NS-Spuren: Von Schrecknissen in feudalen Wiener Gebäuden

Wiener Rathaus
Wiener Rathaus(c) Clemens Fabry
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Die Nazis beschlagnahmten die schönsten Häuser an namhaften Wiener Adressen für ihre Büros.

Über Geschmack lässt sich zwar streiten, aber das neogotische Wiener Rathaus ist uns nur allzu vertraut. Trotzdem: Über dem Hauptportal befindet sich ein kleiner halbrunder Balkon, der erst 1938 in aller Eile „angeklebt“ wurde. NS-Propagandist Joseph Goebbels hatte das veranlasst, damit Adolf Hitler am 9. April, am Tag des Großdeutschen Reiches, von dort noch einmal zu den Wienern sprechen konnte. Tags darauf sollte ja die Volksabstimmung über den sogenannten Anschluss Österreichs an Hitlers Reich stattfinden.

Robert Bouchal und Johannes Sachslehner haben sich – nicht zum ersten Mal – auf die Suche nach Hinterlassenschaften einer dunklen Ära in dieser Stadt gemacht. Und sie wurden fündig. Sie erzählen nicht nur die bekannte Geschichte des Gau-Hauses am Ring, vorher und nachher als Parlamentsgebäude ein Begriff. Nein, weit weniger bekannt ist die requirierte Villa auf der Hohen Warte 52, die der Reichsstatthalter Baldur v. Schirach für seine Familie beanspruchte.

Viel unscheinbarer ist die Theobaldgasse Nr. 19. Das vornehme Gebäude, ausgestattet mit den edlen Keramikprodukten der jüdischen Brüder Schwadron, ist öffentlich nicht zugänglich. Hier hatte die Deutsche Arbeitsfront DAF, also die NS-Einheitsgewerkschaft, ihren Verwaltungssitz für das Gebiet der Ostmark.

Dafür ist das Palais in der Reisnerstraße 40 schon von außen her wesentlich prächtiger. Vorher und danach die Botschaft Großbritanniens, war das feudale Schlösschen gerade gut genug für die Filiale des Reichspropagandaamts. Von hier aus erfolgten die radikale Überwachung, Zensierung und Bestrafung der Redaktionen. Dafür erlebte das NS-Zentralorgan, der „Völkische Beobachter“, ungeahnte Höhenflüge. Praktisch, dass sich dafür der bestehende Druck- und Verlagskomplex in der Seidengasse 3–11 anbot. Bis zum 7. April 1945 erschien übrigens die großformatige Tageszeitung. Da standen die Rotarmisten des Marschalls Tolbuchin bereits am Gürtel und beim Westbahnhof, also nur dreihundert Meter entfernt.

Albertgasse 35: Das prachtvoll sanierte Gebäude in privatem Besitz, ausstaffiert mit Marmor und dunklem Holz, mit einem imponierenden Festsaal, diente als Hauptquartier der Hitlerjugend. Dass im Keller Gefängniszellen angelegt waren, wussten die Jugendlichen damals nicht.

Die Hohenstaufengasse 3 lernen wir kennen, ein grandioser Otto-Wagner-Bau, in dem sich Militärjustizbeamte breitmachten und das Wiener Ambiente genossen. 27 Todesurteile wurden im großen Saal im ersten Stock gefällt und auf dem Militärschießplatz Kagran sofort vollstreckt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2017)

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