Wie eine Rasenwalze das Tennis nach Wimbledon brachte

Der berühmte Center Court von Wimbledon, Aufnahme von 1900
Der berühmte Center Court von Wimbledon, Aufnahme von 1900(c) imago stock&people
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Eine Rechnung von zehn Pfund legte vor 140 Jahren den Grundstein für das älteste Tennisturnier der Welt: die Wimbledon Championships. Bis heute spielen Ladies und Gentlemen am "heiligen Rasen" in weiß, echte Fans essen Erdbeeren.

Ende Juni wiederholt sich im Südwesten Londons alljährlich eine sportliche Einzigartigkeit: Zwei Wochen lang sind die Augen der Anwohner, Hergereisten und Schaulustigen vor den Fernsehgeräten auf den „heiligen Rasen“ gerichtet. Einem 23,77 Meter langen und 10,97 Meter breitem Rechteck gesäumt und unterteilt von weißen Linien. Darauf zu sehen, ebenfalls weiß gekleidete, Sportler, deren Aufmerksamkeit allein einem (bis 1986 weißen, heute gelben) Ball gewidmet ist. Es handelt sich um das älteste Tennisturnier der Welt und das einzige Grand-Slam-Turnier*, das auf Rasen ausgetragen wird: die Wimbledon Championships.

Dabei standen am Anfang des bis heute prestigeträchtigsten Tennisturniers (von Kommentatoren nicht selten „Tennis-Mekka“ gerufen) weder sportliche Männer noch Frauen, die sich im Wettkampf um bessere Schläge auf einen Kautschuk-Ball mit Flanellbezug aneinander messen wollten, sondern schlichtweg Geldnot. Konkret: eine offene Rechnung über einen Betrag von zehn Pfund. So sah sich der „All England Croquet Club“ 1877 außerstande, die gebrochene Achse seiner einzigen (per Pony gezogenen) Rasenwalze reparieren zu lassen.

Zelebrieren statt spielen

Eine Dame hatte letztlich die rettende Idee: Sie entsann sich, dass der britische Major Walter Clopton Wingfield drei Jahre zuvor ein Patent erworben hatte, auf eine Sportart, die er „The Game of Sphairistike Or Lawn Tennis“ (Sphairistiké ist Griechisch und bedeutet Ballspiel), nannte. Er hatte sie aus dem „Jeu de Paume“ (übersetzt „Spiel mit der Handinnenfläche“) abgeleitet – später sollte er in zwei Büchern die Grundregeln des (Rasen-)Tennis dokumentieren. Es wurde Kontakt aufgenommen und ein Turnier vereinbart, um die maroden Kassen aufzufüllen; die Sportler sollten ein Nenngeld von einem Pfund und einem Shilling entrichten, die Schaulustigen Eintritt bezahlen.

Der Plan ging auf: Am 9. Juni 1877 fanden die ersten „Lawn Tennis Championships“ statt. Als Sieger aus dem Wettkampf, an dem 22 Spieler teilnahmen, ging Spencer Gore hervor, der seinen Kontrahenten, William Cecil Marshall, im Finale mit von der Grundlinie gespielten Volleys überraschte. Das Resultat, wie es Heiner Gillmeister in seiner „Kulturgeschichte des Tennis“ notiert hat: 6:1, 6:2 und 6:4. Die Folge: Das Geld für die Reparatur der Rasenwalze war bei einem Gesamterlös von rund 20 Pfund aufgetrieben – und der Grundstein für eine Tradition gelegt.

28.000 Kilogramm Erdbeeren, 8 Millimeter, 1 Knicks

Sieben Jahre später, 1884, wurden erstmals auch Damen zum Wettbewerb zugelassen – zunächst nur im Einzel, ab 1913 auch als Doppel und Mixed. Allerdings: das Preisgeld hielt mit der spielerischen Gleichberechtigung nicht Schritt. Erst seit 2007 wird den „Ladies“ ebensoviel ausgezahlt wie den „Gentlemen“ (die reguläre Bezeichnung Women und Men wird als zu wenig vornehm erachtet).

Queen Elizabeth II am Tennisplatz mit dem Australier Martin Mulligan, 1962
Queen Elizabeth II am Tennisplatz mit dem Australier Martin Mulligan, 1962(c) imago/ZUMA/Keystone

Neben der besondere Wortwahl gehören auch die „Strawberries and Cream“ zu den zahlreichen „Gesetzen“ Wimbledons. Für den begehrten Zuschauerimbiss gilt es jedes Jahr aufs Neue an die 28.000 Kilogramm Erdbeeren aufzutreiben – doch nicht irgendwelche: Jede Steinfrucht muss zwischen zwölf und 13 Gramm wiegen, sonst wird sie nicht serviert. Zudem wird das Turnier „predominantly white“** gespielt. Das bedeutet: Sind weniger als 90 Prozent des vom jeweiligen Spieler gewählten Outfits weiß, droht die Disqualifikation.

Der Rasen in Wimbledon, so eine weitere Vorgabe, misst exakt acht Millimeter. Das Eröffnungsspiel wird am Centre Court ausgetragen und ist dem Titelverteidiger im Herreneinzel vorbehalten (Anekdote am Rande: Da es am „Court No. 2“ mehrfach zu Stürzen von Favoriten kam, wird er auch „Graveyard“, Friedhof, genannt). Am „Holy Sunday“, der die beiden Turnierwochen trennt, herrscht Spielruhe (eine Regel, die aufgrund arger Regenfälle viermal gebrochen wurde, um das Turnier pünktlich zu Ende zu bringen). Und: Die Turniersieger verbeugen sich bzw. machen einen Knicks vor der „Royal Box“ (der königlichen Loge, die Wimbledon dem Besuch von Georg V. im Jahr 1907 verdankt). Danach folgt die Preisverleihung: Dem Einzelsieger wird der 44 Zentimeter hohe „Challenge Cup“ (mit einer Ananas auf der Spitze) überreicht, der siegreichen Dame der silberne, 48 Zentimeter Durchmesser messende „Rosewater Dish“.

Unten die Reliquie, oben der Falke

Zurück zu den Jahreszahlen: 1922 wurde ein neuer Tenniskomplex an der Church Road eingeweiht. 1924 strich das Internationale Olympische Komitee (IOC) Tennis aus seinem Programm (erst 1988 wurde es wieder zur olympischen Disziplin). Ein Glücksfall für Wimbledon, das damit zur heimlichen Weltmeisterschaft aufstieg, an der zwei Jahre später sogar der damalige König Georg VI. im Doppel teilnahm – zum Sieg reichte es nicht. Sehr wohl gelang dieser Streich dem Briten Fred Perry 1934, 1935 und 1936. Auf den Dreifachtriumph folgte eine lange Durststrecke: Erst 77 Jahre später sollte es dem Schotten Andy Murray gelingen, den Pokal wieder für das Vereinigte Königreich in Empfang zu nehmen. Und dazu ein sattes Preisgeld (2016 waren es 2 Millionen Pfund, 2017 werden die Gewinner im Herren- und im Damen-Einzel je 2,2 Millionen Pfund, umgerechnet 2,6 Millionen Euro, erhalten).

Blick auf Wimbledon, 2008
Blick auf Wimbledon, 2008(c) imago/Photoshot/Construction Photography

Die alte Walze übrigens, mit der vor 140 Jahren alles begonnen hat (das Turnier findet allerdings erst zum 131. Mal statt, da während der Kriege nicht gespielt wurde), kann noch heute besichtigt werden: Die Tennis-Reliquie findet sich ausgestellt auf der Anlage, auf der heuer vom 3. bis 16. Juli die Asse und Volleys geschmettert werden, eingemauert. Über diese kreist indes der Falke Rufus, dessen Aufgabe im Vertreiben von Tauben liegt.

Zum Abschluss noch ein Konversationshinweis: In Wimbledon, so lautet ein von Tennisliebhabern nach wie vor ernst genommenes Bonmot, wird Tennis zelebriert, überall sonst wird es gespielt.

Erfolgreich in Wimbledon

Steffi Graf siegte siebenmal am „heiligen Rasen“, übertroffen wurde sie lediglich von der US-Amerikanerin Helen Wills mit acht Erfolgen und Martina Navrátilová mit neun Siegen. Bei den Herren teilen sich ein Brite, ein Amerikaner und ein Schweizer die Bestmarke von sieben Siegen: William Renshaw, Pete Sampras und Roger Federer. Jüngster Gewinner ist bis heute Boris Becker, der am 7. Juli 1985 mit 17 Jahren die Trophäe von Wimbledon in „seinem Wohnzimmer“, wie der den Londoner Centre Court nannte, hielt. Als jüngste Lady, die im Einzel gewinnen konnte, ging Charlotte Dod 1887 mit ihren 15 Jahren in die Wimbledon-Annalen ein.

* Wimbledon ist das dritte der vier Grand-Slam-Turniere (Englisch für „großer Schlag“). Zu ihnen zählen auch die Australian Open (seit 1905 in Melbourne; Hartplatzturnier), die French Open (alias „Roland Garros Turnier“, seit 1891 in Paris; Sandplatz) sowie die US Open (seit 1881 in New York, Hartplatz).

** Die noblen Herrschaften, denen in den Anfängen das Spiel des Tennis vorbehalten war, wollten auf ihrer Kleidung keine Schweißflecken präsentieren, weshalb auf weißes Gewand zurückgegriffen wurde.

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