Auf den Dächern der Hofburg: Die nobelste Gartenanlage Wiens

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Themenbild(c) Die Gartenmanie der Habsburger
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Krisenzeiten gab es immer schon, vor zweihundert Jahren flüchteten die Menschen ins Private, in ihre Gartenanlagen. Allen voran: ihr Kaiser Franz. Der leidenschaftliche Pflanzenliebhaber ließ sich neben seiner Hofburg-Wohnung einen Dachgarten errichten, der heute völlig vergessen ist. Ein sommerlicher Ausflug ins Grüne.

Denkmäler lügen uns oft an, auch das im Inneren Burghof der Wiener Hofburg: Der lorbeerbekränzte Herrscher, der hier mit der Toga und der Gestik eines römischen Imperators dargestellt wird, ist Franz I., der Begründer des österreichischen Kaisertums (1804) und einer der unheroischsten Monarchen, die Österreich je besessen hat. Ein im Privaten herzensguter, manchmal etwas spleeniger und langweiliger Ehemann und Familienvater, politisch ein konservativ-religiöser Bürokrat und sparsamer, staubtrockener Landesherr, der nur ein Ziel hatte: seine Bürger zur „Biederkeit“ zu erziehen und von allem Revolutionären fernzuhalten. Für die damals üblichen Formen unterhaltsamer Geselligkeit hatte der humorlose Aktenkrämer wenig übrig, aber frei von Leidenschaften war er nicht: Er war ein besessener Büchersammler und ein ebenso begeisterter Pflanzenfreund und Gartenliebhaber.

Kein Herrscher vor oder nach ihm hat die Botanik so geliebt und gefördert wie Franz, vielleicht stammt die „leidenschaftliche Liebhaberei“ schon aus seiner frühen Jugend, als er sich als Spross der toskanischen Habsburger-Linie in den Boboligärten von Florenz für die „Blumistik“ zu interessieren begann. Als junger Mann und „Kaiserlehrling“ nach Wien verpflanzt, pflegte er dieses Interesse weiter und bewahrte es ein Leben lang, wohl auch als Flucht aus der Realität: In seine Regierungszeit (ab 1792) fiel die heiße Phase der Französischen Revolution mit der Hinrichtung des Königspaares, das Ende des Heiligen Römischen Reiches und der 23-jährige Kampf mit dem napoleonischen Frankreich um die Vorherrschaft in Europa.

Sogar die Ehepolitik wurde unter ihm für die Botanik ausgeschlachtet: Franzens Tochter heiratete den brasilianischen Kaiser Dom Pedro, die Ehe scheiterte kläglich, doch das tat dem regen Import exotischer Pflanzen aus dem fernen Land keinen Abbruch. Spuren seiner Gartenleidenschaft sind heute noch erhalten: der Schlosspark von Laxenburg mit der Franzensburg, der Kaisergarten (heute Burggarten) und der Volksgarten in Wien, die angelegt wurden, nachdem Napoleon die stolzen Wiener Basteien niederkartätscht hatte.

Exotik auf dem Dach. Doch die Gewächshäuser und Kleingärten aus dem Privatbesitz der kaiserlichen Familie, die damals für die Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, sind heute längst abgerissen und vergessen. Viele „botanische Schatzkammern“ Wiens aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben die Biedermeierzeit nicht überlebt. Eine kleine feine Ausstellung im Kaiserhaus und Kurpark im niederösterreichischen Baden ruft sie unter dem Titel „Die Gartenmanie der Habsburger“ wieder in Erinnerung. Völlig vergessen ist heute, dass Franz selbst in den luftigen Höhen der Hofburg einen Terrassen-Dachgarten anlegen ließ, ein exklusives Refugium, das nicht einsehbar war und einen weiten Blick über die Vorstädte und den Wienerwald gewährte und vom Kaiser selbst mit äußerster Sorgfalt gepflegt wurde.

Und das kam so: Als Throninhaber stellte Franz seinen schrulligen Eigenwillen auch dadurch unter Beweis, dass er nicht in das erste Obergeschoß des Leopoldinischen Trakts der Hofburg zog, wo schon seine Großmutter Maria Theresia residiert hatte, sondern er bezog die wenig prunkvollen Räume im zweiten Obergeschoß des Schweizertrakts der Hofburg, also im mittelalterlichen Kernbau des Gebäudekomplexes. Sein Denkmal blickt also heute direkt auf die Fenster seines Arbeitszimmers über dem Schweizertor. Ein Verbindungsgang auf der Vorstadtseite verlief direkt von den kaiserlichen Appartements zum Bethaus des Augustinerklosters, das den Monarchen in alter Tradition als Hofkirche diente. Nordöstlich des Augustinerganges, also auf der Seite der Inneren Stadt, befand sich der gewaltige Saalbau der nach Plänen von Johann Bernhard Fischer von Erlach erbauten Hofbibliothek mit ihrem Prunksaal.

Nicht nur die Kaiserfamilie wuchs, auch die Sammlungen, und bald waren Zubauten nötig. Der Augustinergang bot nun viele Möglichkeiten, Räume für die Bücher und die naturwissenschaftlichen Sammlungen anzulegen. Man gelangte von hier aus auch auf ein Flachdach, auf dem sich eine Terrasse anlegen ließ. Kaum war Franz Kaiser geworden, baute er auf dieser Terrasse seinen privaten Dachgarten mit Glashaus, Blumenbeeten, Kakteen, Springbrunnen und einem Affenkäfig. Auch Schildkröten, Gürteltiere und Papageien bevölkerten das Glashaus zusammen mit exotischen Pflanzen. Die Privaträume waren von hier mit wenigen Schritten zu erreichen. Finanziert wurden all diese Umbauten aus der Privatschatulle des Kaisers, sie sollten ganz seinen persönlichen Bedürfnissen dienen und wurden daher nicht auf Staatskosten errichtet.

Der Rechen des Kaisers. Nur wenige kannten dieses wunderbare Refugium, in das „der Kaiser sich ungesehen vom Volk begeben“ konnte. „Seine Blumen hütete er, wie im Garten so in dem Gewächshaus mit Argusaugen“, wird berichtet. „Niemand durfte es wagen, auch nur eine Blüte abzuschneiden, geschweige denn ein Bouquet zu binden.“ Die Abbildung oben zeigt nicht nur die Anlage des Dachgartens mit seinem lanzenförmigen Zaunspalier, sondern auch den Hintergrund: das Observatorium auf der linken Seite, in der Mitte die Bibliothek am Josefsplatz und rechts den damals noch barocken Turmhelm der Augustinerkirche. Das Bild ermöglicht auch eine Datierung: Die Personen im Vordergrund sind Kaiser Franz, seine zweite Ehefrau Marie Thérèse, der kleine Ferdinand und eine Amme mit Kleinkind, das Alter der Kinder weist auf das Jahr 1795. Die Personen im rechten Bildteil sind nicht irgendwelche in der Anonymität versunkenen Gärtnergehilfen, sondern stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der prominenten Gärtnerdynastie Antoine. Drei Generationen Antoines dienten rund hundert Jahre fünf kaiserlichen Familien als Hofgärtner. Kaiser Franz versuchte, mit seinem hochgeschätzten Kompagnon Franz Antoine, der seinem Monarchen ein Prachtwerk über 51 Pfirsichgattungen widmete, an Wissen über seine Lieblingsgewächse mitzuhalten.

Ob Franz gelegentlich auch selbst zum Rechen griff? Schwer zu sagen, jedenfalls gibt es im Hofmobiliendepot Gartenwerkzeuge des „Blumenkaisers“, mit Mahagonigriffen, versteht sich. Sicher ist hingegen, dass er aus seinem Privatvermögen 15 Schlösser mit Gärten und Parks in Niederösterreich erwarb. Die finanzielle Lage Österreichs war damals prekär. Diente der ruhelose Erwerb von Grund und Boden in Krisenzeiten als einzige Geldanlage, die Wertbeständigkeit versprach?
Die Gartenleidenschaft der kaiserlichen Familie entsprach nicht nur persönlicher Vorliebe, sondern auch dem Zeitgeist der Jahrzehnte vor 1848. Das gesteigerte botanische Interesse fand seinen Widerhall in der mit Blumen verzierten Bekleidung und dem Interieur der Biedermeierzeit. Das Bürgertum zog sich in der Zeit der politischen Reaktion in seinen Privatbereich zurück, der Garten und die Wohnung als private Oasen erfuhren eine liebevolle Zuwendung, so wurde der kleine Hausgarten mit seinem Salettl zum erweiterten Wohnraum. War Herr Biedermeier nicht wohlhabend genug für einen Eigengarten, holte er sich das liebliche Grün ins Heim: Mit Töpfen auf der Fensterbank.

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