"Amerika, das großartigste Land, das es je auf der Welt gab"

Fliegerheld Charles Lindbergh prägte den Begriff von 'America first'.
Fliegerheld Charles Lindbergh prägte den Begriff von 'America first'.(c) AFP
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Die Vorstellung von US-Präsident Donald Trump über die Rolle der USA in der Welt kulminiert in dem Satz "America first". Der Slogan steht für eine dunkle Zeit in Amerikas Geschichte.

Wohlwollend betrachtet sind Donald Trumps außenpolitische Konturen noch unscharf. Die plumpen und arroganten Wahlkampfparolen über die Überlegenheit Amerikas („Wir sind das großartigste Land, das es je auf der Welt gab“) lassen erahnen, dass seinen Beratern harte Arbeit bevorsteht, ihren polternden Präsidenten mit diplomatischen Grundregeln bekannt zu machen.

Vorerst punktete er jedenfalls bei seinen Wählern mit den Slogans „Make America great again“ und mit jener Parole, die seit Langem für eine isolationistische und nationalistische Politik in den USA steht: „America first!“ Viele reagieren fassungslos darauf, nicht nur, weil er damit die traditionelle Bündnispolitik des Landes infrage stellt, sondern weil der Slogan auch für eine dunkle Zeit in Nordamerikas Geschichte steht. Trump-Beobachter gehen davon aus, dass er nicht immer weiß, wovon er eigentlich spricht – in diesem Fall kann man aber annehmen, dass die historische Reminiszenz seine Überzeugung von der Rolle der USA in der Welt widerspiegelt. Madeleine Albright, die frühere US-Außenministerin, kommentierte: „Er kennt wohl die Geschichte nicht, oder er hat sie falsch verstanden.“

CNN sprach am 28. April 2016 von „ugly echoes from U. S. history“, der Sender nahm Bezug auf Trumps Rede vom Tag zuvor: „Meine Außenpolitik hat vor, die Interessen des amerikanischen Volkes und amerikanische Sicherheit über alles zu stellen. Das wird die Grundlage jeder meiner Entscheidungen sein, die ich treffen werde. ,Amerika zuerst‘ wird das wichtigste und alles überragende Motto meiner Administration sein.“

Der erste Medienheld.
Am 15. September 1939 wurde in allen drei großen US-Radionetzen eine Rede gesendet, die die Zuhörer elektrisierte: Wer da sprach, war kein Geringerer als der Nationalheld Charles Lindbergh. Er war durch seine Atlantiküberquerung im Flugzeug 1927 ein Medienheld und Symbol einer zusammenwachsenden Welt geworden. Nach der Entführung und Ermordung seines Sohns floh er wegen der schlimmen Erfahrungen mit Medien einige Jahre aus den USA und lebte in Europa. Dort wurde er anfällig für die „Ordnung“ totalitärer Staaten, auch die des nationalsozialistischen Deutschlands. 1936 wurden er und seine Frau von Hermann Göring zu den Olympischen Spielen von Berlin eingeladen, Göring hatte bekanntlich ein Faible für die Fliegerei und umgarnte den blonden Amerikaner mit dem nordischen Namen.

Als dieser 1939 in seine Heimat zurückkehrte, war er überzeugter Gegner eines Eintritts der USA in einen europäischen Krieg. Amerika sei durch seine Insellage ohnehin unangreifbar. Als der Krieg in Europa ausbrach, war eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner entschlossen, sich herauszuhalten. Ausdruck dieser Antikriegsgefühle wurde das America First Committee, die größte Organisation der Isolationisten in den Vereinigten Staaten, die 15 Monate hindurch existierte.

Gegründet wurde das AFC am 4. September 1940 an der Yale University. Die Schriftsteller Sinclair Lewis und Gore Vidal, auch Walt Disney sympathisierten mit der Bewegung, zwei berühmte Fords – Gerald, der spätere Präsident, und Henry, der Autobauer – gehörten zu den Gründern der Organisation, die in ihrer Blütezeit 800.000 Mitglieder hatte und einen isolationistischen Feldzug führte.

Am Anfang hatte das Committe einen gar nicht so schlechten Ruf, es wurde vom gesamten politischen Spektrum unterstützt, bis hin zur Linken. Noch wirkte die Ernüchterung des grauenvollen Ersten Weltkriegs nach, eine Verstrickung in das zerrissene nationalistische Europa machte vielen Angst.

Showdown im Radio. Isolationismus scheint ihm dafür nicht das richtige Wort, so der US-Historiker Gary Gerstle, „denn es ist nicht so, dass sich die USA von der Weltpolitik abschirmen wollten, das passendere Wort wäre Unilateralismus: Die USA wollten in der Welt frei agieren, um ihre Interessen zu schützen.“ (Interview mit der „Welt“, 1. Mai 2016). Selbst wenn England durch Hitler besiegt zu werden drohte, sollte Amerika sich heraushalten und den Frieden mit Deutschland erhalten. Die Organisation wurde nicht müde, Präsident Franklin D. Roosevelt an sein Versprechen zu erinnern, die USA aus dem Krieg herauszuhalten, und die Umsetzung des „1939 Neutrality Act“ zu erzwingen.

Lindbergh erwies sich als wirksamster Öffentlichkeitsarbeiter der Bewegung, er beherrschte das Medium Radio so gut wie der Präsident: So kam es zum Showdown zweier amerikanischer Helden. Lindberghs Sprache radikalisierte sich, er begann vom „Westwall aus Rasse und Waffen“ zu sprechen, Deutschland und die USA gemeinsam gegen die Sowjets. Am 11. September 1941 warf er in antisemitischer Diktion den amerikanischen Juden vor, das Land in den Krieg treiben zu wollen: „Die größte Gefahr für dieses Land liegt in deren Besitz und Einfluss auf die Filmindustrie, unsere Presse, unser Radio und unsere Regierung.“ Auch Henry Ford und Avery Brundage vom Olympischen Komitee übernahmen die Diktion, die US-Juden seien ein Fremdkörper in der Nation, Volksschädlinge „hostile to us“. „Die Stimme ist die Stimme von Lindbergh, aber die Worte sind die von Hitler“, schrieb der „San Francisco Chronicle“.

Als Pearl Harbor Ende 1941 angegriffen wurde, löste sich das Committe auf, doch nicht ohne Roosevelt zu zeihen, Vorfälle wie diesen provoziert zu haben, um Krieg führen zu können: „Nun hat er uns durch die Hintertür hineingebracht“, so Lindbergh. Er blieb bis ans Lebensende Rassist. 2004 wird er Held eines Romans von Philip Roth („The Plot Against America“), der von einem faschistischen Amerika handelt.

Als Donald Trump im April 2016 den Slogan „America First“ in den Mund nahm, sprachen Kommentatoren von einer „extrem unglücklichen“ Rede, weil er das Motto einer isolationistischen und antisemitischen Organisation aussprach. Die meisten Wähler werden sich jedoch nicht bewusst gewesen sein, dass sich der Slogan auf die Jahre 1940/41 bezieht, ihr Geschichtsbewusstsein dürfte nicht groß genug sein.

Der Satz „Wir sollten nie Krieg führen, wenn es nicht für unser nationales Wohlergehen absolut nötig ist“, stammt von Lindbergh, könnte aber auch von Trump sein. Er ergänzt den Isolationismus von 1940 mit Wirtschaftsnationalismus und Abschottungsfantasien gegenüber bisherigen Handelspartnern. Ohne ihm Nähe zum Totalitarismus der 1940er unterstellen zu wollen, ist seine Neigung, „in einer Kombination aus Ignoranz und Cleverness bewusst provokative Slogans zu wählen“ (Historiker Gerstle) für sensible Beobachter abstoßend. Egal, ob es von Geschichtsvergessenheit oder gezielter Provokation zeugt, beides ist Anlass zur Besorgnis. ?

Daten

1939Am 15. September hält Charles Lindbergh (1902–1974) seine erste große Radiorede gegen den Eintritt der USA in den Krieg in Europa.

1940Am 4. September wird an der Yale University das America First Committee (AFC) gegründet. Es vertritt bei Kundgebungen eine isolationistische und nationalistische Politik.

1941Am 11. September hält Charles Lindbergh seine Rede in Iowa, in der er gegen die amerikanischen Juden agitiert.

2016Am 28. April hält Donald Trump seine erste große außenpolitische Rede in Washington. Das Motto „America first“ ruft bei Verbündeten wie etwa Deutschland Besorgnis hervor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2016)

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