Kaiser Franz Joseph: Reaktionär oder Meister der Balance?

FRANCIS-JOSEPH OF AUSTRIA
FRANCIS-JOSEPH OF AUSTRIA(c) Roger Viollet / picturedesk.com
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Bei der Frage, ob die österreichisch-ungarische Monarchie während der langen Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph gut funktioniert hat oder ihrem Untergang entgegengetaumelt ist, gibt es wenig Einigkeit.

Als Kaiser Franz Joseph nach 68 Regierungsjahren starb, war die Welt, die ihn in seiner Jugend geprägt hatte, weit entrückt. Zu Recht nannte er sich 1910 in einem Gespräch mit Theodore Roosevelt, dem Präsidenten des Landes, das als Inbegriff der Moderne galt, den „letzten Monarchen der alten Schule“. Franz Joseph war sich also bewusst, dass er einen Anachronismus darstellte, er bekannte sich zu seinen vormodernen Vorstellungen von Herrschaft, während sich rund um ihn die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse radikal änderten, Massenbewegungen entstanden und die feudalen Lebensformen an Bedeutung verloren. Zu Beginn seiner Regierungszeit war man noch mit der Postkutsche unterwegs, am Ende gab es ein Eisenbahnnetz, Autos, Flugzeuge, Kinos, Telefonie, Freud, Kafka, Wittgenstein. Man hat gezählt, dass Franz Joseph in diesem langen Zeitraum (1848–1916) 150 andere Monarchen kommen und gehen gesehen hat.

Kein Wunder, dass er der alte Mann der nostalgischen Erinnerung wurde. Doch dass eine so vielschichtige und spannende Vita wie seine so sehr von Klischees überwuchert wurde, ist schwer zu begreifen, war er doch ein Monarch, der gegen Konstitutionen kämpfte und sie dann doch aufgezwungen bekam, einer, der die Ungarn unterkriegen wollte und zum Kompromiss Zuflucht suchte, einer, der als Friedenskaiser gerühmt wurde und schließlich den Ersten Weltkrieg begann.

Franz Joseph I.u.Elisabeth
Franz Joseph I.u.Elisabeth (c) akg-images / picturedesk.com

Bekannt ist das harte Urteil seines letzten Ministerpräsidenten, Ernest von Koerber, der Kaiser habe seinem Land doppelt geschadet, zu Beginn durch seine Jugend und am Ende durch sein Alter. Nun, man kann einem greisen Mann schwerlich vorwerfen, all die neuen Ideen und Werte seiner Zeit nicht rezipiert zu haben. Es stellt sich daher die Frage, ob eine so lange Regierungszeit nicht per se ein Unheil für ein Land ist, noch dazu ein so problematisches, wie es der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn war. Oder war gar für diesen Staat gerade dieser Monarch – trotz all seiner Einschränkungen – der geeignete Mann an der Spitze? Ohne eine gewisse Regierungskunst hätte das Explodieren dieses brodelnden Nationalitätenkessels wohl kaum so lang verhindert werden können.

Franz Joseph I in Jagdkleidung
Franz Joseph I in Jagdkleidung(c) Anonym / Imagno / picturedesk.co (Anonym)


Ständige Balance.
Der Vielvölkercharakter seiner Monarchie war für Franz Joseph eine ständige Gefahr, bei den Italienern und den Ungarn musste er immer wieder nachgeben. Lösen konnte er das Nationenproblem des 19. Jahrhunderts nicht, doch wer konnte das schon? Aber es war auch eine Chance für seine Herrschaft: Durch kluges Regieren konnte man die nach Autonomie gierenden Nationalitäten gegeneinander ausspielen, mal auf diese Karte setzen, mal jene Allianz eingehen, und so die Völker in wohltemperierter Unzufriedenheit halten und den Zerfall verhindern. Man kann mit dem Historiker Lothar Höbelt in diesem System von „checks and balances“ das Geheimnis der Regierungskunst Franz Josephs sehen, in der „Balance, die ständig nachjustiert werden musste“. Oder, um es mit Gregor von Rezzori zu sagen: Österreich war kein Schmelztiegel, sondern eine Arena der wechselseitigen „fröhlichen Verachtung“ mit einem erblichen Schiedsrichter.

Balance halten, den Lauf der Zeit bremsen wollen, ohne neue entscheidende Impulse zu setzen, einen Staat verwalten, der „sich selbst irgendwie nur noch mitmachte“ (Robert Musil), die viel kritisierte Starrheit also, das trifft das Herrschaftsmuster Franz Josephs schon, aber nur teilweise. Er war durchaus bereit für eine pragmatische Vorgangsweise und Orientierung an den sich bietenden Möglichkeiten, etwa in der Frage der konstitutionellen Reformen. Seiner Erziehung und ganzen Prägung nach dazu prädestiniert, Verfassungen prinzipiell als „Revolutionsschutt“ zu sehen, akzeptierte er die Neuerungen schließlich dennoch, auch wenn sie seiner ganzen Weltanschauung zuwider liefen. Demokrat wurde Franz Joseph natürlich nicht, aber gegen Ende seines Lebens trat er sogar für ein allgemeines Wahlrecht ein.

Stammbaum
Stammbaum(c) De Agostini/Getty Images (DEA / A. DAGLI ORTI)


Zum Untergangverurteilt? Dennoch bleibt der Vorwurf bestehen, der Kaiser habe sich den notwendigen Reformen zur Rettung der Monarchie entgegengestellt, er habe sich als unfähig erwiesen, sie mit Würde an die neuen nationalen Kräfte zu übergeben. Im Licht seiner Erfahrungen jedoch wurde der komplexen Struktur der Monarchie eher die gut ausbalancierte Politik der kleinen Schritte gerecht als das mutige Vorausschreiten und die spektakulären Neuerungen. Also hielt er sich daran, und die neuen Konzepte seiner beiden Thronfolger prallten an ihm ab.

Franz Joseph also als letzter sklerotischer Vertreter seines Geschlechts, der mit gichtiger Faust die nationalen Bestrebungen zu erdrosseln sucht? Gemach. Neuere historische Forschungen zeichnen Franz Josephs Monarchie nicht mehr in so düsteren Farben. Als positiv sehen sie den wirtschaftlichen und zivilisatorischen Fortschritt, die relative Gesetzestreue und die Sicherheit, die der habsburgische Staat in Zentraleuropa gewährleistete, ganz zu schweigen von der kulturellen Blüte des Fin de siècle. Vor allem amerikanische und britische Historiker sehen die Habsburgermonarchie nun wieder vermehrt als eine Art Übungsgelände für multinationale und pluralistische Lösungen, als eine Art von „Vereinigten Staaten von Europa.“

(c) Roger Viollet / picturedesk.com

Doch abgesehen davon, ob die Monarchie funktionierte oder dem Untergang entgegentaumelte: War Franz Joseph überhaupt ein wesentlicher Akteur, war nicht seine Macht durch Konstitution und mächtige Bürokratie reduziert, erst recht, wenn sie mit den Zwängen der europäischen Mächtekonstellation und den internen sozialen und nationalen Ambitionen kollidierte? Schon, doch wo er entscheiden konnte, war er durch seine Erziehung und seinen konservativen Charakter, vor allem aber durch sein dynastisches Denken klar beschränkt. Und seine freien Entscheidungen waren oft jene, die sich als verhängnisvoll erweisen sollten. So war er als Mensch geprägt von der Erfahrung, dass sein Tun oft auf das Gegenteil dessen hinauslief, was er erwartet oder erhofft hatte. Es blieb ihm nur die Hoffnung, durch Disziplin, Aktenkenntnis und Abwehr aller radikalen Veränderungsversuche die Situation zu retten.

Die Unglücksfälle in seiner Familie entrückten ihn in eine Sphäre der Isolation und Vereinsamung, Die Zeitgenossen trennten zunehmend zwischen ihm und dem Staat. So entstand das Klischeebild des alten, einsamen Kaisers, dem nichts erspart bleibt, es hat bis heute nachhaltige Wirkung.

DAS MAGAZIN

„Die Presse“-„GESCHICHTE“, Bd. 3

„Kaiser Franz Joseph 1830-1916“

Aus dem Inhalt: Kindheit im Biedermeier – Der junge Kaiser und 1848 – Seine Niederlagen und Blamagen – Kakanien, die Doppelmonarchie – Porträts seiner Familie und des Hofes – Der Vielvölkerstaat - Kronprinz Rudolf – Der Alltag, am Schreibtisch und auf der Jagd – Frauengeschichten und Ehe – Porträt Elisabeth – Warum unterschreibt ein 84-Jähriger eine Kriegserklärung? – Interview mit Historikerpaar Vocelka und Nachkommen Eduard Habsburg – Mythen und Klischees

120 Seiten inkl. Bilder, Grafiken, Karten. Bestellmöglichkeit: DiePresse.com/geschichte. Preis: 8,90 €, für Abonnenten 6,90 € (Versand gratis).
Ab 16. 3. 2016 im Zeitschriftenhandel erhältlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2016)

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