Mit der Straßenbahn zur Geiselnahme

Strassenbahn Geiselnahme
Strassenbahn Geiselnahme(c) AP (RAI TV)
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Vor 35 Jahren stürmte ein Terrorkommando unter Führung von „Carlos“ die Wiener Opec-Zentrale. 24 Stunden und drei Tote später war die spektakulärste Geiselnahme in Österreichs Geschichte vorbei.

Wien/Apa/Jaz. Die sechs Terroristen kamen auf ungewöhnliche Art. Mit der Straßenbahn fuhren sie am 21.Dezember 1975 um 11.45 Uhr am Wiener Schottentor vor und stürmten Sekunden später das Opec-Gebäude am Wiener Karl-Lueger-Ring. Dort konferierten die Ölminister der Opec gerade über den Ölpreis, als die Terroristen – ohne zuvor kontrolliert worden zu sein – den Flur vor dem Konferenzsaal betraten.

Weil die Terroristen die Waffen zogen, stellten sich die beiden zur Bewachung abgestellten österreichischen Kriminalbeamten und ein irakischer Sicherheitsmann ihnen entgegen. Einer der Polizisten, der Iraker sowie ein libyscher Delegierter mussten bei dem darauf folgenden Schusswechsel ihr Leben lassen. Unverletzt überstand indes der Anführer der großteils palästinensischen Angreifer die Schießerei: Ilich Ramirez Sanchez, alias „Carlos“. Der venezolanische Top-Terrorist der 70er- und 80er-Jahre nahm in der Folge rund 70 Geiseln, darunter elf Ölminister der Opec-Länder.

Stürmung des Gebäudes scheitert

Der Versuch der Polizei, das Gebäude zu stürmen, scheitert. Einer der Polizisten schleppt sich nach dem erneuten Schusswechsel schwer verletzt auf die Straße. Dabei soll er auf gut Wienerisch gerufen haben: „In den Arsch haben's mi g'schossen – aber den hab' ich derwischt.“ Und er hatte recht. Der später als Hans-Joachim Klein identifizierte Terrorist (Mitglied der deutschen Revolutionären Garden) wurde mit einem Bauchschuss ins Wiener AKH gebracht.

Die Terroristen fordern die Bereitstellung einer AUA-Maschine. Zudem soll im Radio ein Kommuniqué in französischer Sprache verlesen werden, in dem die Friedenspolitik einiger arabischer Staaten gegenüber Israel kritisiert wird. Auch der damals noch vom Schah regierte Iran wird darin als Agent der USA gebrandmarkt.

Bundeskanzler Bruno Kreisky entscheidet sich, den Forderungen der Terroristen nachzugeben. In der Früh des 22.Dezembers holt ein Postbus die Terroristen und 33Geiseln zum Flughafen Wien-Schwechat. Auch der schwer verletzte Klein wird aus dem AKH dorthin gebracht. Am Flughafen kommt es zu einer Situation, die Innenminister Otto Rösch internationale Empörung einbrachte. So streckt Carlos dem Minister kurz vor dem Betreten der Maschine die Hand entgegen, die dieser auch ergreift.

Er habe diese Geste für die Bekräftigung der zuvor von Carlos versprochenen Freilassung der Geiseln am Ankunftsort gehalten, verteidigte sich Rösch später. Anderswo sorgte der Handschlag mitunter für Hohn und Spott. „Danke verbindlichst für die reibungslose Abfertigung“, kommentierte etwa die deutsche „Welt“.

Die AUA-Maschine bringt Terroristen und Geiseln daraufhin nach Libyen und Algerien. Nach vermutlich hohen Lösegeldzahlungen werden alle Geiseln freigelassen. Die Geiselnehmer können ebenfalls ohne Probleme ausreisen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Libyen der mutmaßliche Auftraggeber der ganzen Aktion war, wie etwa Klein Jahre später nach seiner Verhaftung sagte. Libyen habe so die anderen Opec-Mitgliedsländer „zu mehr Solidarität mit den Palästinensern“ zwingen wollen.

Carlos: „Kreisky gut, obwohl er Jude war“

Auch Carlos wurde 1994 verhaftet – der französische Geheimdienst entführte ihn aus dem Sudan. 1997 wurde er in Paris zu lebenslanger Haft verurteilt, in Summe sollen 83 Menschenleben auf sein Konto gehen. In späteren Interviews lobte er Kreisky und Rösch. Der Kanzler sei ein „guter und ehrlicher Mensch“ gewesen, „obwohl er Jude war“. Rösch sei wiederum „höflich und sachlich“ gewesen.

Seine Terroraktionen rechtfertigt „Carlos“ als Mittel des Klassenkampfes. Dies dürfte zumindest einen überzeugt haben: den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Dieser ist ein ausgewiesener Fan des Terroristen Carlos.

Auf einen Blick

Am 21. Dezember 1975 stürmten sechs Terroristen – die meisten von ihnen Palästinenser – unter der Führung von „Carlos“ das Opec-Gebäude in Wien. Sie nahmen rund 70 Geiseln und töteten drei Menschen, darunter einen Polizisten. Am Tag darauf flogen sie mit einer AUA-Maschine nach Nordafrika, wo sie die Geiseln gegen mutmaßliche Lösegeldzahlungen freiließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2010)

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