Wie man einen Diktator los wird

Der neue Chef des Generalstabs der bewaffneten Macht: General Arz, Karls Mann.
Der neue Chef des Generalstabs der bewaffneten Macht: General Arz, Karls Mann. (c) Privat
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Conrad von Hötzendorf. Im März 1917 entlässt Kaiser Karl den forschen Generalstabschef. Der höchste k.u.k.-Offizier hielt den neuen Herrscher militärisch für eine völlige Null.

Mit dem Ausdrucke „Allerhöchster Gnade, Anerkennung und besonderer Auszeichnung“ wurde er seines Postens enthoben, berichten die illustrierten „Wiener Bilder“ im März 1917: Feldmarschall Franz Freiherr Conrad von Hötzendorf, der Chef des Generalstabs, der oberste Stratege des Ersten Weltkriegs auf der Seite Österreich- Ungarns. Der Krieg hat katastrophale Auswirkungen auf die Truppe und auf das Hinterland, die Zivilbevölkerung hungert – und opfert weiter für die Lieben im Felde. Die „Welt bis gestern“ hat vor zwei Wochen wieder einmal einen Zwischenstand geliefert.

Jetzt ist für den jungen Kaiser Karl der Zeitpunkt gekommen, sich von dem obersten Militär zu verabschieden, der sich längst wie ein Militärdiktator aufgeführt hat. Seit 1912 befehligte Conrad unter dem alten Kaiser Franz Joseph die Armee. „Ich arbeite grad' für die Weltgeschichte“, lässt ihn Karl Kraus sagen. Ihn, der nicht frei von Eitelkeit gewesen sein soll. Böse Zungen sprachen auch schon von Größenwahn.

Was war geschehen? Für den jungen Kaiser war absehbar, dass angesichts der Auflösungserscheinungen im Reich die k. u. k. Armee wohl ein letzter stabilisierender Faktor im Inneren eine Rolle spielen werde, sagt der Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner. Daher musste er dieses Instrument selbst in die Hand bekommen. Er hatte bereits den von ihm ausgesuchten Ministerpräsidenten, den ihm genehmen Außenminister – jetzt galt es, die Armeeführung zu übernehmen. Conrad musste weg.

Conrads Geliebte Gina

Der nahezu allmächtige Generalstabschef konnte mit dem neuen Kaiser schon als Erzherzog nichts anfangen. Er verachtete ihn, hielt ihn für eine völlige Null und gab ihm kein anspruchsvolles Kommando. Und, was die Sache weiter verschlimmerte: Kaiserin Zita nährte eine religiös begründete herzliche Abneigung gegen Conrads zweite Frau Gina (Geborene Agujari, Geschiedene von Reininghaus) und empfand deren Anwesenheit im Hauptquartier in Teschen skandalös. Conrad deutete daher die plötzliche Weisung Kaiser Karls, dass Ehegattinnen im Armeeoberkommando nichts mehr zu suchen hätten, ganz richtig.

Ein zweiter Konflikt tat sich auf: Karl wollte das Oberkommando nach Baden bei Wien verlegen. Conrad war entschieden dagegen. Er brachte die unsinnigsten Gegenargumente vor: Bei einer Verlegung weg von Teschen müssten ja alle telegrafischen Verbindungen neu hergestellt werden! Um den dafür erforderlichen Draht zu bekommen, müsste aber die Erzeugung des so ungeheuer wichtigen Stacheldrahts für die Front eingeschränkt werden. Subtiler war wohl, dass in der Operationsabteilung des Armeeoberkommandos gerade intensive Planungen für das Frühjahr anliefen und versucht wurde, die Deutsche Oberste Heeresleitung für eine große Offensive gegen den Erzfeind Italien zu interessieren.

„Ein Titan“

Schluss damit, sagten Karl und seine resolute Ehefrau Zita. Jetzt, da sich Kaiser Karl endlich von dem Ungeliebten per Befehl trennen konnte, war aber Feingefühl gefragt. Conrad war von den Medien derart vergöttert worden, dass man ihn jetzt nicht fallen lassen konnte, ohne in der kriegsmüden Zivilbevölkerung Verwirrung auszulösen. Also musste alles mit Stil über die Bühne gehen.

Ganz ohne Zynismus berichten daher die „Wiener Bilder“ des Zeitungsherausgebers Vinzenz Chiavacci über den bitteren Abschied Conrads: „Er geht als kommender Mann an eine neue Stelle, die man hoffnungsvoll ahnt und wo man die Krönung seines ruhmreichen Lebenswerkes erwarten kann.“ Der Feldherr wird an den italienischen Kriegsschauplatz versetzt. „Was Feldmarschall Conrad unserer Armee gewesen“, dichtet die Illustrierte weiter, „das wird erst die Geschichtsschreibung späterer Tage ans Licht bringen – heute steht die ernste, schlichte Heldengestalt des Schlachtendenkers mit ehernem Griffel in die Herzen aller Soldaten eingeschrieben und die Völker danken es ihm innigst, was er in dreißig Monaten gewaltigen Ringens Titanenhaftes geleistet. . .“

Bei der Eitelkeit gepackt

Das AOK ist inzwischen nach Karls Wünschen nach Baden übersiedelt. Die Operationsabteilung kam in ein Gymnasium, während sich das Kaiserpaar in jener Villa auf dem Badener Hauptplatz einrichtete, die schon dem Kaiser Franz I. (II.) als Quartier gedient hatte.. Die Quartiermeisterabteilung wurde in Bad Vöslau untergebracht.

Und Conrad? Der weigerte sich strikt, das Kommando in Tirol zu übernehmen. Alle Abgesandten des Kaisers, ihm das Kommando an der Südwestfront schmackhaft zu machen, zogen wieder erfolglos ab. Also packte man den Selbstbewussten bei seiner Eitelkeit. Die Aussicht, gegen die „perfiden“ Italiener ein hohes Kommando zu übernehmen reizte ihn. Noch dazu, da eine Großoffensive unter Einsatz deutscher Truppen in Südtirol und bei Tolmein vorgesehen war. Daher ordnete er sich Ende Februar unter.

An Conrads Stelle als Generalstabschef tritt nun der General der Infanterie Arthur Arz von Straußenburg (Bild), „einer der verdienstvollsten und erfolgreichsten Heerführer unserer Armee, dessen Genie gerade im letzten Jahre leuchtend in Erscheinung getreten ist.“ So weit die Schilderung in der Zeitung. Tatsächlich spielte der 60-Jährige als Truppenführer bei den Kämpfen in Galizien und in Polen , dann im Sommer 1916 als Armeekommandant in seiner engeren Heimat (Siebenbürgen) gegen Rumänien eine herausragende Rolle. Jetzt wird er der engste militärische Ratgeber Kaiser Karls und seiner ehrgeizigen Frau Zita. Noch in diesem Kriegsjahr 1917 wartet auf Arthur Arz der nächste Karrieresprung: Im April sollte der ungarische Adelige vom Monarchen mit der Baronie ausgezeichnet und im Jahr darauf zum k.u.k.-Generaloberst befördert werden.

Die Pferde werden geopfert

Mittlerweile nehmen im Reich Hunger und Not beängstigend zu. Das reiche Agrarland Galizien ist ein Schlachtfeld. Dort befand sich ein Drittel der gesamten Ackerfläche „Cisleithaniens“. Als Armeelieferant ist das östliche Kronland so gut wie ausgefallen. In anderen Gebieten, die noch liefern könnten, fehlen durch den Kriegsdienst die Bauern und die Knechte. Es mangelt an Dünger und Heu für die Pferde.

Die Pferde: Immer noch das wichtigste Betriebsmittel für Mobilität. Trotzdem setzt nun überall das große Pferdeschlachten ein. Ihm folgt das Pferdesterben. Zwei Drittel des Schlachtviehs geht an die Truppe oder an die Konservenfabriken, die für den Heeresbedarf fabrizieren. Und die Ungarn halten ihre Lieferungen zurück. Rauchensteiner hat errechnet, dass sich die ungarischen Getreidelieferungen zwischen 1914 und 1917 auf ein Hundertsel verringert haben.

DER WECHSEL IN KÜRZE

Conrads Absetzung. Im März 1917 fasste sich der entscheidungsschwache neue Kaiser Karl ein Herz und enthob den allmächtigen Generalstabschef Franz Conrad v. Hötzendorf seines Postens.

Der Hintergrund dafür war Karls Bestreben, die Zügel im Reich nicht nur politisch, sondern jetzt auch militärisch in die Hand zu nehmen – ganz im Gegensatz zu seinem verstorbenen Großonkel Franz Joseph.

Dazu gesellte sich eine gegenseitige Aversion der beiden Männer. Conrad hielt den neuen Herrscher für eine militärische Null, der Kaiser und seine Gattin Zita stießen sich an der Liebschaft Conrads zur geschiedenen Gräfin Reininghaus.

Conrad wehrte sich gegen seine Absetzung und wurde an die italienische Front abgeschoben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2017)

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