Fußball in Nachkriegszeit: "Wir waren Straßenkinder"

Wien nach dem Zweiten Weltkrieg: Peter Mück (r.) sieht sich die Kinder in der Straße an, die ihr Talent für einen Fußballverein zeigen sollten.
Wien nach dem Zweiten Weltkrieg: Peter Mück (r.) sieht sich die Kinder in der Straße an, die ihr Talent für einen Fußballverein zeigen sollten.Votava/Imagno/picturedesk.com
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Peter Mück hat sich auf dem Cover des "Presse"-Geschichtemagazins wiedererkannt. Damals spielten Kinder wie er noch in den Trümmerfeldern des Zweiten Weltkriegs Fußball.

Das erste Mal sieht er sich am Abend in der Zeitung. „Meine Frau hat mir am Anfang gar nicht geglaubt, dass ich das bin“, sagt Peter Mück. Also holt er alte Kinderfotos hervor, vergleicht sie mit dem Bild in der Zeitung und seinem Gesicht. Und wirklich: Auf dem Cover des „Presse“-Geschichtemagazins zum Thema Fußball steht Peter Mück mit blonden Haaren breitbeinig da, während ein anderer Bub vor ihm versucht, den Ball zu fangen. Zwischen den beiden liegt ein Ziegelsteinhaufen, hinter ihnen türmen sich Schuttberge.

Das Foto entstand im Wien der Nachkriegszeit – 1948, 1949 oder 1950, ganz genau kann er es nicht mehr sagen. Damals war Peter Mück, heute ein rüstiger Herr mit 75 Jahren und auffallend dichten weißen Augenbrauen, gerade einmal sieben oder acht Jahre alt. Das Foto wurde im zweiten Bezirk am Tabor aufgenommen. Eine Zeitung hat das Foto gemacht, welche, weiß er nicht mehr, aber es war ein kleines Event. Ein lokaler Fußballverein hatte Nachwuchstalente gesucht. Die Kinder, die sonst in den Straßen spielten, hatten die Chance, entdeckt zu werden. Mück war als Zuseher vor Ort.

„Randstein-Ballesterer“. „Wir waren damals alle Straßenkinder“, sagt er heute. Nach der Schule fand quasi die gesamte Freizeitbeschäftigung vor der Türe statt – oder im nahen Augarten. In der Taborstraße durften keine Autos fahren. „Und unsere Eltern hatten auch keine.“ Also wurde dort gespielt, manchmal auch zwischen Trümmern. Der Nordbahnhof war zerbombt und „manche Zinshäuser im Grätzl arg getroffen“. Eines der beliebtesten Spiele damals: „Randstein-Ballesterer“, also Straßenfußball, den man zu zweit, dritt oder viert spielte. Das Tor war zwischen zwei Steinen am Gehsteigrand markiert. Ein Tor zählte aber nur, wenn der Ball am Rand des Gehsteigs ankam, und nicht, wenn er über den Rand flog. Das erforderte Schusspräzision und war vor allem eines: verboten. „Die Polizisten sind uns nachgerannt“, erinnert sich Mück. Bis heute versteht er nicht, warum das Fußballspielen in der Straße verboten war, wenn doch, bis auf Lieferanten, keine Autos fuhren.

Deren Ankunft war dafür ein Erlebnis. Mittwochs drängten sie sich immer um den Eiswagen, der das Blockeis für die Haushalte und Gasthäuser lieferte. Kühlschränke gab es noch nicht, also gab man Eis in ein Zinnfach, um die Speisen zu kühlen. „Wir haben immer gehofft, dass Eis runterfällt. Das haben wir dann gelutscht“, erzählt er.

Jüdische Ausdrücke verschwanden. Einer seiner liebsten Orte war der Prater. Mit fünf Jahren sei er für ein paar Groschen mit der 5er-Straßenbahn allein dorthin gefahren. In der Nähe spielte der Großvater immer Karten, der kleine Peter bekam ein Kracherl. Eine Bezeichnung für Limonade, die aus dem aktiven Sprachschatz schon fast verschwunden ist. So wie die jüdischen Ausdrücke, die seine Eltern damals noch viel verwendeten. Das Wort Macheloikes etwa, für einen Betrug. „Meine Kinder wissen das gar nicht mehr“, sagt er. Dafür hätte sich die Taborstraße im Verhältnis wenig geändert. „Das waren damals schon eher kleine Geschäfte.“ Sie gebe es heute noch, wenn sich auch Besitzer und Waren geändert hätten.

Mück wohnte damals in der Gabelsbergergasse 2, die von allen auch die „Hundstrümmerlgasse“ genannt wurde. Weil es viele Hundebesitzer in der Straße gab. Seine Mutter sei Hausfrau gewesen. Jeden Freitag hätte sie sich beim Friseur die Haare auffrisieren lassen. Sein Vater war Montagemitarbeiter in einer großen Firma. „Deswegen hat er gut verdient, obwohl er Arbeiter war.“

Die Eltern waren es auch, die den Buben förderten. Nach der Volksschule ging er in die Realschule, dann in die HTL. Als Erwachsener wird Mück seinen eigenen Installateurbetrieb aufbauen, den später sein Sohn übernimmt. Der Sport war sein ewiger Wegbegleiter. Schon in der Volksschule ging er turnen und schwimmen, Fußball spielte er auf der Straße und zwei Jahre lang sogar für den ältesten österreichischen Fußballverein, First Vienna FC. Dessen Trainingsplatz war allerdings im 19. Bezirk – und damit weit entfernt. Zu weit, befand die Mutter. Und gab dem Buben einfach nicht mehr Bescheid, wann er zum Training musste. „Sie hat mich dumm auf der Straße sterben lassen“, sagt er und lacht.


Leidenschaft für Handball. Mit 14 begann er mit Handball – immerhin war sein Vater Handballschiedsrichter, der Spiele in ganz Europa pfiff. „Er war auch noch Schiedsrichter bei der letzten Feldhandball-Weltmeisterschaft der Männer, die 1966 in Wien ausgetragen wurde“, erzählt Mück. Danach hätte es nur mehr Hallenhandball gegeben. Mittlerweile hat Peter Mück zu ruhigeren Sportarten gewechselt. Mit seinen 75 Jahren ist er ein begeisterter Segler und verbringt mit seiner Frau jedes Jahr zehn Wochen auf dem Boot. Dass er sich auf dem Coverfoto des „Presse“-Geschichtemagazins wiedergefunden hat, findet der „Presse-Abonnent“ lustig. Vor ein paar Jahren hätte ihm seine Mutter den Originalzeitungsausschnitt mit dem Foto gegeben. „Den finde ich aber nicht mehr.“

Mehr Infos unter: DiePresse.com/Geschichte

Das MAGAZIN

Von Sindelar bis Alaba. Das Foto von Peter Mück und einem anderen Jungen ziert das Cover des aktuellen „Presse“-Geschichtemagazins. „Von Sindelar bis Alaba“ beleuchtet die verschiedenen Epochen des österreichischen Fußballs. Es ist im Einzelhandel erhältlich und kann online unter DiePresse.com/geschichte bestellt werden. Der Preis beträgt 8,90 Euro. „Presse“-Abonnenten bezahlen 6,90 Euro. Die Versandkosten sind inkludiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2016)

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