Heute vor... im Juni: Unerhörte Angriffe gegen die höhere Beamtenschaft

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Seitens des Obmannes der sozialdemokratischen Beamtengewerkschaft.

Neue Freie Presse am 30. Juni 1926

Die Sektionschefs und die Ministerialräte sind an allem schuld! Das ist der Tenor einer Rede, die Sonntag der Obmann der sozialdemokratischen Gewerkschaft der Bundesangestellten gehalten hat und die so erfüllt war von Gehässigkeiten der ärgsten Art, daß es nötig ist, besonders auf sie aufmerksam zu machen und ihren rüden Ton und ihre demagogischen Tendenzen auf das Entschiedenste zurückzuweisen. Herr Tanicki, der ehemals Zollbeamter war, hält es für richtig, als Sprecher des Bundes der öffentlichen Angestellten, wie seine Organisation heißt, geradezu den Kampf gegen die Bureaukratie zu predigen und eine Trennungslinie zu ziehen zwischen den niederen und mittleren Beamten auf der einen Seite und den höheren auf der anderen. Diese letzteren, die Sektionschefs und die Ministerialräte, sind die eigentlichen Machthaber, ihr hervorstechendes Merkmal ist der Katzentritt, und alles, was aus den Ministerin kommt, es ist nicht klar, was Herr Tanicki damit meint, wird von ihnen nur ausgeheckt, um ihre Macht zu erweitern. Sie haben sich in der Zeit des Umsturzes verkrochen, aber nachdem sie nach Ansicht des Herrn Tanicki diese Probe der Feigheit abgelegt hatten, sind sie nun frecher geworden denn je. Sie wickeln die Minister ein und sabotieren alles.

Wir denken gewiß nicht daran, die strenge Scheidung, die in dieser lieblichen Rede vorgenommen wird, mitzumachen und den mittleren und kleineren Beamten ihre Bedeutung für den Staat abzusprechen. Jeder, der an welcher Stelle immer seine Pflicht erfüllt, tut es heute im Dienst des verarmten österreichschen Staates, der seine Angestellten nur ungenügend zu entlohnen vermag, aus einem Pflichtgefühl heraus, das ein wichtiges Aktivum für die Gemeinschaft darstellt. Aber welche Gesinnung spricht aus dem Bestreben, einer ganzen Kategorie von Beamten gewissermaßen die Ehre abzuschneiden, und welche Auffassung von Standesgefühl ist es, wenn ein ehemaliger Beamter, der einer großen Vereinigung vorsteht, die höchsten Angestellten der Staatsverwaltung mit solchen Beschuldigungen bedenkt und dadurch ihre Untergebenen gegen sie aufhetzt und die Disziplin untergräbt? Gerade unter den höheren und höchsten Beamten sind sehr viele, die nach einem Leben der Arbeit in ihren jetzigen verantwortungsvollen Stellen sich kaum eine Muße gönnen, nie nach der Zahl der Arbeitsstunden fragen, die sie über dem Studium ihrer Akten in den Ministerien verbringen. Es ist eine groteske und traurige Verdrehung, diese Männer, die zu den besten Kreisen des österreichischen Bürgertums zu zählen sind, deren Familien oft seit Generationen dem Staat in uneigennütziger Weise gedient haben und deren Häuslichkeit wohl meist den Reichtum geistiger Interessen, kaum je aber materielle Reichtumer offenbart, als Feinde des Staates hinzustellen, während gerade sie in Wahrheit mit zu seinen stärksten Stützen gehören.

Heute vor 100 Jahren: Am Beginne des 24. Kriegsmonats

Die Rede des Grafen Stephan Tisza im ungarischen Reichstage.

Neue Freie Presse am 29. Juni 1916

Das zweite Jahr des Krieges wird bald vollendet sein. Zwei Jahre, die aus der Jugend von nahezu ganz Europa jeden zehnten Mann gekostet haben. Gräber sind auf den weiten Strecken von der Nordsee bis zu den Dardanellen und zum Kaukasus ausgeschaufelt worden. Millionen wurden vorzeitig in die Erde gebettet; viele einsam am Saume eines Waldes oder auf den Höhenzügen eines Gebirges, fern von der Heimat und von den Angehörigen, die zuweilen nicht einmal den Trost haben, daß ihre Tränen auf den Rasen niedertropfen und daß ihre zitternde Hand die Ruhestätte mit einigen Blumen schmückt. Wenn die Schmerzen, welche diese zwei Jahre den Menschen bereitet haben, zusammengetragen und aufgehäuft werden könnten, würde die Spitze höher sein als die höchsten Gipfel. Verarmung der Staaten und jähe Bereicherung einzelner Schichten, mühselig erhaltenes wirtschaftliches Gleichgewicht und harte Entbehrungen in den Mittelständen und daneben das Aufschäumen des neuen Geldes, das Hervorbrechen schlechter Instinkte an die Oberfläche waren die gesellschaftlichen Eindrücke der schweren Zeit. Die Erhabenheit, aber auch die Niedrigkeit der menschlichen Natur hat sich gezeigt, wie stets in großen Krisen, in denen der Adel der Seele sich rascher als sonst entfaltet, aber auch der Bodensatz durch die Erschütterung aufgerüttelt wird.

Am Beginne des vierundzwanzigsten Kriegsmonats können wir trotzdem sagen, daß der stärkste Eindruck aus dem Volke gekommen ist, aus der Opferwilligkeit, der Güte und der Zähigkeit der Namenlosen, die im Felde oder im Hinterlande zu einem Heldentum emporgewachsen sind, welches das gewaltigste Erlebnis dieser zwei Jahre ist. Vor dem Volke, das solches vollbracht und erduldet hat, werden die Geschichtsschreiber sich in Ehrfurcht neigen. Der schönste Ruhm gebührt ihm, gehört allen, die früher, gebunden durch Gewohnheit, ihr einfaches Tagewerk verrichtet haben und, da es nötig wurde, in der Gesamtheit sich über die enge Pflicht erhoben und groß waren.

Wiener Luft - besser als ihr Ruf?

Ärzte diskutieren über die Schädlichkeit von Großstadt-Luft.

Neue Freie Presse am 28. Juni 1896

Wir haben gestern ein Urteil des berühmten Berliner Klinikers, Geheimrathes von Lenden, über die Berliner Luft mitgetheilt, welches hier in Wien allgemeine Aufmerksamkeit erregen mußte. Lenden hat nämlich die Berliner Luft gegen den Verdacht, daß sie besonders den Lungenkranken unzuträglich sei, in Schutz genommen und versichert, daß die Berliner Luft allzu ungünstig beurtheilt wurde. Es komme nur darauf an, daß sie nicht allzu viel Staub enthalte. Aber die Luft am der Riviera und am Genfer See wimmle von Staub, ohne daß die Kranken sich dadurch abschrecken lassen. Ueberhaupt erklärte Lenden, daß er bezüglich der Heilkraft einer guten Luft ziemlich skeptisch sei. Gute Luft sei erfrischend, kühle Luft, Gebirgsluft, sei erquickend, aber sie gehöre nicht zu den besonderen Heilmitteln der Krankheiten.

Diese Aussprüche eines der berühmtesten Arzte der Gegenwart mußten natürlich das Publicum höchst überraschen. Widersprechen sie doch allen Anschauungen, welche die Laienwelt von den Einflüssen der Luft auf den gesunden und den kranken Körper hat! Uns uns in Wien drängt sich alsbald die Frage auf: Gilt das auch von der Wiener Luft? Wie ist es mit dieser bestellt? In Wien schreibt man doch die große Zahl der Opfer, welche die Tuberculose alljährlich noch immer fordert, hauptsächlich den verhängnisvollen Eigenschaften unserer Luft und namentlich den Einwirkungen des Wiener Staubes zu, der ihr beigemengt ist. Die Bekämpfung dieser Gefahren ist eine Lebensfrage für Wien. Wir haben uns deshalb an mehrere medicinische Autoritäten mit dem Ansuchen gewendet, uns ihre Meinung über die Außerungen Lenden’s im Hinblicke auf die sanitären Zustände in Wien mit Bezug auf die Wiener Luft mitzutheilen.

Auszug aus den Antworten: Ober-Sanitätsrath Dr. Gruber: “Daß speciell in Wien für Tuberculose ungünstigere Verhältnisse bestehen als in Berlin, hat darin seinen Grund, daß Berlin eben gelegen ist und daß dort die Windentwicklung - und damit auch die Staubentfaltung - eine weit geringere ist, als bei uns in Wien. Wenn nun also gute und reine Luft nicht gerade zu den besonderen und für Tuberculose geradezu unerlässlichen Heilmitteln zählt, so ist sie doch jedenfalls ein Factor, der die Heilwirkung hebt und fördert.

Hofrath Professor Dr. Drasche ist in allen Punkten gegenteiliger Ansicht als Lenden und beruft sich auf die Ergebnisse, welche die Untersuchung von Lungen solcher Arbeiter, die in ihren Betrieben Metall-, Glas- oder mineralischem Staub ausgelegt seien, ergaben. In allerdings entsprechend vermindertem Maße wirke aber der Straßenstaub in großen Städten auf die Athmungsorgane ihrer Bewohner.

Der Kaiser, der gesündeste Habsburger

Der Kaiser hat noch nie an Kopfschmerzen gelitten und  trinkt täglich bloß zwei Glas Bier und etwas schwachen Wein.

Neue Freie Presse am 27. Juni 1906

Aus Budapest wird uns gemeldet: “Magyar Nemzet” erhält auf Grund eines Gespräches mit dem Leibarzte des Kaisers, Hofarzt Doktor Kerzl, von einem Wiener Berichterstatter, Mitteilungen über die Lebensweise und den Gesundheitszustand des Kaisers. Wir entnehmen der Darstellung des erwähnten Blattes folgende Angaben: “Ich muß”, sagte Dr. Kerzl, “stets in der unmittelbaren Nähe des Monarchen sein. Ich weiß nicht, ob es nur Gewohnheit ist, aber Se. Majestät will den Arzt immer in seiner Umgebung haben. Ich erscheine jeden Morgen bei Se. Majestät, um mich über das Befinden zu erkundigen, und erhalte immer die Antwort: “Mir fehlt gar nichts.” Der Gesundheitszustand des Monarchen ist derzeit der denkbar beste. Se. Majestät gehört unter diejenigen Personen, die ein Menschenalter hindurch nicht einmal an Kopfschmerzen gelitten haben. Der Kaiser und der um drei ältere Erzherzog Rainer sind die gesündesten Habsburger. Bei keinem von beiden sind Erscheinungen des Alters wahrzunehmen. Allerdings erklärt sich dieses Wunder durch die Lebensweise des Monarchen. Der Kaiser, der ehedem täglich zehn bis fünfzehn Virginiazigarren rauchte, begnügt sich heute mit höchstens zwei Trabuco- oder leichten Havanazigarren. Er trinkt täglich bloß etwa zwei Glas Bier und etwas schwachen Wein. Er schläft viel, und namentlich wird darauf geachtet, daß er sich keine Erkältung zuzieht, besonders auf der Reise.”

Burschen wollen Mechaniker werden, Mädchen Verkäuferin

Die Berufswünsche der Wiener Schüler.

Neue Freie Presse am 26. Juni 1936

Am Ende dieses Schuljahres werden in Wien rund 20.000 Kinder aus der Schule entlassen. Wie der Berufsberater des Landesarbeitsamtes in Wien Hans Gammel mitteilt, sind die Berufswünsche der Knaben auf einige wenige Berufe gerichtet. Die Berufe Mechaniker, Verkaufspraktikant, Bäcker, Fleischhauer, Friseur und Elektrotechniker erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Es ist anzunehmen, daß hiebei neben der entwicklungsbedingten Neigung zu den technischen Berufen die soziale und finanzielle Lage des Elternhauses den Ausschlag gibt und bei größerem Notstand das Kind in Berufe drängt, in denen es beim Lehrherren auf Verpflegung und Quartier oder zumindest auf Verpflegung rechnen kann. (...)

Nach Mitteilungen von Berufsberaterin Helene Corradini suchten von etwa zehntausend aus der Schule austretenden Mädchen fast alle das Berufsberatungsamt auf. Die meisten Berufswünsche zielen auf Verkauf und Schneiderei hin, dann folgen Friseurin und Erziehungsberufe. Diesen Berufsgruppen streben viel mehr Mädchen zu, als später in ihnen tätig sein können.

Stoffvergeudung in der Damenmode

Neue Freie Presse am 25. Juni 1916

Von geschätzter Seite wird uns geschrieben: “Die Tyrannin Mode ist im Begriff, unseren Damen einen neuen Streich zu spielen und es ist unsere Pflicht, dem in der “Neuen Freien Presse” schon wiederholt durch die Infantin Maria von Draganza gegebenen trefflichen Beispiel folgend, sie davor zu bewahren. Man will sie verleiten, der Torheit der jetzigen Kleidermode (größte Stoffvergeudung zurzeit empfindlicher Wollknappheit!) die Krone aufzusetzen, indem sie im Herbst dem nicht allein weiten, sondern gleichzeitig auch langen Rock, einen weiten Schlepprock also, ihre Reverenz machen sollen. (...)

Wie begreiflich von Seiten der Franzosen und wie gänzlich unbegreiflich und sündhaft von unserer Seite. Aber, was geschehen ist, das läßt sich heute nicht mehr ändern, wie albern uns dies Nachäffen einer vom Feinde diktierten (ich sehe, ich bin unverbesserlich), unseren eigenen Interessen schnurstracks zuwiderlaufenden Kleidermode auch vorkommen mag und wie beschämend es auch immer ist, wenn sich im Kriege Frauen finden, die stolz und glücklich sind, so oft es ihnen gelungen ist, eine Toilette zu ergattern, die trotz der eingenähten Schweizer Firmenbezeichnung in Wirklichkeit doch aus einem Pariser Atelier stammt. (...)

Hoffen wir also, daß es der Tätigkeit einer patriotischen Presse, den Bemühungen unserer einsichtigen Damen und endlich der Umsicht unserer Behörden gelingen möge, die drohende Gefahr einer neuen vaterlandslosen Modetorheit rechtzeitig zu beschwören.”

Ein rücksichtsvoller Dieb

Wenn er in eine bessere Lage kommen sollte, werde er gewiß das Geld zurückschicken, schreibt der Täter.

Neue Freie Presse am 24. Juni 1896

Samstag Nachmittags wurde vom Hof- und Gerichtsadvocaten Dr. Adolph Flax aus seiner Wohnung, Praterstraße Nr. 13, eine goldene Remontoir-Uhr samt Kette und Medaillon im Werthe von 180 fl. Gestohlen. Am nächsten Morgen erhielt Herr Dr. Flax durch die Post ein Schreiben, welches den Pfandschein über die gestohlenen Werthgegenstände enthielt und mit den Worten begann: „Ich bin der Mann, was die Uhr gestohlen hat.“ Nachdem der Dieb sich so formell vorgestellt, theilt er dem Bestohlenen noch mit, er sei ein armer Familienvater mit vier Kindern und habe den Diebstahl ausgeführt, da er wisse, daß der Verlust Herrn Dr. Flax nicht schmerzlich treffen werde. Wenn er in eine bessere Lage kommen sollte, werde er gewiß das Geld zurückschicken. Wie erhoben wurde, ließ der Dieb die Preziosen durch einen Dienstmann in der Währingerstraße verpfänden, wobei er den Auftrag gab, einen kleinen Pfandschilling zu verlangen, damit er die Uhr leichter auslösen könne. Er erhielt in Folge dessen nur 63 fl. Und schickte sofort nach Erhalt des Geldes den Pfandschein mit dem erwähnten Briefe an den Bestohlenen ab.

Erste Weltkonferenz der Schauspieler

1926 scheint das an internationalen Konferenzen reichste Jahr des Jahrhunderts zu werden.

Neue Freie Presse am 23. Juni 1926

Ich weiß nicht, durch welche Merkmale sich in den Augen der zukünftigen Geschichtsschreiber das Jahr 1926 auszeichnen wird, vorläufig steht jedenfalls fest, daß es das an internationalen Konferenzen reichste Jahr des Jahrhunderts ist. Binnen wenigen Wochen wurden in den verschiedenen Teilen Europas internationale Polizei-, Esperanto-, Theater- und Literaturkritiker-, Studenten-, Frauen-, Schriftsteller- und sonstige Konferenzen einberufen. Am 12. Juni tagte in Paris ein internationaler Bühnenautorenkongreß, am 23. tagt ein Weltkongreß der Schauspieler in Berlin, im Herbst, ebenfalls in Berlin, der erste Kongreß der Sexualforscher. … Die Liste ist aber noch sehr unvollkommen – es wurden viel mehr Konferenzen abgehalten und unendlich mehr bereiten sich für dies gleiche Jahr vor. Manche sind Erstlingskongresse wie der der Schauspieler, die, dem Rufe der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger und durch sie dem Rufe des deutschen Schauspielerkartells folgend, in einigen Wochen aus siebzehn Ländern in Berlin zusammentreffen werden, um verschiedene Fragen zu erörtern, unter anderen auch den Plan eines Welttheaters.

Heute vor 80 Jahren: Philosoph Schlick an der Uni Wien erschossen

Ein früherer Student ermordete den berühmten Professor Moritz Schlick auf der Philosophenstiege.

Neue Freie Presse am 22. Juni 1936

Heute in den frühen Vormittagsstunden wurde der ordentliche öffentliche Professor für Philosophie an der Universität Dr. Moritz Schlick von einem ehemaligen Schüler, dem Dr. phil. Johann Nelböck auf der Stiege zum philiosphischen Dekanat durch fünf Revolverschüsse getötet. Zu Beginn der Frühvorlesung, die Professor Schlick jeden Montag von 9 bis 10 Uhr im Hörsaale 41 abhielt, begab er sich wie gewöhnlich durch die Aula über die Philosophenstiege zum philosophischen Dekanat. Er ging allein in eiligem Tempo die zweite Hauptstiege hinauf. Als der Professor, der mitten unter Studenten und Studentinnen die Stiege hinaufschritt und ungefähr die zehnte Stufe erreicht hatte, sprang von links ein hochgewachsener junger Mann mit blonden Haaren einige Stufen vor, drehte sich rasch um, riß einen Revolver aus der Tasche und feuerte aus ungefähr drei bis vier Schritten Distanz etwa vier bis fünf Schüsse auf den knapp vor ihm stehenden Professor ab.

Professor Schlick schrie nach dem ersten Schuß, der ihn in die Herzgegend getroffen hatte, laut auf, warf beide Arme hoch und sank beim zweiten Schuß auf den Stufen der Treppe zusammen und fiel dann nochmals mit einem leisen Schrei nach rückwärts. Schon nach den ersten Schußdetonationen waren innerhalb weniger Sekunden die Treppen menschenleer. Der Attentäter Dr. Nelböck bleib auf dem ersten Podest der Treppe stehen, ließ den Revolver fallen und machte keinerlei Anstalten, sich zu entfernen, so daß, nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, zunächst zwei Studentgen und dann auch Wachebeamte ihn festnahmen und auf die Wachstube in der Universität bringen konnten. (...)

Dr. Nelböck, der nach seiner Verhaftung auf der Wachstube der Universität sofort einem Verhör unter Leitung des Hofrates Polizeihauptmann Dr. Schattl unterzogen wurde, gibt an, daß er sich seit Jahren durch Professor Schlick bedroht fühle. Er sei Schüler des Professors gewesen, habe sich aber nie recht mit seinen philiophischen Anschauungen identifizieren können und habe ein anderes philosophisches System vertreten. In der letzten Zeit habe er sich um eine Stelle als Lehrer an der Volkshochschule beworben, wurde aber dort abgewiesen. Er nahm nun an, daß diese Abweisung  auf Einspruch des ermordeten Professors zurückzuführen sei und habe, “nachdem er darüber nicht hinwegkam”, nach einer schlaflosen Nacht heute früh die Universität zu einer Zeit aufgesucht, von der er wußte, daß der Professor in diesen Stunden seine Vorlesung abhalte, um ihn zu töten. Er habe Professor Schlick zwar seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen, trotzdem aber immer noch unter seinen “Nachstellungen” zu leiden gehabt. Den Revolver habe er sich bereits vor mehreren Monaten gekauft, angeblich, um mit seinem Leben Schluß zu machen.

Anm.: Nelböck hatte Schlick bereits zuvor bedroht und wurde für mehrere Monate in die Psychiatrie eingewiesen. Er dürfte aus Eifersucht gehandelt haben. Später wurde der Mord an dem bekannten Philosophen als antisemitische Tat uminterpretiert, weshalb Nelböck 1938 von den Nationalsozialisten vorzeitig aus der Haft entlassen wurde.>> Mehr zu dem Fall

Neue Unruhen in Irland

Ein Gefängnis wurde gestürmt, Bahnverbindungen waren unterbrochen.

Neue Freie Presse am 21. Juni 1916

Aus Berlin kommt die Nachricht, daß in Irland neue Unruhen ausgebrochen sind. Die Sinn Feiner hätten von neuem Gewalttätigkeiten begonnen, ein Gefängnis überrumpelt und die Gefangenen befreit. Die Bahnverbindungen seien wieder unsicher geworden und zum Teil sogar abgebrochen. Es zeigt sich somit, daß der englische Plan, die Revolution gütlich zu beendigen, auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Asquith fuhr selbst nach Irland, um nach dem Rechten zu sehen. (...)

Die Sinn Feiner scheinen von dem Gedanken auszugehen, daß ihnen die Revolution trotz der Niederlage genützt habe, und daß sie daher nur noch mehr zu drängen brauchen, um vielleicht die volle Selbständigkeit zu erlangen. Man erlebt ja häufig, daß Nationen auch nach den ärgsten Ausschreitungen noch immer begünstigt werden, und daß einerseits ihre heftige Agitation verschüchtert und ängstlich macht, und andererseits eine zur Schau getragene Loyalität naturgemäß bei jenen, die sich gern täuschen lassen, lebhaften Anklang findet. Die irische Wunde ist jedoch nicht geschlossen, Sinn Fein lebt noch immer und England wird mit Unruhe nach dem Mißerfolge zur See, nach dem Tode Lord Kitcheners auf die Nachrichten aus Dublin horchen.

Anm.:  Im April 1916 hatten sich irische Nationalisten in Dublin die Republik ausgerufen. Der Osteraufstand wurde von den Briten mit aller Härte niedergeschlagen. >>Mehr dazu

Kriegserklärung an Österreich

“Preußen und Italien werden nun über Oesterreich gleich hungrigen Wölfen herfallen”, schreibt die Zeitung.

Neue Freie Presse am 20. Juni 1866

Fürwahr, es ist kein bloßer Zufall, daß der Moniteur des napoleonischen Kaiserreichs das erste und einzige Blatt in Europa ist, welches heute die Nachricht von der erfolgten officiellen Kriegserklärung Preußens und Italiens an Oesterreich veröffentlicht. Lange hat es gebraucht, viel unterirdische Arbeit hat es gekostet, bis die Dinge soweit gebracht werden konnten; aber endlich ist es gelungen, das napoleonische Frankreich kann nun leichter aufathmen, das Ziel seiner Sehnsucht ist erreicht, und der Moniteur kann die große Nachricht verkündigen, daß Preußen und Italien nun über Oesterreich gleich hungrigen Wölfen herfallen werden. (...)

Und deshalb sprechen wir es auch aus, daß das Erscheinen der Nachricht von der erfolgten officiellen Kriegserklärung Preußens und Italiens im französischen Moniteur nichts Zufälliges ist. Es hat diese Thatsache eine tiefe Bedeutung, und spiegelt sich in ihr die ganze Situation ab. Der Krieg, den Italien und Preußen uns erklärt, wird unter der Aegyde der “aufmerksamen Neutralität” Frankreichs geführt. (...)

Nun, der Moniteur verkündete heute Frankreich die freudige Botschaft, daß Preußen und Italien an Oesterreich den Krieg erklärt haben, und der blutige Kampf wird jetzt seinen Anfang nehmen. Sein Ende sehen wir heute noch nicht ab; allein, wenn der letzte Rest von Ehrlichkeit und Recht aus dem Verkehre gesitteter Nationen unter einander nicht verschwinden und Europa sich nicht in eine kannibalische Räuberhöhle verwandeln soll, so möge der Wunsch von Millionen in Erfüllung gehen und den gekrönten und nicht gekrönten Verschwörern und Uebelthätern die verrätherische Waffe aus den Händen geschlagen werden und über sie selbst ein wohlverdientes vernichtendes Strafgericht hereinbrechen. Das erfordert nicht blos die Gerechtigkeit, wenn es in der Geschichte fürderhin noch eine geben soll, das erfordert das namenlose Elend und die grauenvolle Verwüstung, welche dieser schreckliche Krieg über die reichsten und blühendsten Lande Europas verbreiten wird.

Wie soll Beethovens Grabmal aussehen?

Über die Optik wird verhandelt.

Neue Freie Presse am 19. Juni 1886

Die Gesellschaft der Musikfreunde hat – wie bekannt – sich mit dem Magistrat darüber geeinigt, bei der Errichtung des Grabdenkmals für Beethoven auf dem Wiener Central-Friedhofe die Form des ursprünglichen Grabsteines Beethoven's auf dem Währinger Ortsfriedhofe beizubehalten. Es sind nur unwesentliche Aenderungen beabsichtigt, und zwar, daß das Denkmal jenem, welches Kundmann im Auftrage des Männergesangs-Vereins für Franz Schubert ausführt, entsprechend, aber größer angefertigt und mit einer Widmungsinschrift versehen werde; ferner sollen die Bilder der Schlange und des Schmetterlings, als Emblem der Ewigkeit und Unsterblichkeit, wegbleiben und die Lyra durch Beethoven's Medaillonporträt ersetzt werden. Das Stadtbauamt ist eher, wie es heißt mit den geplanten Aenderungen nicht einverstanden; es wünscht, mit der Durchführung des Denkmals einen Architekten zu betrauen. Zu diesem Zwecke sollen neuerdings Verhandlungen zwischen dem Stadtbauamte und der Gesellschaft der Musikfreunde stattfinden.

Anmerkung: Das Ehrengrab des Komponisten Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) befindet sich am Wiener Zentralfriedhof in der Gräber-Gruppe 32 A und hat die Nummer 29. Der Musiker war ursprünglich am Währinger Friedhof begraben, bevor seine Gebeine in das Ehrengrab überführt wurden. Nach langen Diskussionen wurde dort eine getreue Nachbildung des ursprünglichen Grabsteins errichtet. Heute gibt es deswegen zwei Grabmale des Musikers: an der ursprünglichen Grabstätte (heute im "Schubert-Park") und im Ehrenhain auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Elektrische Tramway in Wien

Dr. Lueger stellt eine lange Reihe von Bedingungen.

Neue Freie Presse am 18. Juni 1896

Heute fand die politische Begehung der projectierten elektrischen Tramwaystrecke Wallgasse, Kaiserstraße, Blindengasse, Josephstädterstraße, Skodagasse, Alserstraße, Spitalgasse, Lazarethgasse, Alserbachstraße, Brigittabrücke, Wallensteinstraße, Rauschergasse, Nordbahnstraße, Praterstern, Kronzprinz-Rudolphstraße, Engerthstraße statt. Das Project sowie den geplanten Betrieb mit alleiniger oberirdischer Leitung, als auch die Betriebsmittel haben wir bereits am 31. Mai d. J. Ausführlich geschildert. Die Commune Wien war durch Dr. Lueger, Magistratsrath Linsbauer, Baurath Ehlers und Ingenieur Klose, außerdem noch durch Ausschüsse der einzelnen tangirten Bezirke, die Statthalterei durch Statthalterei-Commissär Haun, Ober-Ingenieur Krenn un dKLose, die General-Inspection der Stadtbahnen durch die Ober-Inspectoren Riebl und Löber, die Wiener Tramway durch Ober-Ingenieur Schmidt und die Neue Wiener Tramway durch Herrn Ullmann vertreten. Außerdem waren auch die Polizei-Bezirksleiter der einzelnen Bezirke anwesend. Dr. Lueger stellte hierbei namens der Commune Wien eine lange Reihe von Bedingungen unter denen der Anlage zugestimmt wird. Die wichtigste für die Bevölkerung ist, daß für die ganze Strecke das Ueberfüllungsverbot erlassen werde und die Gesellschaft sich unterwerfe, die Verfügungen zu befolgen, die sich nach den zu machenden Erfahrungen als nothwendig erweisen. Die Fortsetzung der Commission findet am Samstag statt, bei welcher Ober-Ingenieur Schmidt für die Tramway die Gegenerklärungen abgeben wird.


Anmerkung: Heute fahren in Wien 29 Straßenbahnlinien auf einer Gleislänge von 432,3 Kilometern durch die Bundeshauptstadt. Und bescheren Wien damit das sechstgrößte Straßenbahnnetz weltweit – hinter Melbourne, Sofia, Berlin, St. Petersburg und Moskau. Vorläufer der elektrischen „Bim“ war eine „behufte“. Konkret: Die „Privilegierte Kaiser-Franz-Joseph-Pferde-Eisenbahn“, die am 4. Oktober 1865 ihren Betrieb aufgenommen hat.

Ein Gendarm als Erpresser

Mithilfe zweier Briefe wollten sich ein Gendarm und seine Frau bereichern.

Neue Freie Presse am 17. Juni 1906

Aus Lemberg telegraphiert man uns: Der Gutsbesitzer Karl Ritter v. Podlewski in Chomianowka machte dem Czortkower Bezirksgerichte die Mitteilung, er habe ein anonymes Schreiben erhalten, in welchem er aufgefordert wird auf dem Postamte in Stanislau unter der Chiffre „Izy 002 m“ poste restante einen Betrag von dreitausend Kronen zu erlegen, widrigenfalls man gegen ihn die Strafanzeige wegen eines von ihm begangenen Verbrechens erstatten würde. Auf Veranlassung der Gerichtsbehörde übermittelte Ritter v. Podlewski dem Stanislauer Postamte unter der angegebenen Adresse ein Paket. Als am Mittwoch nachmittags am Postschalter ein Mann zur Abholung erschien, wurde er verhaftet. Es war der bei der Staatsbahn beschäftigte Kupferschmied und Realitätenbesitzer Jasinski. Er erklärte, er sei brieflich aufgefordert worden, das Paket abzuholen. Als Urheber des Erpressungsversuches wurden der Gendarmeriepostenführer in Bialoboznica Pawlowski und dessen Frau Bronislawa, eine Nichte des verhafteten Kupferschmieds Jasinski, eruiert. In ihrem Briefe an Jasinski wurden diesem genaue Verhaltungsmaßregeln bei der Entgegennahme der Geldsendung erteilt. Es wurde ihm tunlichste Vorsicht mit dem Beifügen empfohlen, er solle Donnerstag mit dem Morgenzuge nach Bialoboznica kommen; auf dem Bahnhofe werde ihn Pawlowski erwarten. An Stelle Jasinskis kamen Gendarmen mit einer Kommission, welche Pawlowski und dessen Frau festnahmen.

Das Wettrennen um die Welt

Ein einst dem Tode geweihter Amerikaner will in 30 oder weniger Tagen um die Welt reisen.

Neue Freie Presse am 16. Juni 1926

Unter den vielen Rekorden, die aufzustellen man sich jetzt bemüht, ist auch der, die Reise um die Welt in 30 oder noch weniger Tagen zurückzulegen. Die jüngsten um die Welt Reisenden, der Flieger Linton Wells und Eduard S. Evans, nicht der Sohn, wie ursprünglich behauptet wurde, sondern der bekannte amerikanische Industriekapitän gleichen Namens selbst. Ein mehrfacher Millionär, ist sein Lebenslauf typisch für das Auf und Nieder im Leben eines amerikanischen Finanzmagnaten.

Vor zehn Jahren (er ist jetzt 46) wurde er, nach hartem und erfolgreichem Kampfe für seine Karriere, von einem Leiden am Bein befallen. Das machte ihn für die Zeit, die ihm seine Aerzte noch zu leben gaben, zu einem Krüppel. Sie sagten, er werde es keine vierzehn Tage mehr “machen”. Um die Lage, wenn möglich, noch zu verschlimmern, mußte er für gewisse finanzielle Garantien, die er für Freunde übernommen hatte, einstehen, und stand ohne einen Heller da. In Wirklichkeit, sagt er selbst, hatte er sogar noch 16.000 Dollar Schulden. Auf alle Fälle beschloß Mr. Evans, weder zu sterben noch sich an die Wand drücken zu lassen. Er genas un begann ein neues Leben als Kommis mit 5 Dollar am Tag. Heute ist er der Chef einer Drei-Millionen-Dollar-Gesellschaft zur Fabrikation von Verladungseinrichtungen für Kraftwagen; er ist der größte Einzelabnehmer für Fichtenholz in den Vereinigten Staaten, der Chef eines Pfandbriefinstituts, Präsident der National Advertising Agency und Sekretär und Schatzmeister der Motorkraftwagenvereinigung von Detroit. Er ist ein erfahrener Kämpe, reich an Auskunftsmitteln, und hat unbegrenzte Kapitalien zu seiner Verfügung. Das Rennen wird also keinesfalls in Geldverlegenheit geraten.

Der Reiseplan enthält keine Zeit für Rast. Die Reisenden werden tatsächlich unausgesetzt in Bewegung sein. Um ihr Programm einzuhalten, müssen sie im Tag 670 Meilen zurücklegen, das ist 150 mehr als der Durchschnitt Mears betrug, und 90 mehr, als Goldstrom täglich bis Verkhne Udinsk machte. Sie müssen wirlich eine halbe Meile in jeder Minute hinter sich legen. Wenn sie Newyork am 13. Juli erreichen, werden sie ser schön gesiegt haben, da zur Brechung von Mears Rekord ein Eintreffen am 21. Juli ausreichen würde.

Anmerkung: Tatsächlich schafften es Eduard Evans und Linton Wells, die Erde in 28 Tagen, 14 Stunden und 37 Minuten zu umrunden. Sie schlugen den alten, von John Henry Mears gehaltenen Rekord aus dem Jahr 1913, der die Reise in 35 Tagen geschafft hatte.

Kampf mit einer Riesenschlange

Der Kadaver wurde einem Gymnasium geschenkt.

Neue Freie Presse am 15. Juni 1906

Aus Steinamanger wird gemeldet: Im Frühjahres ist in Körmend aus einer Menagerie eine Riesenschlange entkommen. Es wurde damals auf das Tier Jagd gemacht, jedoch vergeblich. Gestern hatte der Katasterbeamte Alexander Kömpes bei einer Kommission in der Nähe von Horvatnadal zu tun. Als die Herren zu einer Brücke kamen, sahen sie dort etwas liegen, was sie für einen Baumstumpf hielten, fanden aber, näher tretend, daß es eine große Schlange war. Kömpes hatte einen scharfgeschliffenen Fogos bei sich, mit dem er einen Hieb nach dem Kopf des Tieres führte. Er verfehlte sein Ziel, und die Schlange fuhr auf ihn los. Mit neuen Schlägen spaltete er den Kopf der Schlange, und seine Begleiter töteten dann mit Steinen das Tier. Der Kadaver wurde dem Gymnasium in Steinamanger geschenkt.

Anmerkung: Die Stadt Steinamanger (ungar. Szombathely) befindet sich in Westungarn, nahe der österreichischen Grenze.

Der geisteskranke König, ertrunken!

Ludwig II., König von Bayern, wurde tot im Starnberger See gefunden.

Neue Freie Presse am 14. Juni 1886

Ludwig der Zweite von Bayern hat gestern den Tod in den Fluthen des Starnberger Sees gefunden. Erschüttert steht man vor einem Schicksale, welches das Ende des Lebens so ganz widersprechend den Anfängen gestaltete; aber selbst in dieser grausamen Fügung ist das Walten jener Gerechtigkeit zu erkennen, welche die Vernichtung in eine Läuterung verwandelt. Es ist, als ob die erzürnten Geister des Wassers den kranken König hinuntergezogen hätten in ihren Schoß, weil er die geheimnisvolle Einsamkeit der Natur nicht aufsuchte, um sich zu erheben, sondern um seine Verwirrung zu verbergen; weil er der Schranken nicht geachtet hat, welche den Leidenschaften der Menschen gezogen sind. Wer kann die Grenzen ermessen, welche den Wahn von der Vernunft trennen? Auch in dieser zerrissenen Seele dämmerte die Erkenntnis von der ernsten Schuld , die Ludwig auf sich geladen, von der Schmach, die ihm drohte, wenn die Nothwendigkeit entstehen würde, seine Entthronung zu begründen.

Vielleicht konnte er den Gedanken nicht ertragen, von solcher Höhe herabgestürzt, gefangen, willenlos zu sein, und so drängte ihn sein leidendes Gemüth, mit der Herrschaft auch das Dasein zu beschließen, in den Spiegel zu tauchen, den er so oft in sternenhellen Nächten befahren hatte. Die krausen Gänge eines zerstörten Gehirns sind unerforschlich; aber es scheint, daß Ludwig wenigstens im Tode die vornehmen Triebe seiner Jugend wieder fand, daß er sterben wollte mit dem ganze Stolze eines Königs. Die Sphynx stürzt sich in den Abgrund, wenn ihre peinlichen Räthsel gelöst sind.

(…) Die Bayern werden mit Trauer am Sarge des Königs stehen, sie werden geneigt sein, sich jetzt mehr der Tage seines Glanzes zu erinnern, sie werden mit Wehmuth den letzten Monarchen zur Gruft geleiten, der regierte, noch ehe es einen deutschen Kaiser gab; sie werden in ihrem Schmerze daran denken, daß es der Brief Ludwigs's an die deutschen Souveräne war, der es dem siegreichen Wilhelm verstattete, ein Fürst der Fürsten zu werde; aber sie werden wissen, daß alle diese Katastrophen den Lauf der deutschen Geschichte nicht mehr bestimmen. Der Gedanke an das Ende Ludwigs's des Zweiten wird auch den Hohen und Mächtigen der Werde Bescheidenheit einflößen. Er hat sich selbst den Platz geraubt, den er in der Walhalla der Nation verdient hätte.

Anmerkung: Der König von Bayern, Ludwig II., wurde am 9. Juni 1886 entmündigt, nachdem ihn ein Gutachten – das auf Betreiben der Regierung zustande gekommen und für das er selbst nicht untersucht worden war – für „seelengestört“ und „unheilbar“ erklärt hatte. In der Nacht auf den 10. Juni wurde er verhaftet und zwei Tage später nach Schloss Berg gebracht. Am 13. Juni unternahm Ludwig II. mit dem Arzt Bernhard von Gudden einen Spaziergang am Ufer des Starnberger Sees. Als beide um 20 Uhr nicht zurück waren, wurden Gendarmen ausgeschickt. Schließlich fand man beide im seichten Wasser. Nach der offiziellen Darstellung habe von Gudden den Regenten an einem Selbstmordversuch hindern wollen und sei dabei selbst zu Tode gekommen. Diese Version wurde jedoch schon bald bezweifelt. Bis heute sind die genauen Todesumstände unbekannt.

Bismarck und sein „Größenwahn“

Ein Arzt versucht, den Beweis anzutreten, dass der Graf an der Monomanie litt.

Neue Freie Presse am 13. Juni 1866

Aus Berlin erhält die Allg. Wr. Med. Ztg. von einem Arzte ein Schreiben, in welchem der Beweis angetreten wird, Graf Bismarck leide an der Monomanie des „Größenwahns“. Der Correspondent fragt nach einer Einleitung, welche diese Manie im Allgemeinen bespricht: „Bei Graf Bismarck wurzeln alle Kennzeichen der Manie im Kern seines Wesens, sie datieren nicht von heute und gestern, sondern von dem Augenblicke schon, wo sein Name überhaupt genannt wurde.

(…) Im Jahre 1813 geboren, erhielt Bismarck, sowie andere wenig bemittelte preußische Junker, jene Erziehung, die mit der Naturgeschichte der Pferde und Hunde anfängt, sich bis zur minutiösen Kenntnis der Aehnlichkeiten und Unterschiede aller Mitglieder des Corps de Ballet entwickelt und in einer Sinecure im Staats- oder Militärdienste ihren Ausgangspunkt findet. So werden alle Junker und so auch wurde Graf Bismarck herangebildet, nur mit dem Unterschiede, daß er exzentrischer war, als seine Genossen. Nachdem er mancherlei kleinere Unthaten begangen, vollbrachte er seine erste große That, indem er seinem Reitlehrer, einem Unterofficier der Landwehr, mit der Reitpeitsche ein Auge ausschlug. Daß er im 16. Jahre eine Liebschaft wegen seinen Nebenbuhler herausforderte und einen Selbstmordversuch machte; daß er von einigen Brandenburger Bauern bald erschlagen worden wäre, weil er sie zum Frohndienst zwingen wollte; daß er auf der Schule mit seinen Alters- und Gesinnungsgenossenmittelalterliche Turnierspiele einführte; daß er vom Ober-Gymnasium schon entfernt werden mußte, weil er seinen Professor einen bürgerlichen Esel nannte; daß er mit seiner Familie in ewiger Fehde lebte, weil die Mitglieder derselben nicht in Allem und Jedem seiner exzentrischen Laune nachgeben wollten – das mögen für Viele lauter Dinge sein, die nach als Jugendstreiche gelten können und mit dem Wesen des heutigen Bismarck nicht weiter in Einklang zu bringen wären, wenn dieser in reiferen Jahren einen anderen Charakter angenommen hätte.

Diese Exzentricitäten der Jugend indes gelangen für den beobachtenden Irrenarzt zur Bedeutung: sie sind nicht sowohl ein Symptom der Jugend, als vielmehr ein Symptom der Krankheit, die heute beim preußischen Premier zur weiteren Entwicklung gelangt ist, und die bei naturgemäßem Fortschritt zur Tobsucht, zum Wahnsinn mit Paralysen übergehen dürfte. Im Jahre 1847 lenkte Bismarck zuerst die Aufmerksamkeit der preußischen Regierung auf sich, indem er in seiner exzentrischen Weise auf dem Landtage für eine Art von dictatorischem Absolutismus in die Schranken trat und sich jeder schmälerung der alten ständischen Privilegien widersetzte. Damals sprach er die exzentrischen Worte, der Adel müsse sich mit der Krone, die Krone mit dem Adel identifizieren, und wieder schlechteste Fürst der Edelste unter den Edeln, so sei der beste und reichste Bürger noch immer nicht dem ärmsten und letzten der Ritter gleichzustellen.“

Nun zählt der Correspondent eine Reihe von Excentricitäten des Grafen auf und spricht endlich die Vermuthung aus, es sei der Aufenthalt desselben in Paris muthmaßlich der Beginn seiner entschieden ausgesprochenen Geisteszerrüttung; er begründet diese Meinung in nachstehender Weise: „Der napoleonische Hof und die ungeheure nie dagewesene machtentwicklung Frankreichs brachten im Innern Bismarck's jene Manie zum Ausbruch, die sich vor Allem in Größenwahn kundgibt. Bismarck ließ sich in einer Privatgesellschaft, als von Ludwig XIV.und seinem bekannten Aussprucge duie Rede war, zu den Worten hinreißen: „La Prusse c'est moi“, eine eclatante Kundgebung seines Größenwahns. Aber“, fährt der Verfasser fort, „noch immer war es nur bei momentanen Ausbrüchen geblieben. Eine gewisse Consequenz der Krankheit aber, um mich eines geläufigen Ausdrucks zu bedienen, eine Methode in seinem Wahnsinn trat erst ein, als er mit unbeschränkter Macht das Minister-Portefeuille erhielt.“

Auch das hervorragende Merkmal des „Größenwahns“, die Zerstörungssucht, wird dem Grafen zugeschrieben, der „Verfassungen wie Spiegel zerstört“ und der nun, nachdem er lange Methode im Wahnsinn gezeigt, nur noch Wahnsinn in seiner Methode bethätigt.

Anmerkung: Otto von Bismarck war von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident von 1867 bis 1871 sowie von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.

Dampfer an der Reichsbrücke zerschellt

Sechs Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben.

Neue Freie Presse am 12. Juni 1936

Eines der größten Schiffe der Österreichischen Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft, der Dampfer “Wien”, ist gestern mittag, wenige Minuten nach 13 Uhr, vermutlich infolge Versagens der Steuerung mit der Breitseite an einen Brückenpfeiler der Reichsbrücke angetrieben worden und zerschellt. Das Schiff wurde buchstäblich in zwei Teile gerissen und ist zum Großteil untergegangen. Inwieweit der Pfeiler und damit der Bau der neuen Reichsbrücke selbst beschädigt worden ist, wird erst eine noch durchzuführende genaue Untersuchung ergeben.

Von der aus 29 Personen bestehenden Besatzung des Schiffes haben sich 23 Personen retten können. Sechs Personen, darunter vier Frauen, werden vermißt. Sie haben aller Wahrscheinlichkeit nach den Tod in den Wellen gefunden. Der Dampfer befand sich auf einer Leerfahrt, so daß er ohne Passagiere war.

“Presse”-Leser spendeten zehn Millionen

Mit der Sammlung für Soldaten und Angehörige wird “eine große Schuld gezahlt, eine unauslöschliche Dankbarkeit bestätigt”.

Neue Freie Presse am 11. Juni 1916

Die machtvolle Welle des Mitleids, welche die Monarchie durchstürmt, hat zehn Millionen Kronen in die “Neue Freie Presse” gebracht, eine Summe, nie vorher an einer einzelnen Sammelstelle erreicht, aus großen und aus vielen kleinen Spenden, aus den Widmungen aller Klassen zusammengesetzt, oft mit Worten eingesendet, die das Merkmal der Ergriffenheit über persönliche Erlebnisse hatten. Die Sammlung von zehn  Millionen ist auch ein Kriegsereignis. In den Rückblicken auf die Erschütterungen, die wir durchgemacht haben, auf die Geschichte unserer Tage wird angemerkt werden, daß in der schweren Not der Sinn für Gerechtigkeit und die aus freiem Wollen selbstlos den Verwundeten und den Angehörigen unserer Soldaten zugewendete Opferfähigkeit und Fürsorge ehrenvoll für das Land gewesen sind. (..)

Diese zehn Millionen sind aber kein Almosen. Wir schenken dem nichts, der bei der Verteidigung des Landes verwundet, verkrüppelt oder des Augenlichts verlustig wird; wir schenken auch der Witwe, den Waisen oder den arbeitsunfähigen Eltern nichts. Eine große Schuld wird gezahlt, eine unauslöschliche Dankbarkeit bestätigt und auch die Öffentlichkeit ist Pflicht, weil sie in diesem Falle ein notwendiges Bekenntnis und Beispiel, eine Kundgebung für die Armee wird.

Diese zehn Millionen haben die Leser der “Neuen Freien Presse” uns anvertraut und in den Ausweisen gesehen, daß sie gewissenhaft verwaltet worden sind und daß viel Gutes durch diese Beiträge geschehen konnte. Wir haben sie aus allen Teilen der Monarchie, aus verbündeten und neutralen Ländern in Europa und auch aus Amerika erhalten. Wir bitten unsere Leser, die den steinigen Weg in diesem langen Kriege in treuer Gemeinschaft mit uns gegangen sind, auch fernerhin durchzuhalten in der Mildtätigkeit, die uns erst recht empfinden läßt, wie ernst, aber auch wie schön die Aufgabe ist, täglich zu einem Kreise zu sprechen, wo so viel Großherzigkeit waltet. Und jetzt auf zur nächsten Million, für unsere Soldaten, für deren Familien, für alle, die eine Stütze brauchen!

In zwei Stunden auf der Rax

Eine große Errungenschaft für Wien: Ein Zweitausender “auf dem Präsentierteller”.

Neue Freie Presse am 10. Juni 1926

Wien hat ein Stück Alpenwelt für seine Bevölkerung erobert. Gewiß, die Raxalpe war immer nahe, und wer im Morgengrauen vom Südbahnhof abfuhr, konnte von Payerbach aus gegen Mittag das Raxplateau erreichen. Es war auch denkbar, wieder am selben Tage zurückzukehren, aber die Hast mußte beschwerlich fallen, und gewiß haben Tausend und Tausende den Ausflug vermieden, weil sie es für unzweckmäßig hielten, nur mit flüchtigen Blicken die Bergwelt zu streifen, um gleich wieder, nach kurzem Ausruhen hinunter zu stürmen auf steinigen Pfaden, um noch rechtzeitig zur Station der Eisenbahn zu gelangen.

Jetzt wird eine ganz wesentliche Abkürzung durchgesetzt, eine Abkürzung um mindestens sieben Stunden, und man wird auf die Rax fahren können, wie man vor dreißig Jahren nach Weidling am Bach gefahren ist, mit einer Bequemlichkeit, die frevelhaft anmuten würde, wäre sie nicht so unendlich notwendig für uns verstaubte, nach Luft und Licht, nach Sonne und Kühle lechzende Großstadtmenschen, die am Ende der Woche oft viel zu ermattet sind, viel zu abgeschlagen, viel zu deprimiert, als daß sie den inneren Schwung aufbrächten, die Genagelten anzuziehen und entfernt vom Hause eine starke und anstrengende Gebirgstour zu unternehmen. Diesen Bedürftigen wird jetzt das Hochgebirge auf dem Präsentierteller geliefert, man serviert einen Zweitausender zum Gabelfrühstück, und wer noch in einem dumpfen Zimmer erwachte, mitten in der häßlichen Steinwüste, wem das Schicksal nicht vergönnt hat, die Mittel zu ergattern, die zu einem Aufenthalt in hochgelegenen Sommerfrischen gehören, der wird doch wenigstens hie und da Gelegenheit bekommen, einen ganzen Tag lang es den Beneideten gleichzutun und alle Wollust aus vollen Zügen zu genießen, die man in Pontresina, in Zermatt oder in Interlaken, wenn auch naturgemäß in bedeutenderer Landschaft zu empfinden mag. (...)

Eine Steigung von tausend Meter, sie wird in zehn Minuten überwunden, von Payerbach aus fährt nach Hirschwang und von dort aus sind die Seile gespannt, von der Talschlucht direkt auf die Höhe, die Seile, an denen die Wagen hängen, die zwanzig Personen hinauf- und hinuntertragen. (...) Es hat ja schon im Frieden, besonders in Südtirol, mehrere Seilbahnen gegeben, von Bozen aus wurde auf diese Art die Birglbahn gebaut, und namentlich im Kriege sind auf freilich weitaus rohere Art Transporte, hauptsächlich in den zerklüfteten Dolomiten oder bei den Steinriesen der Karawanken vorgenommen worden. Da ist nun durch das größte Uebel der Weltgeschichte etwas Gutes gefördert worden, und wir sehen bereits, daß sämtliche Gebirgsländer sich dieses Verkehrsmittels bedienen, das zu den größten Kühnheiten der Technik gezählt werden muss.

Türken entdecken alte Evangelien-Handschriften

Lange blieb der Wert der altbyzantinischen Schrift unerkannt.

Neue Freie Presse vom 9. Juni 1896

Aus Konstantinopel wird berichtet: In hiesigen griechisch-orthodoxen Kreisen macht gegenwärtig die Auffindung einer alten Evangelien-Handschrift in einem kleinasiatischen Dorfe viel von sich reden. Die Handschrift soll – wie der Moniteur Oriental berichtet – ungefähr aus dem Jahre 1400 datieren und der Ueberlieferung zufolge vom Kaiser Theodosius einem von ihm im Dorfe Garmussalli (unweit von Konstantinopel) gegründeten Kloster geschenkt worden sein. Als dieses Kloster durch einen Brand verwüstet wurde, gelang es, das kostbare Manuscript zu retten, worauf es in der Kirche des genannten Dorfes verwahrt wurde, wo es jedoch bald in Vergessenheit gerieth. Vor längerer Zeit habe man das Manuscript durch einen Zufall in den unterirdischen Räumen der Kirche aufgefunden und dasselbe hierauf in dem Gotteshause selbst untergebracht, ohne daß jedoch bis vor Kurzem Jemand in dem Dorfe den wahren Werth dieses Schatzes geahnt hätte. Nunmehr habe die Gemeinde von Garmussalli die kostbare Handschrift dem Czar aus Anlaß der Krönungsfeier als Geschenk übersendet.

Das Manuscript ist, der erwähnten Quelle zufolge, nicht vollständig, indem 38 Seiten fehlen. Die Schrift ist altbyzantinisch. So viel scheine gewiß zu sein, daß es sich thatsächlich um ein Evangelien-Manuscript von hohem Alter handelt. Ferner bestätigt es sich, daß das Onject beim Czar durch Abgesandte des mehrgenannten Dorfes nach Moskau überbracht worden ist. Im ökumenischen Patriarchate war man von dem Abgange des Manuscriptes nach Rußland unangenehm berührt, un es werden nunmehr von dieser Seite Bemühungen aufgeboten, um in den Besitz der Reliquie zu gelangen. Der Patriarch hat die zur Krönungsfeier nach Moskau entsendeten Delegirrten beauftragt, mit allen Mitteln auf diesen Erfolg hinzuarbeiten, und es heißt, daß dieses Bestreben nicht aussichtslos sei. (..)

Die Bewohner der Triesterstraße werden vernachlässigt

Die Intervalle der elektrischen Bahn sind viel zu groß.

Neue Freie Presse am 8. Juni 1906

Wir erhalten nachstehende Zuschrift: Die Bewohner der Triesterstraße in Favoriten sind in Bezug auf die öffentlichen Verkehrsmittel derart zurückgesetzt, daß die Oeffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht zu werden verdient. Während in früheren Jahren von der Triesterstraße direkte Wagen bis zur Oper verkehrten, verkehren seit längerer Zeit nur Pendelwagen vom Mazleinsdorfer Viadukt in die Triesterstraße, welche Strecke bloß zirka einen Kilometer lang ist. Die Intervalle sind so groß, daß es der größte Teil des auf dieses Verkehrsmittel angewiesenen Publikums vorzieht, zu Fuß zu gehen. Dieser Mangel an Rücksicht gegenüber dem Publikum ist um so mehr zu bedauern, als zahlreiche Kranke und Besucher von Kranken in das Kaiser Franz Josefspital mit der elektrischen Bahn fahren, die das Umsteigen und lange Warten sehr unangenehm empfinden. Das Publikum könnte wohl mit Recht verlangen, daß es für jeden Wagen aus der Wiedner Hauptstraße bei dem Mazleinsdorfer Viadukt unmittelbaren Anschluß erhält und die Intervalle auf der kurzen Strecke in der Triesterstraße dementsprechend gekürzt werden.

Hungersnot in Russland

In 212 Distrikten herrscht Hunger, die Getreidetransporte bleiben stecken.

Neue Freie Presse am 7. Juni 1906

Wie die russischen Blätter „Dwadzoth Wjek“ und „Slowo“ melden, sind im Ministerium des Innern Informationen eingelangt, wonach gegenwärtig in 212 Distrikten Hungersnot herrscht. Die Semstwos und die Bauerngemeinden wenden sich an die Regierung um Hilfe. Im Transbaikalgebiet, In Irkutskt und in Iakulik herrscht ebenfalls große Hungersnot. Die Regierung erkennt zwar die Notwendigkeit der Veranstaltung öffentlicher Arbeiten in den Hungerdistrikten an, ist jedoch über den Charakter dieser Arbeiten noch nicht schlüssig geworden. Dabei nimmt die Stockung der nach den Zentralgouvernements gerichteten Getreidetransporte immer noch zu. An den beiden Enden der Samora-Holomter-Eisenbahn sind allein 15000 Waggons mit Getreide stecken geblieben.

Früherer St. Pöltener Bürgermeister in Irrenanstalt

Die Zeitung schreibt über das “schauerliche Resultat eines öffentlichen Lebens”.

Neue Freie Presse am 6. Juni 1906

Eine menschliche Pflicht ist zu erfüllen, die in den gemütlichen Erregungen der schweren politischen Krise beinahe vergessen wurde. Der frühere Bürgermeister von St. Pölten, Wilhelm Voelkl, ist in eine Irrenanstalt gebracht worden, und das Unglück dieses Mannes zwingt zu einigen Worten des Mitgefühls. (...)

Wilhelm Voelkl war ein echtes Produkt gesunder Provinz. Wir sind überzeugt, daß er, bevor das große Kesseltreiben gegen ihn begann, nicht viel von Nerven gewußt hat. Fest wurzelnd in seiner St. Pöltener Popularität, trat er im Reichsrat und Landtag als die Hoffnung der Deutschvolklichen auf. Er war in allem robust, in seiner Gestalt, in seinem Temperament, in seiner sonoren, weithinschallenden Stimme, die so gut die sittliche Empörung über die Mißwirtschaft der Gegner, über die Scheußlichkeiten ihrer Angriffe vorzubringen wußte. (...)

Und nun erfahren wir, daß dieser Mann, nachdem er die höchste Spitze seiner kommunalen Laufbahn erreicht hatte, nachdem er sich vermöge seiner Energie eine beachtete Position im Landtag und Reichsrat gemacht, einen Selbstmordversuch und Mordversuch begeht und als wahnsinnig der Fürsorge jener Totenwächter unterstellt wird, die bei lebendigem Leib behüten, während das geistige Leben bereits erloschen ist. Dies ist das schauerliche Resultat eines öffentlichen Lebens. Der Provinziale mußte sich gegen die Hornisse wehren, die er oft mit keckem Griff aus ihren Nestern aufgescheucht hatte. Er wehrte sich mit der Faust, und sie stachen ihn mit ihren giftigen Stacheln. (...)

Er wußte nicht, daß es möglich sei, einem unbescholtenen Menschen Veruntreuung von Armengeldern vorzuwerfen und diesen Vorwurf nach vollkommener Widerlegung aufrecht zu erhalten. Auch wußte er nicht, daß es das Recht des politischen Gegners sei, das Privatleben des Feindes zu durchwühlen, touiller la vie, wie die Franzosen es nennen; er wußte nicht, daß die vorgesetzte Behörde Untergebenen Belohnung für Verrat amtlicher Vorgänge sichern darf. (...)

Voelkl wurde nicht in Ruhe gelassen und so lange gequält, bis der innerste Halt, die Klarheit des Denkens, das wahrhafte Erkennen der Außenwelt gebrochen wurden. Stacheln und Spitzen haben so lange in dieser Seele herumgebohrt, bis sie zerstört wurde. Es ist dies ein kleiner Beitrag zu der Geschichte unserer parlamentarischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, der zeigt, daß die wenigen, die noch der Macht der herrschenden Partei sich widersetzen, durch die schlimmsten Martern zu Grunde gerichtet oder zu Krüppeln gemacht werden.

Anmerkung: Wilhelm Voelkl war von 1900 bis 1905 Bürgermeister von St. Pölten. In seiner Amtszeit wurde der elektrische Strom eingeführt. Das Amt gab er nach einer psychischen Erkrankung auf. Er starb 1912 in seiner Heimatstadt.

Eine neue lästige Fliege entdeckt

Die neue Fliege wird “wohl schwer zu bewegen sein, wieder in ihr nordisches Vaterland zurückzukehren”.

Neue Freie Presse am 5. Juni 1916

Unser Brüsseler Korrespondent schreibt ums vom 26. Mai: “Außer vielen anderen Unannehmlichkeiten hat der Weltkrieg den Franzosen auch die unliebsame Bekanntschaft mit einer - neuen Fliege gemacht, die insbesondere in Paris ihr Unwesen treibt. Die sofort aufgebotenen Naturforscher haben festgestellt, daß es sich dabei um die grönländische, dunkelrot gefärbte Fliege handelt, die im Insektenreiche mit dem lateinischen Namen “Calliphora” bezeichnet wird. Sie macht sich in außerordentlicher Weise allenthalben lästig. Die weitere Untersuchung hat ergeben, daß dieser unerwünschte Gast von den kanadischen Truppen auf ihren meistens aus Nordkanada stammenden Pferden eingeführt wurde. Die Kanadier stehen in Frankreich, und so ist die Verbreitung der neuen Fliege begreiflich, die wohl schwer zu bewegen sein wird, wieder in ihr nordisches Vaterland zurückzukehren.

Über Hemmnisse telephonischer Correspondenz

Ein Bericht über Hemmnisse in der Abwicklung der telephonischen Correspondenz. Es empfiehlt sich ein rasch zurückgesprochenes “Halloh”.

Neue Freie Presse am 4. Juni 1896

Ueber die in unserem Abendblatte zur Sprache gebrachten Hemmnisse in der Abwicklung der telephonischen Correspondenz nach der neuen, vereinfachten Manipulation werden wir von competenter Seite dahin unterrichtet, daß der rufende Abonnent nur in jenem Falle sein gewünschtes Vis-a-vis auf der Linie nicht finden kann und erfolglos wartet, wenn der Gerufene selbst sich gar nicht meldet und die dienstthuende Telephonistin aus Dienstbeflissenheit versuchsweise dennoch diese Verbindung herstellt, statt die Meldung an den rufenden Abonnenten zu machen, daß sich der Gerufene nicht melde. Zu diesem Verfahren läßt siuch die Telephonistin leicht bei soolchen Abonnenten verleiten, die wegen ihres Säumens beim Antworten in der Centrale schon hinlänglich bekannt sind. Es wird also, und zwar besonders seit dem Unterdrücken der Rücksignale, im Interesse des telephonierenden Publicums im Einzelnen und im Allgemeinen liegen, daß jeder Anruf möglichst rasch durch ein zurückgesprochenes “Halloh” beantwortet werde, damit die Telephonistin nicht in die Lage komme, den gerufenen Abonnenten als abwesend abzumelden, lediglich aus dem Grunde, weil dieser mit seiner Meldung zu lange säumt oder zögert.

Es ist , wie uns versichert wird, mit Bestimmtheit zu erwarten, daß das neue Verfahren, ohne Rücksignale zu arbeiten, welches für das correspondirende Publicum, wenn richtig angewendet, eine bedeutende Erleichterung, für die Central hingegen aber immer eine Mehrleistung involvire, seitens des Publicums bald gehörig gewürdigt werden wird, und es sei nur zu wünschen, daß das Publicum selbst durch ein promptes “Halloh” als Rückantwort möglichst zweckmäßigen Vorschub und richtige Unterstützung leiste.

Die transeuropäische Autostraße und Wien

Würde eine Umfahrungsstraße Reisende von Wien abziehen?

Neue Freie Presse am 3. Juni 1936

Daß die große Autostraße von England in den Orient über Wien gehen soll, ist klar, aber wir selber haben alles dazuzutun, daß sie diese Route auch nimmt. (...) Die Durchführung dürfte in unseren anderen Ländern leichter sein als gerade im Umkreis Wiens, und zwar aus dem einleuchtenden Grunde, weil eine Straßenneuanlage sich im dünn bevölkerten und daher wenig verbauten Gebiet unvergleichlich einfacher abwickelt als im Weichbild und in der nächsten Umgebung einer Großstadt. Daher ist es unbedingt erforderlich, daß die Trasse dieser transkontinentalen Autostraße ehestens festgelegt wird, unabhängig davon, ob eine Bereitstellung der Baukosten in naher Ausicht steht oder nicht. Dabei ist nicht bloß an die Durchfahrt durch die Stadt zu denken, sondern auch die Frage zu entscheiden, ob nicht doch außerdem eine Umfahrungsstraße unumgänglich sein wird.

Die Einwände, daß eine solche zweite Trasse vielleicht Fremde von Wien abziehen, sozusagen an Wien vorbeiführen würde, entspringen einer kleinstädtischen Denkungsart. Entweder Wien ist anziehend genug, daß man sogar eigens hierherkommt, dann wird ein Durchreisender bestimmt nicht daran vorüberfahren, sondern sogar zum Einkauf sicherlich auch einen kleinen Umweg machen. Andernfalls aber würde der Zwang der Durchfahrt durch den stärkeren innerstädtischen Verkehr nur unerfreulich wirken, genau so wie der unfreiwillige Aufenthalt auf einer Eisenbahnanschlußstation bei einem längeren Intervall zwischen zwei Zügen oder die Fahrt von einem Wiener Bahnhof zum andern. Es muß daran erinnert werden, daß man seinerzeit um alle großen Städte Umfahrungseisenbahnen gebaut hat, um die zeitraubende und auch sonst unerwünschte Durchfahrt durch das engverbaute Stadtgebiet zu vermeiden. Die gleiche Regel liegt noch mehr für die Autostraßen, die zum Teil die Rolle der Eisenbahnen übernehmen dürften.

Das Ultimatum der Mittelschullehrer

Mittelschullehrer sind die schlechtest bezahlte Lehrerkategorie Österreichs.

Neue Freie Presse am 2. Juni 1926

Heute abend um halb sieben Uhr findet die entscheidende Vertrauensmännerversammlung statt, von deren Ergebnis es abhängt, ob es tatsächlich zum Streik der Mittelschullehrer kommt oder nicht. (...)

Kaum glaublich klingt es, daß die Mittelschullehrer nicht nur bedeutend schlechter besoldet sind als die Hochschulprofessoren, sondern auch als die Volks- und Bürgerschullehrer. Der Valorisierungsfaktor beträgt bei den Hochschulprofessoren 10.986. Das richtige Bild erhält man aber erst, wenn man sich vor Augen führt, daß früher der ordentliche öffentliche Universitätsprofessor mit 20 Dienstjahren das Eineinhalbfache, heute das Zweieinhalbfache des entsprechenden Bezugs eines Mittelschullehrers erhält. Aber schon die Volkschullehrer haben in allen Altersstufen höhere Bezüge als die Mittelschullherer, wofern man in Betracht zieht, daß der Mittelschullehrer sechs Jahre länger zu seiner Ausbildung braucht.

Ein Wiener Volkschullehrer mit 12 Dienstjahren hat einen Gehalt von monatlich 308 Schilling, wobei die diversen sehr bedeutenden Zulagen nicht mitgerechnet sind. Ein Mittelschullehrer mit sechs Dienstjahren bezieht monatlich 292 Schilling ohne jegliche Zulagen. Mit vierzehn Dienstjahren bezieht der Volkschullehrer 33,5 Schilling, der Mittelschullehrer 302. Für den Volkschullehrer beträgt die Pensionsgrundlage 90 Prozent, für den Mittelschullehrer nur 78 Prozent.

Eine Bombe im Blumenstrauß

Am Tag ihrer Hochzeit wurde auf das spanische Königspaar ein Anschlag verübt.

Neue Freie Presse am 1. Juni 1906

Bei der Rückfahrt von der Trauungszeremonie ist heute auf das neuvermählte spanische Königspaar ein Bombenattentat verübt worden. Das Königspaar blieb unverletzt.

Mitten in die rauschende Festesfreude der Hochzeitsfeierlichkeiten, in den jubelnden Enthusiasmus der Bevölkerung, in den weihevollen Klang der Kirchenglocken tönt ein dumpfer Knall. Eine Bombe wurde geworfen. Zum zweitenmal binnen Jahresfrist hat die Propaganda der Tat sich den jugendlichen König von Spanien zum Opfer auserkoren. Zweimal ist er der unheimlich nahe drohenden Gefahr glücklich entronnen. Auf den Tag genau vor zwölf Monaten, als König Alfonso als Gast des Präsidenten Loubet in Paris weilte, wurde die erste Bombe gegen seinen Wagen geschleudert. An seinem Hochzeitstage hat sich das furchtbare Schauspiel wiederholt. In einen Blumenstrauß war heute das Mordwerkzeug gehüllt. Das Detail ist bezeichnend für die Situation. Überall bunte Fahnen, blumengeschmückte Triumphbögen, die Bevölkerung selbst im Festkleid. Der Attentäter muß einen Rosenstrauß wählen, wie in wohl alle anderen tragen, um nicht zu früh zu verraten, daß seine Hand ein todbringendes Geschoß trägt.

In gleichem Maße, wie dem König, in höherem Maße vielleicht noch wendet sich die allgemeine Sympathie der Königin Victoria zu, die wenige Minuten vor dem verbrecherischen Anschlage ihrem königlichen Gemahl die Hand zum ewigen Bunde gereicht hat. (…)

Wer war der Attentäter? Nach den in später Nachtstunde vorliegenden Mitteilungen sind zwei Personen der Tat verdächtig verhaftet worden, ein Spanier, anscheinend ein Student, und ein Ausländer. Die Bombe muß aus unmittelbarer Nähe geschleudert worden sein, denn ihre Wirkung war furchtbar. Vierzehn Personen wurden getötet und die Equipage des Königspaares wurde durch die Gewalt der Explosion arg beschädigt. Eine höhere Persönlichkeit aus dem Gefolge des spanischen Monarchen, die sich augenscheinlich in der unmittelbaren Umgebung der königlichen Equipage befunden hatte, zählt zu den Verwundeten.

Anmerkung: Bei einem Attentat auf die Hochzeit des spanischen Königs Alfons XIII. starben mehr als zwanzig Menschen.

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