Salzburgs steiniger Weg nach Österreich

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Vor 200 Jahren, am 1. Mai 1816, wurde Salzburg ein Teil Österreichs. Es mag im Jubiläumsjahr keck klingen, aber: Zwingend war das nicht. Sehr leicht hätte das Land auch an Bayern fallen können.

Die Biedermeierzeit war für die Menschen in Salzburg kein Idyll. Dem Komponisten Franz Schubert entgingen 1825 bei einem Besuch nicht die Spuren von Verfall und provinzieller Verschlafenheit: „Auf den Plätzen, deren es viele und schöne gibt, wächst zwischen den Pflastersteinen Gras, so wenig werden sie betreten.“ Die Bevölkerung wurde geplagt durch ständige Kriegsfurcht, litt unter den plündernden Soldaten Napoleons, dann unter Missernten und Lebensmittelknappheit, ein Vulkanausbruch im fernen Asien verdüsterte 1816 den Sommer und ruinierte die Ernte. 1803 erlitt das Land die nachhaltigste Zäsur seiner Geschichte: Das Fürsterzbistum wurde säkularisiert, der tausendjährige „Kirchenstaat“ aufgelöst, und Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo setzte sich ab. Salzburg wurde zum Herzogtum und zum Spielball konkurrierender Mächte, die Eigenständigkeit drohte völlig verloren zu gehen. Es war nur mehr die Frage, welcher von den mächtigen Nachbarn – Bayern? das habsburgische Österreich? – sich das Land nach dem Untergang des napoleonischen Staatensystems auf Dauer unter den Nagel reißen würde.

Fest stand nur eines: Die Salzburger würden dabei nichts mitzureden haben, im schlimmsten Fall drohte ihr Gebiet von der politischen Landkarte zu verschwinden oder völlig zerrissen zu werden. Ihre einzige Chance in diesen turbulenten Jahren war: Je öfter sich fremdländische Regierungen in Stadt und Land abwechselten, desto weniger konnten sie einwurzeln und die heimische Identität zerstören. Das größte Unglück dabei: Zog ein Besatzer ab, tat er dies in der Regel nicht, ohne Dutzende, mit Kunstschätzen beladene Ochsenkarren mitzunehmen. Nicht einmal Mosaikböden, wertvolle Holzdecken oder die Renaissanceöfen wurden zurückgelassen. Immer dasselbe Ritual bei einem Regimewechsel: Soldaten rücken ab, neue rücken ein, ein Wappen wird von der Residenz abgenommen, ein neues befestigt, Tränen und Schluchzen bei den einen, Hurrarufe und Vivat bei den anderen.


Kein Vivat.
Bereits 1806 war Salzburg Österreich zugeschlagen worden, 1809 kamen wieder die Franzosen, ein Jahr danach die Bayern, sie erhielten das Land vom großen Korsen für ihre Bündnistreue, lösten die Universität auf und plünderten, was noch lohnenswert schien. Kein Wunder, dass den systematisch beraubten Salzburgern das Vivat-Rufen bereits vergangen war, als sie am 1. Mai 1816 von Bayern an Österreich übergeben wurden: Napoleon war geschlagen, die Wittelsbacher hatten auf das falsche, das französische Ross gesetzt. Nicht eine zwingende historische Kontinuität machte Salzburg österreichisch, eher die machtpolitische Konstellation des Wiener-Kongress-Jahres. Geschichte und Geografie der Region hätten eindeutig für die viel näher liegende bayerische Herrschaft gesprochen, viele Traditionen wiesen nach Bayern, von Rupert, dem „Bayernapostel“, bis hin zu den alten Wallfahrtstraditionen.

Als Ergebnis der Verhandlungen auf dem Wiener Kongress und des Vertrags von München vom 14. April 1816 musste das nunmehr österreichische Salzburg jedenfalls eine territoriale Verkleinerung hinnehmen: Die Pfarrgemeinden im später „Rupertiwinkel“ genannten Teil wurden bayerisch, die Salzach war die Grenze. So ist es heute noch. Eine schmerzhafte Vivisektion, doch nüchtern betrachtet war das für die Salzburger keine schlechte Lösung, das frühere geistliche Fürstentum blieb in seiner Ausdehnung ganz gut erhalten, andere Pläne, wie eine Teilung des Landes mit einer Grenze durch den Zeller See, wären viel schlimmer gewesen. Kaiser Franz war ein wenig traurig: Berchtesgaden hätte er gern dazu gehabt. Für das knifflige Problem des Halleiner Salzbergbaus, der tief ins Berchtesgadener Gebiet hineinreichte, fand man erst 1829 durch die „Salinenkonvention“ eine Lösung: Österreichische Knappen vom Halleiner Dürrnberg durften ihre Abbautätigkeit tief unter der Grenze 1500 Meter in bayerisches Gebiet hineinreichend durchführen, im Gegenzug erwarb Bayern das Recht, im österreichischen Pinzgau Holz zu schlagen – ein einzigartiger Staatsvertrag, der alle historischen Wirren überstand. Noch heute bewirtschaften bayerische Förster 11.000 Hektar Wald bei Leogang, die Saline von Hallein hingegen ist bereits stillgelegt.


Degradierung.
1816 konnte also der anfangs durchaus beschwerliche und steinige Weg Salzburgs unter österreichischer Herrschaft beginnen. „Zu klein, zu arm, zu bergig, die Bewohner zu dumm, zu wenig Unterhaltung, das Theater schlecht, die Witterung zu nass, die Stadt zu eng, die Häuser zu alt, die Kirchen zu viel“, meinte ein misanthropischer Zeitgenosse. Die Residenz einer uralten Prälatenherrschaft, die ihre Bedeutung bis zu Kaiser Karl dem Großen zurückführen konnte, wurde nun dem Erzherzogtum Oberösterreich als fünftes Viertel angegliedert und damit auf den Rang einer Bezirkshauptstadt erniedrigt. Entscheidungen traf man nun in Linz. Eine Provinzialisierung, eine Degradierung. Da mag bei gekränkten Salzburgern Sehnsucht nach den früheren geistlichen Landesfürsten aufgekommen sein. Die waren zwar auch nicht allzu beliebt, aber im Vergleich zu ihnen war die nun amtierende österreichische Beamtenschaft, die den einheitlichen Herrschafts- und Rechtsbereich eines absolutistischen Einheitsstaates gegen den Willen der autonomiegewöhnten Gebirgsbevölkerung aufzubauen begann, deutlich weniger glamourös.

Wirtschaftlich ging zunächst wenig weiter, die Menschen hungerten, der Rupertiwinkel, einst die Kornkammer der Fürsterzbischöfe, fehlte. Salzburg besaß keine Residenz mehr, also fiel das höfisch-aristokratische Element und die kaufkräftige Schicht an Beamten weg, die Wiedererrichtung der Universität war in weiter Ferne, 1823 gelang zumindest ein symbolischer Triumph, als das Erzbistum wiedererrichtet wurde. Das Ausmaß von Armut und Besitzlosigkeit in der Stadt Salzburg war – typisch für diese frühe Industrialisierungsphase – erschreckend, 50 Prozent der Bevölkerung waren davon betroffen, allgemein wurde das Bettlerunwesen („ein Schwarm von Bettlern mit entlehnten Kindern“) von dem alteingesessenen Stadtbürgertum beklagt. Die vorrevolutionäre Wut der Bürger über die Zustände wurde durch den allgegenwärtigen absolutistischen Polizeistaat gezügelt, sie brach sich 1848 Bahn. Die Revolution wurde niedergeschlagen, doch Salzburg erreichte 1850 den Rang eines eigenständigen Kronlandes. Die Zeit der kraftraubenden Herrschaftswechsel war endgültig überwunden, und jetzt fand auch der Hochadel wieder Gefallen an dem Land und begann zu investieren. Manche Orte entwickelten sich zu mondänen Kurorten und zum Refugium der eleganten Welt. 1842 erinnerte man sich endlich an einen ganz großen Sohn der Stadt, den man völlig vergessen hatte: Mozart. Das historische Ambiente der Stadt, die Einbettung in eine idyllische Landschaft beflügelten den Fremdenverkehr, ein Ersatz für den Verlust der Residenzfunktion und bald ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Dass dieses Land Salzburg in seiner ganzen Substanz und Identität bewahrt werden würde, und zwar bis 1918 als Kronland der Habsburgermonarchie und dann in der Republik Österreich als Bundesland – wer hatte während des brutalen Länderschachers zu Beginn des 19. Jahrhunderts damit rechnen können?

FAKTEN

8. Jahrhundert: Salzburg wird ein Erzbistum.

13. Jahrhundert: Landeswerdung und Ausbau.

17. Jahrhundert:Blütezeit und Universitätsgründung.

1816: Salzburg kommt zum Kaisertum Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.