"Die Nummer auf deinem Unterarm": Als Kleinkind in Auschwitz

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Eva Umlauf ist eine der jüngsten KZ-Überlebenden. In ihren Erinnerungen beherrscht das Trauma der Shoah ihr Leben bis heute.

Eva Umlauf wurde im November 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht, als eines der letzten Kinder. Ende 1942 war sie im Lager Nováky in der Slowakei geboren worden. Sie ist wahrscheinlich die jüngste Überlebende, der in Auschwitz noch eine Nummer eintätowiert wurde. Wie durch ein Wunder haben sie und ihre schwangere jüdische Mutter Agnes, geborene Eisler, überlebt. Die Mutter kümmerte sich auch um ein Kind, das im KZ die Eltern verloren hatte. Umlaufs Schwester Nora kam Ende April 1945 auf die Welt, da befanden sie sich bereits in Freiheit. Der jüdische Vater der Mädchen, Imro Hecht, war Anfang des Jahres gestorben, im Konzentrationslager Melk, in das er aus Mauthausen überstellt worden war.

Umlauf, die in Bratislava in Kinderheilkunde promovierte, als Ärztin 1967 nach München ging, wo sie viele Jahre später als Psychotherapeutin tätig wurde, erfuhr die genauen Umstände des Todes ihres Vaters erst, als sie siebzig Jahre später die Familiengeschichte mit der Journalistin Stefanie Oswalt aufarbeitete. Daraus ist ein lakonisch erzähltes, dafür umso mehr zu Herzen gehendes Buch geworden.

Über Umwege zur Geschichte

Die Erinnerungen sind mit „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen“ betitelt – ein Zitat aus einem Gedicht, das ein Freund für sie schrieb. „Waren Nummer und Augen früher blauer?“, fragt sie sich: „Heute jedenfalls ist die Farbe der Tätowierung blassblau, meine Iris eher grünlich.“ Nur über Umwege wird die Vergangenheit offenbar. Die Autorin war ein Baby, ein Kleinkind, als sie durch die Hölle ging. Diese Zeit lag vor ihrer bewussten Erinnerung, doch blieb sie unauslöschlich wie die Tätowierung. Nach langem Zögern hat sie diese Geschichte, zwanzig Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, doch aufgeschrieben.

Zum Tod kann sie nicht gehen

Sie reiste erneut nach Nováky, wo Anfang der Neunzigerjahre „nichts, aber auch gar nichts an diesem Ort an die Geschichte erinnerte“. Inzwischen gibt es wenigstens eine Gedenktafel. Umlauf traf weitere Zeitzeugen. Sie flog nach Jerusalem, um mit Marta Wise zu reden, einer älteren Überlebenden des KZ, die ebenfalls aus der Slowakei stammt, diese wusste Details der Deportation: „Die Kinder weinten vor Hunger und Durst, aber niemand erbarmte sich. Es gab den ganzen Weg lang nichts zu essen. Wo immer der Zug hielt, schrien wir nach Wasser. Vergeblich.“ Und das war erst der Anfang des Horrors. Eva erkrankte im Lager, wie ihre Mutter 1965 in einem Interview sagte, an Keuchhusten, Lungenentzündung, Rippenfellentzündung und Tuberkulose. Zum Tod, war ihre Mutter im KZ überzeugt, werde Eva „nicht selbst gehen können, zum Tod wird sie getragen werden müssen“. Stärker kann menschliche Ohnmacht kaum ausgedrückt werden. Selbst nach der Befreiung von Auschwitz schien dieses Kind, das nur noch „aus Haut und Knochen“ bestand und einen vor Hunger aufgeblähten Bauch hatte, kaum eine Überlebenschance zu besitzen. Viele KZ-Überlebende starben bald danach an Entkräftung, an Flecktyphus oder Unterernährung.

„Unter der roten Diktatur“

In der Mitte des Buches folgen nun bewusste Kindheitserinnerungen an die ?SSR. Die Mutter hat wieder geheiratet, die Tochter studiert. Es beginnt eine komplexe Familiengeschichte, erneut in unterdrückter Gesellschaft. „Unter der roten Diktatur“ heißt dieses Kapitel, das in die Mitte der Sechzigerjahre führt, als die junge Frau Jakob, ihren ersten Mann, kennenlernt, einen polnischen Überlebenden der Shoah, mit dem sie in den Westen geht.
Erzählt wird vom Leben als Jüdin in Deutschland, vom frühen Tod ihres Mannes, von der zweiten Heirat, drei Söhnen, der Ausbildung zur Therapeutin, einer gescheiterten Ehe, schließlich von ihrer Rede beim Gedenktag in Auschwitz 2011. Unter all den intimen Erinnerungen aber ist stets das verdrängte Trauma des Todeslagers zu spüren. Es wird persönlich zur Sprache gebracht und trägt so wohl am besten zur Aufarbeitung bei.

Zur Person

Eva Umlauf wurde am 19. Dezember 1942 im Arbeitslager Nováky in der Slowakei geboren und hat 1944/45 das KZ Auschwitz überlebt. Sie ist Kinderärztin und Psychotherapeutin.

2016 sind ihre mit Stefanie Oswalt verfassten Erinnerungen erschienen: „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen“, Hoffmann und Campe, 286 Seiten, € 22,60.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2016)

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