Der "Blitzkrieg", der in 1396 Tagen verloren ging

Juli 1941: Deutsche Junkers heben zum Angriff auf Russland ab.
Juli 1941: Deutsche Junkers heben zum Angriff auf Russland ab.(c) imago stock&people (imago stock&people)
  • Drucken

Am 22. Juni 1941 bricht Deutschland den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion. Doch mit dem einfach "Sandkastenspiel" übernimmt sich Hitler massiv. Es ist der Anfang vom Ende Nazi-Deutschlands.

"Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten", schreibt Adolf Hitler bereits 1926 in seinem Buch "Mein Kampf". "Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken."

Der Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion überrascht daher im August 1939 auch NS-Parteianhänger. Doch er ist notwendig, um sich den Rücken für den Angriff auf Polen am 1. September - dem Beginn des Zweiten Weltkriegs - freizuhalten. Von Anfang an stellt Hitler allerdings klar, einen "Pakt mit dem Satan" geschlossen zu haben, "um den Teufel auszutreiben" - also den Westen, vor allem Frankreich. So sagt es Hitler zumindest am 28. August 1939 vor Parteifunktionären.

"Feldzug gegen Rußland wäre ein Sandkastenspiel"

Nicht einmal ein Jahr später spricht Hitler am 28. Juni 1940, nur sechs Tage nach dem Waffenstillstand mit Frankreich, das in einem "Blitzkrieg" niedergerungen wurde, gegenüber Wilhelm Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, von einem möglichen Angriff auf Russland: "Glauben Sie mir, ein Feldzug gegen Russland wäre dagegen ein Sandkastenspiel." Franz Halder, der Generalstabschef des Heeres, sieht das ähnlich: "Man braucht nur einmal mit der Faust hineinhauen, und das Ganze geht in Stücke." Halder trifft jedenfalls daraufhin entsprechende Vorbereitungen. Nach dem Erfolg des Blitzkriegs ist man der festen Überzeugung, auch die Sowjetunion in nur wenigen Sommermonaten bezwingen zu können. Am 3. Juli erhält Halder dann den offiziellen Befehl, zu prüfen, "wie ein militärischer Schlag gegen Russland zu führen" sei. Nicht einmal drei Wochen später liegt Hitler der Bericht vor.

Geblendet vom Erfolg gegen Frankreich will Hitler noch im Herbst 1940 angreifen, doch Keitel und Jodl, ein weiterer militärischer Berater Hitlers, können ihn gerade noch von dem völlig überhasteten Plan abbringen. Dennoch teilt Hitler dem Oberkommando der Wehrmacht am 31. Juli 1940 den Entschluss zum Angriff auf die Sowjetunion mit. Der Überraschungsangriff soll nun im Mai 1941 erfolgen, damit soll auch "Englands letzte Hoffnung" auf dem Kontinent zerschlagen werden.

Planung der Ermordung von "Bolschewistenhäuptlingen"

Am 18. Dezember 1940 ergeht dann "Weisung Nr. 21", der Befehl zum Krieg gegen die Sowjetunion - auch mit dem Code "Fall Barbarossa" bezeichnet, in Anspielung auf den großen Staufer-Kaiser Barbarossa (Rotbart), Friedrich I. (1125-1190). Die Planung eines Vernichtungskriegs beginnt, denn ein militärischer Sieg reicht Hitler nicht. "Die jüdisch-bolschewistische Intelligenz, als bisheriger Unterdrücker, muss beseitigt werden", heißt es. Jodl plant den Einsatz von SS-Einheiten zur Ermordung von "Bolschewistenhäuptlingen und Kommissaren". Der Reichsführer SS Heinrich Himmler wird mit "Sonderaufgaben im Auftrage des Führers" beauftragt - der gezielten Ermordung der sowjetischen Elite.

Weisung Nr. 21

Die deutsche Wehrmacht muss darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen (Fall Barbarossa). (...) Entscheidender Wert ist jedoch darauf zu legen, dass die Absicht eines Angriffes nicht erkennbar wird. (...) Das Endziel der Operation ist die Abschirmung gegen das asiatische Russland aus der allgemeinen Linie Wolga - Archangelsk.

Aufgrund des kurzfristig beschlossenen Balkanfeldzugs (zur Abwehr einer möglichen Südfront, die "Barbarossa" gefährden hätten können) im April 1941 wird der geplante Angriff von Mai auf Juni verschoben. Noch vor Morgengrauen des 22. Juni 1941 überfällt die deutsche Armee die Sowjetunion. Doch obwohl sich große erste militärische Erfolge einstellen, wird bald klar, dass aus einem erneuten "schnellen Feldzug" nichts wird. Die Annahme eines schnell zu gewinnenden Blitzkrieges entpuppt sich als fatale Fehlentscheidung der Nazi-Führung. Weder Winterkleidung noch ausreichend militärisches Material werden bereitgestellt. Spätestens nach der Niederlage bei Stalingrad im Winter 1942/43 wird klar, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Der für nur wenige Wochen geplante Krieg soll letztlich 1396 Tage dauern.

Hitler spricht von "Präventivschlag"

Mit Beginn des Angriffs am 22. Juni wird auch die NS-Propagandamaschinerie angeworfen. Von Bodenpolitik ist keine Rede. Hitler behauptet, einem "Präventivschlag" zuvorgekommen zu sein. Glaubt man dem damaligen sowjetischen Generalmajors Pjotr Grigorenko, versuchte aber der damalige Chef des militärischen Nachrichtendienstes Stalin und den Volkskommissar für Inneres, Lawrenti Berija, vor einem deutschen Angriff zu warnen. Als Belohnung wird er am nächsten Tag erschossen. Doch bis heute wird spekuliert, ob Hitler dem Sowjetführer Stalin nicht nur knapp zuvorgekommen sei.

Zur Untermauerung wird angeführt, dass die Sowjetarmeen sich in Angriffs- und nicht Verteidigungspositionen befunden hätten. Festzumachen sei das etwa am Beispiel der Minenfelder, die im Vorfeld des Angriffs beseitigt wurden. Die Verteidigungslinie seien zudem schwer vernachlässigt worden und Truppen vor allem weit im Westen positioniert gewesen. Allerdings geben Militärexperten zu bedenken, dass die Sowjets von den Deutschen gelernt hatten. Deren Motto war es, bei einem Angriff offensiv zu verteidigen.

Unabhängig davon, ob die Sowjets nun selbst Angriffspläne wälzten oder nicht, zeigen alle bis heute vorliegenden Dokumente dennoch eindeutig, dass Deutschland die Sowjetunion gezielt und geplant angriff - und nicht, um einem Sowjetangriff zuvorzukommen. Letztlich war der Angriff auf die Sowjetunion aber auch die Fehlentscheidung, die das Ende der Nazis einläutete. Das deutsche Reich hatte sich überdehnt.

(phu)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Russlands Präsident Putin bei der Kranzniederlegung zum Gedenken.
Außenpolitik

Putin fordert "Schulterschluss" gegen alte und neue Feinde

Am 75. Gedenken des Angriffs Nazideutschlands auf die Sowjetunion erinnerte Präsident Wladimir Putin an die Heldentaten der Bürger - und forderte ein Zusammenrücken angesichts des internationalen Terrorismus.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.