Freuds Buben und Annas Psyche

„Hie und da keimt junges Leben“: Freud mit seinen Enkeln Heinele und Ernst (um 1923).
„Hie und da keimt junges Leben“: Freud mit seinen Enkeln Heinele und Ernst (um 1923).(c) Sigmund Freud Privatstiftung
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„Der Wohnung geht es gut“: Eine Sonderausstellung erzählt, wie Freud im Haus in der Berggasse 19 lebte, arbeitete – und vom Stiegensteigen träumte.

„Wir brauchen doch zwei oder drei Zimmerchen“, schrieb Sigmund Freud am 18. August 1882 seiner Verlobten Martha Barnay, „um darin zu wohnen und zu essen und einen Gast zu empfangen, und einen Herd, auf dem das Feuer für die Mahlzeiten nicht ausgeht.“ Innig beschrieb er die Utensilien des häuslichen Glücks („ein großer Schlüsselbund, der deutlich klirren muss“), man meint ihn seufzen zu hören: „Es muss alles erst kommen, es ist noch das Fundament des Hauses nicht gelegt, nur zwei arme Menschenkinder sind da, die sich so unsagbar liebhaben.“

Sieben Jahre später wurde das Haus in der heutigen Berggasse 19 gebaut, in dem die Familie Freud fast ein halbes Jahrhundert verbringen sollte, bis der NS-Terror sie 1939 nach London trieb. Die Sonderausstellung „Der Wohnung geht es gut“ (in den drei straßenseitigen Zimmern im Mezzanin) gilt dem Domizil, in dem Freud arbeitete und lebte – betont bürgerlich und geregelt: Zu den Mahlzeiten erschien er so pünktlich, dass seine Tochter Anna ihn „Uhrenmännchen“ nannte.

Das Schlafzimmer vergessen

1891 zogen Sigmund und Martha mit ihren ersten drei Kindern ein, doch schon 1886, kurz vor der Hochzeit, schrieb Freud seiner Verlobten über seine Pläne zur Einrichtung der Wohnung – wobei ihm das passierte, was er später Fehlleistung nennen sollte: Er vergaß das Schlafzimmer. Am 15. Juni 1886 antwortete Martha mit feiner Ironie: „Die Wohnungsbeschreibung von Dir heute, mein Schatz, macht mir gar keine Lust, ein Mann, der vier Jahre verlobt ist und bei der Aufzählung der Räume an das Schlafzimmer vergisst, zu dem soll ich das Zutrauen haben, mich auf unbestimmte Zeiten hinaus an ihn zu binden?!“ „Da ich nun niemals gewöhnt war, in der Badewanne zu schlafen“, müsse sie sich wohl auswärts ein Kabinett suchen.

Kaum sieben Jahre später, 1893, nach der Geburt des fünften Kindes, war es Sigmund Freud, der aus dem Schlafzimmer ins Bibliothekszimmer „ausquartiert“ wurde. Dort begann er, seine Träume zu notieren, was, wie er seiner Schwägerin Minna schrieb, „in zehn Jahren eine schöne Arbeit und ein gutes Stück Toilettengeld ergeben wird“.

Da hatte er sein Tempo unterschätzt: Schon 1900 erschien die „Traumdeutung“, mit vielen seiner Träume, darunter einem, in dem er „in sehr unvollständiger Toilette aus einer Wohnung im Parterre über die Treppe in ein höheres Stockwerk“ eilt. Im Buch erklärt er: „Ich habe in einem Hause in Wien zwei Wohnungen, die nur durch die Treppe außen verbunden sind.“ Und er analysiert sein flinkes Treppensteigen im Traum als Wunscherfüllung: „Mit der Leichtigkeit dieser Leistung hatte ich mich ob des Zustands meiner Herzarbeit getröstet.“ Eine andere Deutung von Stiegenträumen reicht er ein Kapitel später – ohne Bezug auf den eigenen Traum – nach: „Stiegen, Leitern, Treppen respektive das Steigen auf ihnen, und zwar sowohl aufwärts als auch abwärts, sind symbolische Darstellungen des Geschlechtsakts.“

Ab wann Freud sich dieses Aktes in seiner Ehe enthielt – wohl nach der Geburt seines sechsten Kindes, Anna, 1895 –, darüber grübeln Freudianer, einen Wandbehang, den Martha noch in den 1880er-Jahren gestickt hat, könnten sie als Vorboten späterer sexueller Abstinenz interpretieren. Auf ihm steht die Weisheit: „En cas de doute abstiens toi.“ (Im Zweifelsfall enthalte dich.) Diese Stickerei ist eines der wenigen Objekte in der Schau; diese lebt vor allem von Texten, Fotos (z. B. Freuds Buben in Trachtenjankern) und der Aura der Räume: Sie waren einst die „Bubenzimmer“, 1920 übernahm sie Anna, „da die drei Jungen endgiltig ausgeflogen sind“, wie Freud schrieb: „Hie und da keimt junges Leben.“

Wie er sich selbst in der Rolle als junger Vater gefühlt hatte, zeigt ein Brief an Wilhelm Fließ vom 2. März 1899: „Kinderstube und Ordination, es gibt ja in diesen Zeiten nichts anderes; wenn beides gut ist, ist dem Neid der Götter doch genug geopfert.“

Das spektakulärste Objekt der Schau ist wohl die Psyche, die ab 1921 in Anna Freuds Zimmer stand, die 1939 nach London mitgenommen wurde, über Umwege nach Frankfurt kam und seit 2016 wieder dort ist, wo sie hingehört: in der Berggasse 19. Es ist ein dreiteiliger Spiegelschrank im Jugendstil.

Die Bezeichnung Psyche für solche Möbel leitet sich vielleicht von der Königstochter Psyche ab, die in todesähnlichen Schlaf fällt, nachdem sie eine Schönheitssalbe aus dem Kästchen der Proserpina aufgetragen hat. Amor rettet sie, heiratet sie und zeugt mit ihr eine ebenso schöne Tochter, die sie Voluptas nennen. Bei Freud, der die griechischen Mythen so liebte, kommt just sie nicht vor.

In „Jenseits des Lustprinzips“ (1920) schildert Freud, wie ein kleines Kind seine Spielsachen fast rituell verschwinden lässt und wieder hervorholt. Dieses Spiel stehe „im Zusammenhang mit der großen kulturellen Leistung des Kindes, mit dem von ihm zustandegebrachten Triebverzicht, das Fortgehen der Mutter ohne Sträuben zu gestatten“. Das Baby war Freuds Enkel Ernst, der später selbst Psychoanalytiker wurde und an Säuglingen forschte.

Das Baby Ernst habe, schreibt Freud, beim Spiel „auch ein Mittel gefunden, sich selbst verschwinden zu lassen: Es hatte sein Bild in dem bis zum Boden reichenden Standspiegel entdeckt und sich dann niedergekauert, sodass das Spiegelbild ,fort‘ war.“

Dieser Standspiegel war die Psyche seiner kinderlosen Tante Anna. Was für eine Seelenlandschaft, dieses Haus.

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