Proporz: Hat diesmal einer geweint?

Ein wahres österreichisches Wunder: Seit dem Abschluss des Staatsvertrags einander spinnefeind, überlebten Rot und Schwarz im Proporz bis heute.
Ein wahres österreichisches Wunder: Seit dem Abschluss des Staatsvertrags einander spinnefeind, überlebten Rot und Schwarz im Proporz bis heute.Ironimus, Oktober 1955
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Seit 1945 haben sich Rot und Schwarz die Zweite Republik brüderlich aufgeteilt. Exakt dreißig Jahre nach Haiders Machtübernahme ist die Landkarte nun blau eingefärbt.

Der kinderlose Wilhelm Webhofer im Südtiroler Ort Bruneck hatte eine Mission. Der „Onkel Willi“ vermachte im April 1986 seinem Großneffen Jörg Haider das Kärntner Bärental gegen das Gelöbnis, das „ewige“ Proporzpaar ÖVP und SPÖ endlich zum Teufel zu jagen. Der damalige Nationalratsabgeordnete und Kärntner FPÖ-Obmann, durch den 1600 Hektar großen Forstbesitz über Nacht finanziell unabhängig geworden, versprach es feierlich. Und er half zu Lebzeiten tatkräftig mit, die beiden damaligen Großparteien zu schwächen.

All das hat vor dreißig Jahren seinen Anfang genommen. Der Innsbrucker FPÖ-Parteitag im September 1986 war der Startschuss für eine politische Entwicklung, deren Ergebnis am 24. April 2016 eine blau eingefärbte Österreich-Landkarte war. Das hätte der verstorbene Jörg Haider nicht einmal in seinen kühnsten Träumen zu denken gewagt. Und doch: Es wäre wohl auch ohne Haider passiert.

Denn dieses quälende Siechtum der Koalitionsparteien ging nicht ohne kräftige Hilfe in den eigenen Reihen vor sich. Wer am Wahlabend in der Innenstadt unterwegs war, den musste die Hilflosigkeit der beiden Parteispitzen fast rühren. Und wer dabei war, als sich am Montag die kleine Freundesrunde um Werner Faymann scharte, der brauchte kein besonderes politisches Gespür, um zu begreifen: Da klammert sich eine Handvoll von Würdenträgern an den Mantel des Herzogs. Wenn der fällt, fallen sie mit.

Seit dem Jahr 1955, als der österreichische Staatsvertrag in vorbildlicher Einigkeit endlich erkämpft war, sind einander Schwarz und Rot in herzlicher Feindschaft zugetan. Die „Ironimus“-Karikatur, die am Ende des Staatsvertragsjahres in der „Presse“ erschien, bleibt zeitlos. An dem schlechten Verhältnis hat sich seitdem nichts geändert. Nur die Klientel, der sich jede der klein gewordenen Parteiungen verpflichtet fühlt, hat sich längst verabschiedet. Noch immer lebt der rot-schwarze Proporz, aber er ist zum Versorgungsvehikel für die Funktionäre geworden. Die kleinen Leute draußen rächen sich in der Wahlzelle.

Wie ein Blitzlicht leuchtete in der sogenannten Elefantenrunde kurz vor dem Wahltag die ganze Abgehobenheit der Funktionäre auf, als Rudolf Hundstorfer an der Reihe war. Mit dem Blick gen Himmel (nicht in die TV-Kamera) versicherte der Ex-Minister, er wisse von keinem einzigen seiner Sektionschefs, welches Parteibüchl jeder von ihnen hätte. Der Lachsturm im Publikum und bei den Kontrahenten wäre noch angegangen, aber der völlig verständnislose Blick des Mannes, der zeitlebens nur im Apparat zu Hause war, sprach Bände.

Seit der Wiedergründung der Republik 1945 haben sich Schwarz und Rot das Land aufgeteilt – zunächst Zeitungen, Parteihauptquartiere, Druckereien, Verlage, dann die Energieversorger, die Wohnbaugenossenschaften, selbst die Autofahrer sind in einem schwarzen und einem roten Klub heimisch.

Und schließlich der Rundfunk. Als es die Parteien mit dreister Selbstbedienung allzu bunt trieben, reichte es den parteiunabhängigen Zeitungen. Hugo Portisch, Otto Schulmeister, Fritz Czoklich, Fritz Molden – sie organisierten den Bürgeraufstand in Form des ersten Volksbegehrens seit 1945. Eine fulminante Aktion, obwohl der Partei-Rundfunk kein Wort darüber berichtete.

Das ging eine Zeit lang gut, doch schon 1974 schwächten Anton Benya und Christian Broda die garantierte Unabhängigkeit des neuen ORF ab. Bruno Kreisky, den eine intellektuelle Hassliebe mit Gerd Bacher verband, hatte gegen diese Hardliner keine Chance. Heute hätten Broda und der Benya-Toni ihre helle Freude an dem ORF-Kuratorium. Die freche Selbstbedienung ist zurückgekehrt. Die „Freundeskreise“ sind Realverfassung. Und im Funkhaus wie auf dem Küniglberg ist in der zweiten Ebene Links-Grün etabliert.

Über eine halbe Milliarde Euro müssen Österreichs Wirtschaftstreibende jährlich an ihre gesetzliche Interessenvertretung zahlen. Ein Teil davon ist die „Grundumlage“. Jeder Betrieb muss sie bezahlen, sie finanziert die rund 600 Fachgruppen in Österreich: eine pro Branche und Bundesland.

Da darf die Arbeiterkammer nicht zurückstehen. 2015 lagen die Einnahmen bei 390 Millionen. Gar nicht so viel, immerhin musste man hundert Millionen Euro an Rückstellungen für die AK-Pensionisten vornehmen. Als Haupteinnahme des Betriebsratsfonds dient in den meisten Fällen die Betriebsratsumlage. Diese Beträge werden vom Arbeitgeber direkt eingehoben, sie scheinen auf keinem Lohnzettel auf.

Und damit das alles so bleibt in Ewigkeit, hat man nach Haiders Generalangriff das Kammersystem in die österreichische Bundesverfassung gehievt – ein weltweites Unikum, das die Medien und eine abgestumpfte Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen.

Der Journalist Ulrich Brunner, vor seiner ORF-Karriere Schriftsetzer, dann Redakteur in der „Arbeiter-Zeitung“, erinnert sich noch gut an die katastrophale SP-Niederlage des Jahres 1966. Damals schrieb Chefredakteur Oscar Pollak in seinem Leitartikel: „Wir haben eine Nacht lang geweint.“

Hat diesmal einer geweint?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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