„Was fangen wir jetzt mit dem Mädel an?“

Mädchenklasse von 1910. Eugenie Schwarzwald bekämpfte die oberflächliche und rein schöngeistige Mädchenerziehung ihrer Zeit. In ihrer Schule ging es fröhlich zu.
Mädchenklasse von 1910. Eugenie Schwarzwald bekämpfte die oberflächliche und rein schöngeistige Mädchenerziehung ihrer Zeit. In ihrer Schule ging es fröhlich zu. iz: Austrian Archives / Imagno / picturedesk.com
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Auch um 1900 wurde Schulpolitik heiß diskutiert. Vor allem ging es um die Reform der Mädchenbildung. Eugenie Schwarzwald, eine Frau mit Charisma, leistete Pionierarbeit: Sie wurde als Pädagogin, Gründerin einer Mädchenschule und Salondame populär.

Eine resolute omnipräsente Frau, die man in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts einfach kennen musste: Charity-Lady und Start-up-Unternehmerin würde man eine solche Frau heute nennen, und: eine Frau mit Charisma, die sich in einer Männerdomäne, dem Bildungswesen, zu behaupten weiß. Hämische Anfeindungen blieben dann auch nicht aus, sie gehörten sogar dazu. Es geht um Dr. Eugenie Schwarzwald, meist auch in einer Mischung von Bewunderung und Ironie „Fraudoktor“ genannt, auch „Genia“.

Doch mit Schnitzlers still leidender Protagonistin im „Weiten Land“ hat sie trotz der Namensgleichheit nicht viel gemeinsam. Sie ist zwar auch eine Salondame an der Seite eines wohlhabenden Ehemannes und hat Kontakt mit den Geistesgrößen ihrer Zeit, aber sie zeigt im Unterschied zu den existenzleeren und gelangweilten Fin-de-siècle-Damen gesellschaftliches Engagement, will die Welt verbessern.

So hielt sie in Wien volksbildnerische Vorträge, im Volksheim in Wien Ottakring, im Wiener Frauenclub, und entwickelte sich zu einer passionierten Pädagogin und Philanthropin. Hatte das 1872 in Galizien geborene jüdische Mädchen Eugenie Nußbaum selbst gelitten unter der oberflächlichen, rein schöngeistigen Bildung, die man für bürgerliche Mädchen als ausreichend befand? Sie sprach es später offen aus: „Was mich betrifft, so weiß ich heute schon, warum ich gerade Lehrerin geworden bin und nicht lieber Schauspielerin, Sängerin, Schriftstellerin oder sonstwas Freies und Lustiges. Ich wollte eine Schule, die ich mir gewünscht hatte, wenigstens anderen verschaffen.“

Staunen im Ministerium.
Bildungspolitische Fragen kreisten um 1900 vor allem um die Reform der Mädchenbildung und um das Frauenstudium. Wollte eine junge Frau wie Eugenie einen Hochschulabschluss, ging sie nach Zürich, dort promovierte sie im Fach Philosophie im Jahr 1900. In Wien sprach die frisch verheiratete Jungakademikerin bei den verblüfften Beamten des k. k. Cultusministerium vor: Sie wollte eine Mädchenschule gründen.

Mädchenbildung war nicht prioritär damals. Das verursachte Kosten und: Wozu sollte das gut sein? „Trachtet vor allem, einen Mann zu erobern! Versucht es mit Kochkunst, dekolletierten Kleidern, Sport und lockendem Lächeln, mit Demut und Bescheidenheit und mit koketter Grazie“, so hieß es in einem Vortrag über „Mädchenerziehung und Kampf ums Dasein“ von Bertha Pauli 1910. Mädchen, die mehr anstrebten als Dekolleté und Koketterie, landeten meist in geistlichen Anstalten, privaten Ordensschulen. Dann wurde die Zeit zwischen Schule und Hochzeit vertrödelt. „Was fangen wir mit dem Mädel an?“, fragte man sich im Bürgertum. Fanden Mädchen keinen Mann, wurden sie Volksschullehrerinnen oder Ehrendamen in fremden Haushalten.

Dass Frauen zurückgeworfen wurden auf ein Leben hinter rosenroten und himmelblauen spanischen Wänden, wollte eine wie Eugenie Schwarzwald nicht hinnehmen. Seit 1892 gab es durch die Initiative von Marianne Hainisch in der Wiener Hegelgasse eine „Gymnasiale Mädchenschule“, hier wurde Schülerinnen für ein Universitätsstudium vorbereitet. Eugenie Schwarzwald übernahm ein Mädchen-Lyzeum am Franziskanerplatz. Da aber ihr akademischer Grad der Uni Zürich in Wien nicht anerkannt wurde, durfte sie die Schule nicht selbstständig leiten. So blieb es auch: Sie gründete Schulen, durfte sie aber nicht leiten und schob Mitarbeiter als Direktoren vor. Eine bürokratische Schikane.

Dennoch eröffnete sie 1903 eine erste koedukativ geführte Volksschule, sie erhielt nach zwei Jahren das Öffentlichkeitsrecht, und 1911 schließlich ein achtklassiges Mädchengymnasium, das zwei Jahre danach in ein Haus in der Wallnerstraße 9 übersiedelte. Während die Literaten des Café Herrenhof“ im selben Gebäude im Erdgeschoß parlierten, eroberten die Schülerinnen den Dachgarten des Hauses.

Das unentbehrliche Lebenselixier der Schwarzwaldschule war Fröhlichkeit. Nur keine Langeweile! Ein eigenes, voll entwickeltes pädagogisches Konzept wie Maria Montessori entwarf Schwarzwald nicht. Sie verstand sich nicht als Theoretikerin, sondern pickte mit Gespür für Menschen heraus, was sie förderlich für die Entwicklung der Schülerinnen hielt. Dadurch lässt sich ihr pädagogisches Programm schwer greifen. So fand sie auch die Anerkennung des Schulreformers im Roten Wien, Otto Glöckel.

Immer mehr Künstler scharte sie in ihrem Kampf gegen die ungleichen Bildungschancen für Mädchen um sich. Im Festsaal der Schwarzwaldschule gab es Vorträge von Adolf Loos, er gestaltete auch den Turnsaal, Arnold Schönberg bot ein Seminar für Komposition an, Egon Wellesz unterrichtete Musik und Oskar Kokoschka Zeichnen. Tausende Kinder wurden für die alljährlichen „Ferienkolonien“ während des Ersten Weltkriegs ins Grüne verfrachtet. „Wiener Kinder aufs Land“ hieß das Programm. Es waren die schönsten Sommerfrischen der damaligen Zeit, St. Wolfgang, Semmering, Bad Ischl, Grundlsee.

Salon in der Josefstadt.
Ab Mitte der 1920er-Jahre war Eugenie Schwarzwald überall bekannt. Seit 1909 führte sie in der Josefstädter Straße 68 einen Salon, in dem sich die Berühmtheiten der Geistesgeschichte trafen. Elias Canetti war einer der Gäste: Er wunderte sich über die zahlreiche Prominenz hier, von Schönberg bis Kokoschka, von Musil bis Kraus, die Gastgeberin hielt er hingegen für eine „Schwätzerin“. Zu ihren Schülerinnen gehörten die Schriftstellerin Hilde Spiel und die Schauspielerinnen Helene Weigel und Elisabeth Neumann-Viertel.

Als die Zeiten in den 30er-Jahren düsterer wurden, stand ihr Name für Weltoffenheit, Toleranz und Menschlichkeit. Mit Güte und Hilfsbereitschaft wollte sie das Destruktive dieses Jahrzehnts überwinden. „Sie durfte die Zeichen der Zeit nicht völlig wahrnehmen, sonst hätte sie ihr philanthropisches und pädagogisches Werk nicht zu leisten vermocht. Erst im Augenblick des Anschlusses an Deutschland musste sie sich die Binde von den Augen reißen.“ (Hilde Spiel)

Der Historiker Robert Streibel nennt sich gern ironisch „Sekretär“ der „Fraudoktor“. Er hat Eugenie Schwarzwald vor dem völligen Vergessen bewahrt. Nicht nur, weil er sich um ihre Schriften kümmert, sondern auch, weil er, so lang das noch möglich war, ehemalige Schülerinnen aufsuchte. Zuletzt stellte er in seinem Buch „Das Vermächtnis der Eugenie“ eine Auswahl der mehr als 300 Zeitungsfeuilletons zusammen, die sie für die „Neue Freie Presse“, das „Neue Wiener Tagblatt“ und die „Bühne“ zwischen 1908 und 1938 verfasst hatte. Kurze Texte, Miniaturen aus dem Wien von damals, Erinnerungen an Reisen, Freunde und Bekannte. Allesamt Beispiele für die große Menschenliebe dieser Sozialreformerin und Schulpionierin. Doch noch mehr als in ihren Texten lebte Eugenie Schwarzwald in den Erinnerungen ihrer Schülerinnen weiter, die wie sie selbst 1938 aus Wien vertrieben wurden und, in alle Welt zerstreut, ihre Gedanken vor dem Vergessen bewahrten. Sie selbst starb 1940 im Exil in Zürich, der Stadt, in der sie studiert hatte.

Zum Buch

Robert Streibel (Hg.)
„Das Vermächtnis der Eugenie“

Löcker Verlag, 300 Seiten, 2017. 24,80 €

Mit einer Einleitung von Herausgeber Robert Streibel.

Eine Sammlung von Feuilletons von Eugenie Schwarzwald zwischen 1908 und 1938.

Auch in der Ausstellung „The Place to Be. Salons als Orte der Emanzipation“ im Jüdischen Museum Wien kommt die Geschichte von Eugenie Schwarzwald vor.

(Noch bis 14. Oktober 2018).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2018)

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