Haiders Triumph: Waterloo der Liberalen

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Archivibild.(c) APA (Bernhard J. Holzner)
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Am 13. September 1986 siegte beim Innsbrucker Parteitag der FPÖ der nationale Flügel über die Reste des liberalen Lagers in Österreich. Die SPÖ kündigte die Koalition mit der FPÖ auf, Haider hatte freie Bahn in der Opposition.

Am 13. September 1986 stand die kleine Koalitionspartei FPÖ (sie sicherte der SPÖ mit Fred Sinowatz, dann mit Franz Vranitzky als Bundeskanzler die Mehrheit) vor der bis dahin schwersten Zerreißprobe. Keiner konnte ahnen, dass es später noch schlimmer kommen sollte.

Die Kleinpartei lag am Boden. Sie stellte zwar einen Vizekanzler, zusätzlich zwei Minister und drei Staatssekretäre, doch die Umfragen sagten für die nächste Wahl 1987 eine Katastrophe voraus. Dem liberalen Parteichef, Vizekanzler & Handelsminister Norbert Steger, signalisierten die Demoskopen gerade noch fünf Prozent – Tendenz fallend. Von 3,5 Prozent war zuletzt schon die Rede. Der Verbleib im Nationalrat war somit in Gefahr.

Jörg Haider, 36, FP-Landesrat in Kärnten und Landesparteichef, witterte seine Chance. „Er hat lang gezögert, ob er Steger herausfordern soll“, sagt Friedhelm Frischenschlager, damals ein enger Mitstreiter des liberalen Parteiflügels. „Wir glaubten damals, dass der Parteitag turbulent werde, wir aber letztlich politisch überleben. Das Halten der Regierungsposition war den meisten Funktionären doch sehr wichtig.“

Haider stellte im Vorfeld des Innsbrucker September-Parteitags seine Bataillone (die westlichen Bundesländer) strategisch auf. Sein Ziel: Parteiobmann & Vizekanzler unter Vranitzky. Oberösterreich brachte er auf seine Seite, indem Norbert Gugerbauer Generalsekretär und Klubchef werden sollte. Und das obwohl die Oberösterreicher zuvor Steger ihrer Unterstützung versicherten.

Hopp oder tropp

Bundesgeschäftsführer war seit zwei Jahren Mario Erschen, zuvor unter Friedrich Peter Direktor des freiheitlichen Parlamentsklubs. „Eines war allen klar – den Liberalen und den Nationalen: Diesmal musste eine glasklare Entscheidung her. Da war ich mit dem Kärntner Landesgeschäftsführer, einem zweihundertprozentigen Gefolgsmann Haiders, ausnahmsweise einer Meinung.“ Für Erschen, aber nicht nur für ihn, stand auch die berufliche Zukunft auf dem Spiel.

13. September 1986 – 14 Stunden Hochspannung pur in der Innsbrucker Dogana-Halle. Steger weiß längst, was sich da zusammengebraut hat. Er ist mit seiner zweiten Frau zuvor in den Flitterwochen gewesen, ist aber von seinem Kabinettschef, Gustav Lohrmann, gewarnt worden. „An das Geschehen auf dem Parteitag erinnere ich mich wie an einen schweren Traum“, sagt Erschen heute. „Ich ließ die Rednerduelle an mir vorüberrauschen wie einen fernen Wasserfall, wusste ich doch von jedem, der da ans Rednerpult trat, schon von vornherein, was jetzt kommen würde.“

So trug Erschen inzwischen einen stillen Kampf mit Blicken aus: „Unten im Saal, in der zweiten Tischreihe, sah ich einen niederösterreichischen Delegierten, der mich voll gehässiger Häme fixierte. Man musste kein Hellseher sein, um seine Gedanken zu erraten: ,Scheißliberaler, dich und deinesgleichen schicken wir jetzt in die Wüste!'“ Und so geschah es ja dann auch. „Ich weiß noch, die Plenarberatungen wurden zeitweise sogar unterbrochen, um in kleinerem Kreis nach Kompromisslösungen zu suchen. Steger tat alles, um den Zusammenhalt der Partei zu sichern.“ Und er hat da noch eine letzte Trumpfkarte, die er nun überraschend ausspielen wird.

Einen geheimen Wunschkandidaten hat er, den er durchbringen will, wenn er auf sein Ministeramt verzichtet. „Ich hatte schon im Mai 1986 meinen Rücktritt überlegt und mich für Helmut Krünes als meinen Nachfolger entschieden.“ Von SPÖ-Chef Sinowatz und Bundeskanzler Franz Vranitzky kam die Zusicherung, die Koalition werde fortgesetzt, wenn Krünes komme. „Vranitzky hat mich gefragt: ,Na, bringen S' den durch?‘ Das war tatsächlich die entscheidende Frage. Ich musste daher meine Pläne im kleinsten Kreis besprechen.“

Krünes hätte wahrscheinlich eine satte Mehrheit bekommen, wenn er angetreten wäre. Aber der Oberösterreicher Norbert Gugerbauer reißt das Steuer nochmals herum. Nach dessen fulminanter Rede schwenken viele Delegierte doch wieder um. Krünes ist zu zögerlich, sagt weder dezidiert Ja noch Nein. „Für ein paar Minuten stand der Parteitag still“, erinnert sich Lohrmann. „Es herrschte Fassungslosigkeit.“ Steger versucht es nochmals: „Reich' uns die Hand, schlag ein, Jörg“, fleht der Parteiobmann.

Vergebens. Haider will alles oder nichts. Im Halbdunkel der hinteren Tischreihen, im Sektor der Kärntner Abgeordneten, blickt er nicht auf. Stopft sich minutenlang seine Pfeife. Oder tut zumindest so. Von dort organisiert er den Aufstand. Schickt einen Brandredner nach dem anderen gegen Steger auf die Bühne. Krünes will nicht kandidieren. Und gibt so das Feld frei. Steger verlässt das Podium, übergibt Gerulf Stix den Vorsitz – und wartet in einem Extrazimmer.

Kampfabstimmung Haider gegen Steger! Schnaufend kommt der Wahlleiter mit dem Ergebnis zurück in den Saal: 57,7 Prozent für Jörg Haider, Jubel sondergleichen. Die Herren Kampl und Gaugg tragen den Sieger auf ihren Schultern zur Bühne.

Grabher-Meyers Herzanfall

Für Erschen ist der Zeitpunkt des Rücktritts gekommen. Er tritt auch aus der Partei aus. „Als ich meinen Aktenkoffer vom Präsidiumstisch nahm, suchte ich vergeblich nach meinem Freund Walter Grabher-Meyer.“ Der Generalsekretär Stegers hat auf der Bühne eine Herzattacke erlitten und ist bereits mit der Rettung ins Spital transportiert worden.

Noch bevor Erschen den Ausgang des Kongresshauses erreicht, eilt ihm Norbert Gugerbauer nach, der Architekt dieses Haider-Parteitags und neue Generalsekretär: „Mario, bleib, mach' mit uns weiter!“ Der Bundesgeschäftsführer a. D. lehnt logischerweise ab: „Gugerbauer hat offensichtlich mit dieser Antwort gerechnet . . .“

Wir begleiten Steger bei seinem fluchtartigen Verlassen des Kongresshauses zum Parkplatz. Seine Frau ist noch sichtlich traumatisiert von den Anpöbelungen mehrerer Delegierter. Mit dabei sind Erschen und Gustav Lohrmann. Wie wird Franz Vranitzky in Wien nun reagieren? Der Kanzler hat tagsüber mehrmals mit Steger telefoniert. Und einmal auch mit Haider. Vor dessen Wahl.

Haider glaubt, er wird Vizekanzler. Aber Vranitzky, der nie ein Freund der Kleinen Koalition war, bleibt vage. Er deklariert sich nicht eindeutig, lässt die Frage offen. Tags darauf kündigt er die Zusammenarbeit mit der FPÖ auf. Ein klarer Bruch des Koalitionsabkommens, das eine vorherige Besprechung im Koalitionsausschuss fixiert hatte. Und „ein schwerer Fehler“, wie Ex-Kanzler Bruno Kreisky kritisiert. Steger bleibt vorerst Regierungsmitglied, bis zu den Neuwahlen, die Vranitzky nun herbeiführt.

Und Haider? Er ist unversehens, was er am besten beherrscht: Oppositioneller.

Nächsten Samstag: Ein neuer Blick auf Alfred Rosenberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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