten Cate, Historiker an der Universität von Amsterdam, ortet den Grund dafür in der explosiven Stimmung. Arbeiter kämpften gegen Lohnkürzungen und Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie. Die wachsende materielle Not machte einem Großteil der Bevölkerung zu schaffen. Zudem empörten Judenpogrome die Bewohner Amsterdams, dessen jüdische Minderheit rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachte: Die Deutschen hatten ein Beförderungsverbot für holländische Juden verhängt und ihnen jegliche Beschäftigung im öffentlichen Dienst untersagt. Juden durften keine Cafés und Kinos mehr besuchen, ab Jänner 1941 mussten sie sich auf speziellen Listen eintragen.

Zusätzlich sorgte die Wehrabteilung (WA) - die bewaffnete Schlägertruppe der niederländischen Nazipartei NSB - für Chaos auf den Straßen. Rücksichtlos machte sie Jagd auf Juden, immer wieder kam es zu Raufereien. Am 11. Februar 1941 wurde bei einem Überfall auf eine Eisdiele das WA-Mitglied Hendrik Koot getötet. Die Rache der deutschen Machthaber war brutal: Am 17. Februar erweiterten die Nationalsozialisten die Absperrung des jüdischen Viertels und erklärten den Stadtteil Jodenbuurt zum Ghetto. Hier kämpften die jüdischen Bürger gegen stetig wachsende Einschränkungen. Am 22. und 23. Februar verfolgten die Deutschen in einer regelrechten Treibjagd Juden quer durch die Stadt. Sie nahmen mehr als 400 fest, die später im Konzentrationslager Mauthausen starben.

"Staakt! Staakt! Staakt!"

Diese Razzien riefen den Widerstand kommunistischer Arbeiter hervor: Am 24. Februar versammelten sich zahlreiche Büroangestellte am Noordermarkt in Amsterdam. In der Nacht verfasste die mittlerweile illegale niederländische Kommunistische Partei einen Streikaufruf. "Staakt! Staakt! Staakt! (Streikt!)" hieß es auf hunderten, heimlich verteilten Flugblättern: "Seid euch bewusst über die enorme Kraft der vereinten Tat."

Zehntausende Arbeiter folgten der Aufforderung. Der Streik breitete sich schnell bis nach Zaandam im Norden und nach Utrecht im Süden aus. "Wir zeigten ihnen, dass wir die Herren der Straße waren", erinnerte sich der Schaffner Harry Verweij. Die Stimmung war euphorisch, die Amsterdamer ließen sich von einem allgemeinen Optimismus mitreißen. "Wir dachten, morgen schmeißen wir die Moffen (Deutschen) aus dem Land. Das war naiv", schilderte die junge Näherin Mien ten Dam-Pooters die Situation.

Schon einen Tag später schlugen die deutschen Nazis mit brutaler Härte zurück. Neun Menschen - darunter die Streikverantwortlichen - wurden getötet, Dutzende festgenommen. Der deutsche Militärbefehlshaber, General Friedrich Christiansen, verhängte den Ausnahmezustand über Amsterdam. Nach zwei Tagen war der Widerstand gebrochen.

"Kollektive Heldentat"

Trotz seiner brutalen Niederschlagung ging der Februarstreik als kollektive Heldentat in die niederländische Geschichte ein. "Für die Exilregierung und Königin Wilhelmina war es der Beweis, dass die Holländer auf der richtigen Seite standen", sagte der Historiker Houwink Ten Cate. 1946 verlieh Königin Willhelmina der Stadt das Prädikat "Heldenhaft, Entschlossen, Barmherzig". Bis heute trägt Amsterdam diese Worte im Wappen.

Jedes Jahr gedenken die Holländer am Monument "De Dokwerker" mit einem Schweigemarsch an die Vorfälle des 25. Februars 1941. Der Februarstreik zählt als europaweites Symbol, dass nicht alle dem Nazi-Terror widerstandslos zugesehen haben.

Auch heuer standen in Amsterdam um 11 Uhr alle Busse, Straßenbahnen und Metros eine Minute lang still. Am Nachmittag findet eine nationale Gedenkfeier statt. Auch der niederländische König Willem-Alexander wird teilnehmen.

Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkriegs standen die Niederlande vom Mai 1940 bis zum Mai 1945 unter deutscher Besatzung. Hitlers "Festung Holland" hielt sich noch, als der "Führer" längst tot und Berlin unter sowjetischer Hand war. Es wurden verhältnismäßig viele Juden deportiert und ermordet: Von den circa 140.000, die 1940 in den Niederlanden lebten, kamen etwa 102.000 in den Arbeits- und Konzentrationslagern ums Leben. Dreiviertel der jüdischen Bevölkerung starben, in keinem anderen Land war der Prozentsatz derartig hoch.

(lk/APA)

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