Karl Dietrich Bracher, der Lehrer der Deutschen ist tot

Karl Dietrich Bracher
Karl Dietrich Bracher(c) Uni Bonn
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Karl Dietrich Bracher, der Nestor der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, ist im hohen Alter gestorben.

Es ist ein Privileg der Geisteswissenschaften: Manchmal (selten) erscheinen Werke, die noch nach Jahrzehnten lesenswert sind. Solche Bücher hat der Historiker und Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher geschrieben. Sie sind heute längst vergriffen, haben aber ihren Ehrenplatz in den Bücherregalen all derer, die im vorigen Jahrhundert (Zeit-)Geschichte studiert haben. Bracher, eigentlich gelernter Althistoriker, begründete an der Universität Bonn 1953 das Fach Politische Wissenschaft, eine ganze Generation deutscher Politiker der damals noch Bonner Republik wurde durch seine Seminare geprägt. Seine Studien gelten als geistiges Fundament eben dieser Republik.

Als Pionierwerk gerühmt wird bis heute seine Habilitationsschrift „Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie“ (1955), eine umfassende Struktur- und Ereignisgeschichte der Jahre vor Hitlers Machtergreifung. Es folgten die Bände „Die nationalsozialistische Machtergreifung“ und „Die deutsche Diktatur“, die in das komplexe Bild des Nationalsozialismus erstmals „perspektivische Ordnung“ (Joachim Fest) brachten. Die deutsche Generation nach 1945 hat hier (in einer Zeit, als man noch nach dem Sinn von Zeitgeschichtsforschung gefragt hat) die überzeugenden Antworten auf die Frage erhalten, die damals noch alle umgetrieben hat: Wie ist es zu verhindern, dass auch die zweite deutsche Demokratie scheitern würde, und was könne man aus der Zerstörung der Weimarer Republik für die Zukunft lernen?

„Praeceptor Germaniae“

Der Nestor der deutschen Zeitgeschichtsforschung wurde 94 Jahre alt, als „Lehrer der Bonner Republik“ und „Praeceptor Germaniae“ würdigt ihn die „FAZ“ in ihrem Nachruf, die Uni Bonn, der er ein Leben lang treu geblieben ist, preist ihn als einen ihrer „herausragendsten Wissenschaftler“. Nach dem Tod von Ernst Nolte hat die deutsche Geschichtsschreibung in kurzer Zeit zwei große Persönlichkeiten verloren. Bracher ist in der Woche gestorben, in der eine Partei, die sich um eine positive Umdeutung des Begriffs „völkisch“ bemüht, deutsche Landtage im Sturmlauf erobert. Sein Kommentar zu dieser Art von neuem Nationalismus wäre dringend vonnöten. (hall)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2016)

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