Das Weiße Haus und die Schatten des Putsches von 1976

(c) APA/AFP/PRESIDENCIA ARGENTINA/HO
  • Drucken

Die US-Regierung übergab erste Teile ihres Archivmaterials, um die letzten Geheimnisse der blutigen Militärdiktatur Videlas zu lüften. Doch die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet.

Buenos Aires. Diese Mitbringsel waren erwartet worden, und trotzdem lösten sie keine Freude aus. US-Außenminister John Kerry übergab dem argentinischen Präsidenten, Mauricio Macri, in Buenos Aires mehr als 1000 US-Dokumente, die Geschehnisse während der letzten argentinischen Militärdiktatur betreffen. Während seines Staatsbesuchs Ende März, der zeitlich mit dem 40. Jahrestag des Putsches von 1976 koinzidierte, hatte US-Präsident Barack Obama zugesagt, einen erheblichen Teil des bislang geheimgehaltenen Materials den argentinischen Behörden zur Verfügung zu stellen. Die nun eingelangten 1067 Schriftsätze sind eine erste Tranche, es sollen noch zwei weitere folgen. Die USA kamen damit jahrelangen argentinischen Forderungen von Justiz, Historikern und Menschenrechtlern nach.

Die nun übergebenen Dokumente betreffen die Periode von 1977 bis 1980, also die Regierungszeit Jimmy Carters. Dieser hatte seinerzeit das Eintreten für Menschenrechte zu einer Maxime seiner Außenpolitik erhoben. Allerdings stießen diese Leitlinien an der Südspitze des amerikanischen Kontinents immer wieder an geopolitische Grenzen. Mit Unbehagen registrierte die US-Außenpolitik, dass ausgerechnet die Sowjetunion und Kuba die ersten Staaten waren, die die vom Armeegeneral Jorge Rafael Videla geführte argentinische Junta offiziell anerkannten, offenbar auf der Suche nach Weizenlieferungen.

Brzezinski setzte sich durch

Wie die Dokumente zeigen, gab es innerhalb der US-Administration einen erheblichen Konflikt, wie auf den schmutzigen Krieg der Militärs zu reagieren sei. Einerseits mühte sich die Menschrechtsbeauftragte Patricia Derian, die viele Hilfegesuche verzweifelter Familien entgegennahm und an die US-Medien weitergab. Sie bewirkte, dass die interamerikanische Menschenrechtskommission 1979 Argentinien eine weltweit beachtete Visite abstattete.

Andererseits bremsten Realpolitiker wie Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, der an den Außenminister, Cyrus Vance schrieb: „Wenn wir Maßnahmen ergreifen, die als bestrafend angesehen werden können, dann werden wir nicht nur den rechten Flügel der USA gegen uns aufbringen, sondern auch Kritik vonseiten der Unternehmen und der Medien einstecken müssen.“ Diese konservativen Tendenzen gewannen gegen Ende von Carters Amtszeit die Oberhand, wohl auch angesichts der sandinistischen Revolution in Nicaragua und der islamischen Revolution im Iran.

In den Dokumenten aus Washington findet sich auch ein Protokoll über den Besuch des Juntaführers Videla im Weißen Haus und ein nachfolgendes Schreiben Carters an Videla, in dem der US-Präsident die Freundschaft zwischen beiden Ländern preist und die Generäle für deren Erfolge bei der Bekämpfung des Terrorismus lobt, aber gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass die hierbei angewandten Methoden in den USA immer vehementer kritisiert würden. Er empfahl Argentiniens Führung dringend, den Besuch international anerkannter Menschenrechtsgruppen zu gestatten.

Bewegende Opferberichte

„Besonders bewegend in dem Datensatz sind die Aussagen mehrere Opfer der Militärdiktatur“, sagt Argentiniens Staatssekretär für Menschenrechte, Claudio Avruj. Opfer, die zum Teil auf US-Initiative freikamen, wie die jüdische Familie Deutsch aus Córdoba, beschrieben gegenüber den nordamerikanischen Behörden im Detail das brutale und niederträchtige Vorgehen der Greifkommandos, die nicht nur Personen raubten, sondern oft auch deren Besitz.

Menschenrechtsgruppen in Argentinien reagierten auf die Papiere aus Washington zurückhaltend. Einerseits, weil diese kein Geheimdienstmaterial enthalten. Andererseits, weil sie die am wenigsten dunkle Phase der Beziehungen betreffen.

Es ist bekannt, dass Carters Vorgänger, Gerald Ford, den Militärputsch guthieß und dass dessen Außenminister, Henry Kissinger, im November 1976 nach der Wahl Carters, aber vor dessen Amtsantritt im Jänner 1977, die Diktatoren zu schnellem Vorgehen gegen die Guerillagruppen Montoneros und ERP drängte. Aber noch ist nicht klar, ob und in welchem Ausmaß die USA – wie 1973 in Chile – den Putsch mitorganisierten. Bisher glaubten die meisten Historiker, dass der Umsturz von den argentinischen Militärs geplant und ohne direkte Mitwirkung aus Washington ausgeführt wurde. Eben darum sei die Gewaltanwendung, die insbesondere jüdische Familien traf, so exzessiv gewesen. Bis zu 30.000 meist junge Menschen – darunter militante Guerilleros, aber auch viele friedliche Gewerkschafter, Lehrer und Studenten – sollen den Militärs zum Opfer gefallen sein. Bis heute verlieren sich die meisten Spuren auf dem Grund des Río de la Plata.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.