Herrscherrecht von Gottes Gnaden

AUSSTELLUNG ´FRANZ JOSEPH 1830-1916 - ZUM 100. TODESTAG DES KAISERS´
AUSSTELLUNG ´FRANZ JOSEPH 1830-1916 - ZUM 100. TODESTAG DES KAISERS´(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Im Jahr 1916 administriert der gesundheitlich schwer angeschlagene Kaiser Franz Joseph I. den drohenden Untergang.

In unserer großen Erzählung über den Ersten Weltkrieg halten wir im Juli 1916. Vier Monate wird der alte Herrscher Österreich-Ungarns noch am Leben sein, die Bronchitis erweist sich als hartnäckig, wird im Sommer aber wieder besser. Jede Verkühlung könnte das Ende für Franz Joseph I. bedeuten. Im August wird er den 86. Geburtstag feiern, ein nachgerade biblisches Alter für die damalige Zeit.

Der alte Mann verwaltet die sich abzeichnende Katastrophe. Er hat längst resigniert. An ein Kriegsende mit all seinen Schrecken denkt er nicht. Und der 28-jährige Thronfolger, Erzherzog Carl Franz Joseph, hat keinerlei Einfluss auf den Verlauf des Weltkriegs. Der Großneffe des alten Herrn, der präsumtive Erbe dieses seltsamen Gebildes, das seit 1867 aus zwei eigenen Reichshälften besteht, besucht zwar eifrig die Front, er belobigt, er zeichnet aus. Aber das Kriegsgeschehen bestimmen längst andere: Da ist zunächst der Generalstabschef Franz Conrad, der das Adelsprädikat von Hötzendorf trägt. Doch in Wahrheit diktiert Berlin, was zu geschehen hat.

Der Generalfeldmarschall (und spätere Reichspräsident) Paul von Hindenburg und dessen Stabschef, Erich Ludendorff, haben das Heft in der Hand. Im August 1916 steht Ludendorff vor einem Karrieresprung: Der Titel eines Ersten Generalquartiermeisters wird geschaffen, um ihn auf die gleiche Ebene wie Hindenburg zu stellen. Ihre oberste Heeresleitung nimmt langsam die Form einer Militärdiktatur an, in der der Kaiser Wilhelm so wenig mitzureden hat wie in Österreich der alte Herr zu Schönbrunn.

Thronfolger ohne Mitsprache

Ist es Altersstarrsinn? Verschließt der Kaiser und Apostolische König von Ungarn einfach die Augen vor dem drohenden Untergang? Thronfolger Karl hat mit seinem Armee- und schließlich Heeresgruppenkommando ausreichend zu tun, sodass er bis zum 25. September 1916 nur mehr ein einziges Mal zu seinem Großonkel kommt.

„Vorschläge, Erzherzog Karl nach Wien zu holen, um den Kaiser zu entlasten und allmählich in die Aufgaben eines Herrschers hineinwachsen zu lassen, waren vom Monarchen [...] bis September 1916 kategorisch abgelehnt worden“, schreibt Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner in seinem Opus magnum „Der Erste Weltkrieg und der Untergang der Habsburgermonarchie“ (Böhlau). „Der alte Herr, der sich im Allgemeinen und bis Anfang November wohlfühlte, wollte die Notwendigkeit, sich helfen zu lassen, nicht zugeben“, schrieb der Minister des Äußern, Graf Burián, in seinen Memoiren. Erst am 18. November 1916 stimmte Franz Joseph der kontinuierlichen Anwesenheit seines Großneffen zu.

Doch worauf gründeten sich eigentlich Franz Josephs Alleinherrscher-Allüren? Die Dynastie der Habsburger hatte es sich recht einfach gemacht. „Der Kaiser regierte das Reich vermöge seines eigenen Monarchenrechts, das sich die Dynastie mit Willenserklärungen wie der Pragmatischen Sanktion von 1713 und der Pragmatikal-Verordnung von 1804 selbst verliehen hatte, von Gottes Gnaden“, sagt dazu der Historiker Hans Hautmann. „Durch das Monarchenrecht reduzierte sich das Staatsgebilde auf zwei politische Exponenten: auf den Herrscher und die Beherrschten.“ Das Gebilde der Donaumonarchie war, so Hautmann, nicht das Produkt eines vom Volk ausgehenden Einheitsstrebens, sondern das Ergebnis dynastischer Hausmachtpolitik.

Selbst das Staatsgrundgesetz, dem Franz Joseph 1867 widerstrebend zustimmte, sagte im Artikel 1: „Der Kaiser ist geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich.“ Die Mystifizierung, meint Hautmann, sei absichtlich niedergeschrieben worden, im Sinn von sakrosankt.

So glaubte Franz Joseph selbst fest daran, von Gottes Gnaden zu herrschen. Ob ihm, dem zutiefst gläubigen Katholiken, beim Gebet je der Gedanke gekommen ist, der Allmächtige könnte ihm diese Gnade auch einmal entziehen, das wissen wir nicht.

Unverletzlich: Als Inhaber aller Hoheitsrechte der Staatsgewalt stand Franz Joseph unter besonderem Schutz des Gesetzes. Jede Gefährdung seiner Person wurde als Verbrechen des Hochverrats geahndet und mit dem Tod bestraft. Wer die ihm schuldige Ehrfurcht vorsätzlich verletzte, machte sich der Majestätsbeleidigung schuldig (§ 63 StG., Höchststrafe fünf Jahre schwerer Kerker.) Eine „Aufreizung zum Hass“ wider den Monarchen kostete ebenso fünf Jahre Höchststrafe. Dies galt übrigens für sämtliche Mitglieder des kaiserlichen Hauses, also selbst für Erzherzöge, die sich manchmal bekanntermaßen skandalös verhielten. Die Bestimmung fand pikanterweise sogar auf längst verstorbene Habsburger Anwendung.

Am wichtigsten – und für den Weltkrieg am verhängnisvollsten – war zweifellos die Prärogative unverantwortlich: Ein Forum, vor dem der Kaiser wegen seiner Regierungshandlungen zur Verantwortung hätte gezogen werden können, gab es nicht. Der Kaiser konnte verfassungsrechtlich kein Unrecht begehen. Dafür hatten ausschließlich die Minister einzustehen: Entweder hatten sie den Monarchen nicht rechtmäßig beraten oder sie hatten ihm nicht die Wahrheit gesagt oder sie hatten ihm die erforderliche Gegenzeichnung nicht verweigert.

Und das Parlament, die Volksvertretung? Warum machte der Reichsrat nicht längst Schluss mit dem sinnlosen Morden? Seine Einberufung erfolgte ebenso wie Vertagung, Schließung und Auflösung durch den Kaiser. Der Reichsrat war am 16. März 1914 vom Kaiser auf Vorschlag des Kabinetts Stürgkh vertagt worden; als im Juli 1914 die Entscheidung zum Krieg anstand, wurde das Parlament also nicht konsultiert. Es blieb drei Jahre lang ausgeschaltet (was Friedrich Adler dazu bewog, den Grafen Stürgkh am 21. Oktober 1916 im Gasthaus zu erschießen). Während dieser Vakanz wurde mit dem berühmt-berüchtigten Paragrafen 14 regiert. Der war im Staatsgrundgesetz verankert und gab der Regierung die Möglichkeit, Verordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft zu erlassen. Erst Kaiser Karl berief den Reichsrat zum 30. Mai 1917 wieder ein und vertagte ihn dann bis zum bitteren Ende nicht mehr.

DAS MILITÄR DIKTIERT IN WIEN UND IN BERLIN

Quasi-Militärdiktatur. Mit Paul von Hindenburg (l.) und Franz Conrad von Hötzendorf regierten im Sommer 1916 in Berlin und in Wien praktisch die Militärs. Der mit Conrad verfeindete deutsche Generalstabschef Falkenhayn war zuvor seines Postens enthoben worden.

Kriegsziele. Dennoch gab es unterschiedliche Ziele für das Jahr 1916. Österreich wollte einen Sieg über Italien, dagegen wollte der deutsche Generalstab die Schlacht um Verdun gewinnen.

Balkan. Im Frühjahr hatte die montenegrinische Armee die Waffen vor den überlegenen Österreichern gestreckt, aber es blieb in der Front eine große Lücke zwischen Albanien und den deutsch-bulgarischen Truppen in Mazedonien.

Südtirol. Am 15. Mai 1916 hatte die Offensive über die Hochfläche der sieben Gemeinden im Bereich Lavarone/Folgaria Richtung Padua und Venedig begonnen. Doch sie wurde wieder abgeblasen, weil man sich mit den Deutschen nicht einigen konnte.

Isonzo. Im Wissen um die Differenzen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich startete Italien am 4. August die 6. Isonzoschlacht, die bis zum 15. August dauerte und in deren Verlauf es den Italienern gelang, die Stadt Görz, den Monte San Michele und die Hochfläche von Doberdo zu erobern. Im September erfolgte die 7. Isonzoschlacht, vom 9. bis 12. Oktober die 8. Isonzoschlacht und vom 31. Oktober bis 4. November die 9. Isonzoschlacht, die zwar gewisse Geländegewinne erzielten, ein Durchbruch nach Triest konnte jedoch nach wie vor nicht erreicht werden.

Tod und Vernichtung. Österreich-Ungarn beklagte allein bei diesen Schlachten am Isonzo Verluste von etwa 100.000 Mann. Die Reserven waren aufgebraucht; auch bei der Verpflegung, der ärztlichen Versorgung und der Rüstung war die Monarchie so gut wie am Ende.

Rumänien. Am 27. August 1916 schwenkte schließlich Rumänien um und trat auf der Seite der Alliierten in den Krieg gegen Deutschland und Österreich ein. [ Archiv]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2016)

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