„Die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm“

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Mit einem Staatsakt feierte die Republik am Montag in der Oper ihren 100. Geburtstag. Als Geschenk gab es mahnende Worte von Festrednerin Maja Haderlap und Bundespräsident Van der Bellen.

Wien. Die schwarzen Limousinen fuhren am gestrigen Montag ungewöhnlich früh vor die Staatsoper. Schon um neun Uhr vormittags betraten die ersten der 1300 Gäste das mit rot-weiß-roten Blumen geschmückte Haus an der Ringstraße. Zur Eröffnung, zwei Stunden später, stimmten die Wiener Philharmoniker die Bundeshymne an. So feierte das offizielle Österreich seinen 100. Geburtstag.

Am 12. November 1918 wurde einst die Republik ausgerufen, und gestern, am 100. Jahrestag, wurde daran in einem Staatsakt gedacht. In der ersten Reihe haben Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz und die gesamte türkis-blaue Regierung Platz genommen. Auch Alt-Bundespräsident Heinz Fischer und so mancher Alt-Kanzler zählten zu den Gästen. Der Einladung sind auch viele ehemalige Regierungsmitglieder gern gefolgt (darunter Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der trotz des großen Gästeandrangs ohne Sitzpartner zur Linken und Rechten saß).

Nur die große Festrednerin, die Schriftstellerin Maja Haderlap, hat die Einladung als „erstaunlich“ und „kühn“, wie sie erzählte, empfunden. Doch sie fühlte sich auch geehrt. Und so schenkte sie der Republik zum 100. Geburtstag eine zum Nachdenken anregende 25-minütige Ansprache.

Autorin Maja Haderlap hielt die Festrede in der Staatsoper.
Autorin Maja Haderlap hielt die Festrede in der Staatsoper.(c) APA/HANS PUNZ

Verunsicherung greift um sich

„Seit unserem Beitritt zur Europäischen Union kommt der politische Boden, auf dem wir stehen, nicht zur Ruhe“, sagte die Schriftstellerin. Man würde spüren, dass die Gesellschaft in einen Wandel eingetreten ist, „der einem langsam anschwellenden Orkan gleicht“. Gerade habe man sich erst an den Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates aufgerichtet, schon werde einem erklärt, dass man endlich erwachsen werden und für sich selbst sorgen solle.

Staaten würden zusehends als Unternehmen geführt. Im Kampf um globale Investoren würden sie mit „Schnäppchen“, „Schönheit“ und „billigem, willigen Humankapital“ werben. Eine Politik nach Kriterien des Wettbewerbs. Dafür würden Staatsbürger immer mehr optimiert. Und so rühre, so die These Haderlaps, ein beträchtlicher Teil der „um sich greifenden Verunsicherung“ aus der Befürchtung, dass man als fehleranfälliger, alter, kranker und für die Ökonomie unbrauchbarer Mensch aus der „öffentlichen Wahrnehmung und Obsorge entfernt“ werden könnte.

Diesen verunsicherten Menschen würden nationalistische Parteien in ganz Europa als Ersatz für die Gemeinschaft eine nationale Zugehörigkeit als Domizil anbieten. Sie würden Botschaften in glänzendes Papier verpacken, aber die Füllung unter der Schokoladeschicht könnte bitter schmecken. Und so wünschte Haderlap der „immer noch jungen Republik“ einen Instinkt für Demokratie. Denn „es geht uns gut, aber die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm“.

Unter den 1300 Gästen waren auch Alt-Bundespräsident Heinz Fischer und Ex-UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon.
Unter den 1300 Gästen waren auch Alt-Bundespräsident Heinz Fischer und Ex-UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon.(c) APA/AFP/JOE KLAMAR

Gegen Feindbilder

Mahnende Worte fand auch Bundespräsident Van der Bellen in seiner Rede. Es dürfe nicht alles schwarz oder weiß gesehen werden. Die Lösung liege nämlich fast immer in der Mitte. „Das ist eine Einsicht, an die wir uns in diesen Tagen wieder erinnern können.“

Gemeint waren damit wohl auch die Auseinandersetzungen in den sozialen Medien. Es seien „Echokammern“. Er warne, sagte Van der Bellen, vor „Gesprächsverweigerung, Intoleranz und der Aushöhlung von Freiheitsrechten“.

„Herzenswunsch erfüllt“

Die Schaffung von Feindbildern, ob Muslime, Juden, Ausländer oder Sozialhilfeempfänger, sei zu verurteilen. Die Demokratie müsse „kompromisslos gegenüber den Intoleranten“ sein, so der Bundespräsident. Immerhin habe es Österreich stark gemacht, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. „Erneuern wir diese Gemeinsamkeit.“

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz warnte davor, dass der Gewalt der Worte schnell Taten folgen könnten. Das habe sich schon in der Ersten Republik gezeigt. Aus dem „Kind, das keiner haben wollte“, sei heute das „viel geliebte Österreich“ geworden. Man habe ein gesundes Selbstvertrauen entwickelt und den Umgang mit der Geschichte und der österreichischen Schuld gelernt.

Der Kanzler durfte in seiner Rede auch jene jüdischen Holocaust-Überlebenden, die bei dem Staatsakt geladen waren, begrüßen. Sie hätten, so der Kanzler, der Republik mit ihrem Besuch einen „Herzenswunsch“ erfüllt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2018)

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