Virtual Reality soll bei den letzten Auschwitz-Prozessen helfen

Virtual Reality soll bei Auschwitz-Prozessen helfen
Virtual Reality soll bei Auschwitz-Prozessen helfenAPA/AFP/CHRISTOF STACHE
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Das bayerische Landeskriminalamt hat ein digitales 3D-Modell des KZ Auschwitz entwickelt. Es soll helfen zu ermitteln, was ein Verdächtiger wissen musste.

Erschreckend detailreich zeigt ein Headset die unauslöschlichen Bilder von Auschwitz - die Stahlschienen, das Eingangsgebäude, Baracken, Gaskammern und Krematorien: Mit einem hochpräzisen, digitalen 3D-Modell des damaligen Konzentrationslagers will das bayerische Landeskriminalamt (LKA) die Ermittlungen der letzten Kriegsverbrecherprozesse durch virtuelle Rekonstruktionen erleichtern.

"Früher sagten die Leute oft, sie hätten in Auschwitz Dienst getan, aber wüssten nicht, was passiert ist", erklärt Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. "Juristisch geht es um den Vorsatz: Musste ein Verdächtiger wissen, dass die Leute in die Gaskammern gebracht oder erschossen wurden? Dafür ist das Modell eine sehr gute, sehr moderne Hilfe bei den Ermittlungen."

Entwickelt wurde das Virtual-Reality-Modell vom Münchener LKA-Experten für digitale Bildbearbeitung, Ralf Breker. Es macht das Vernichtungslager im besetzten Polen, in dem im Zweiten Weltkrieg mehr als 1,1 Millionen Menschen starben, erstaunlich lebendig. "Meines Wissens gibt es von Auschwitz-Birkenau kein genaueres Modell", sagt der 43-Jährige. "Wir nutzen die modernsten Virtual-Reality-Brillen, die auf dem Markt sind. Wenn ich reinzoome, kann ich kleinste Details erkennen."

Sogar die Bäume sind dort, wo sie einst standen

Staatsanwälten, Richtern und Nebenklägern verschafft dies einen beängstigend realen Eindruck des Lagers - etwa, wenn ein scheinbar endloser Zug virtueller Häftlinge vorbeimarschiert. Sogar die Bäume sind dort, wo sie einst standen, um herauszufinden, ob sie die Sicht verdeckten. "So ein 3D-Modell bietet natürlich eine wesentlich bessere Übersicht als ein 2D-Plan und kann rekonstruieren, was beispielsweise ein Wachmann von einem Turm aus sehen konnte und was nicht", beschreibt Breker.

Ausgangspunkt für das Projekt war das Verfahren gegen den tschechischstämmigen Maschinisten Johann Breyer wegen Beihilfe zum Mord an 216.000 ungarischen Juden. Die Staatsanwaltschaft in Weiden bediente sich einer frühen Version des 3D-Modells. Doch der 89-jährige US-Bürger starb im Juni 2014, nur Stunden bevor ein US-Gericht seine Auslieferung genehmigte.

In diesem Jahr kam ein erweitertes Modell zum Einsatz, als der ehemalige SS-Wachmann Reinhold Hanning wegen Beihilfe zum Mord an 170.000 Menschen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Gegen einige Dutzend Verdächtige ermittelt Rommels Team noch, eine "zweistellige Zahl" sei noch am Leben und könne möglicherweise noch vor Gericht kommen, glaubt er.

Für seine computergenerierte Nachbildung nutzte Breker Material aus dem Warschauer Vermessungsamt und mehr als tausend Fotos. Bei zwei Reisen nach Auschwitz 2013 sammelte er weitere Daten. Gebäude bildete er mit einem terrestrischen Laserscanner und Archivmaterial nach: "Wir konnten jedes Gebäude dank ganz exakter Pläne rekonstruieren", sagte Breker.

"Man findet gar keine Worte dafür"

Auch als erfahrenen Mordermittler schockierten ihn die Erzählungen des polnischen Archivleiters: Weil die Schornsteine der Krematorien wegen ihrer intensiven Nutzung Risse bekamen, seien die Leichen auf Scheiterhaufen außerhalb der Krematorien verbrannt worden. "Die SS-Leute haben dann tatsächlich Rinnen konstruiert, wo das Fett der verbrannten Leichen abfließen konnte, um es zur Befeuerung der nächsten Leichen zu verwenden", erzählt Breker leise. "Da findet man gar keine Worte dafür."

Nach Abschluss der letzten Untersuchungen könnte das Modell theoretisch Holocaust-Gedenkstätten wie Yad Vashem oder Auschwitz selbst überlassen werden, doch dafür gebe es keine konkreten Pläne, sagt Breker. "Man muss natürlich sehr vorsichtig sein, wir haben Angst vor Diebstahl und Missbrauch der Daten", etwa in Computerspielen.

Die Virtual-Reality-Technologie werde in der Kriminaltechnik weltweit bald einen festen Platz einnehmen, prophezeit Breker. Das Münchener LKA nutzt sie bereits bei neuen Ermittlungen zum rechtsextremistischen Anschlag auf das Oktoberfest 1980, bei dem 13 Menschen starben.

(APA/AFP/Deborah Cole)

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