Josef Hindels: Der allerletzte Austromarxist

(c) Clemens Fabry
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In seinem Alterswerk erinnert sich Norbert Leser an den Parteifreund. Beide waren auf der Suche nach der Seele der SPÖ und beide bekamen nie ein Mandat. Es ist ein amüsantes Alterswerk des Philosophen.

Wer kennt heute noch den Namen Josef Hindels? Norbert Leser kennt ihn. Und er widmet dem „letzten Austromarxisten“ in seinem neuesten Werk über skurrile Begegnungen ein würdiges Kapitel. Denn der 1916 geborene Josef Hindels war durchaus bemerkenswert. Hindels durchlief die klassische „Karriere“ eines austromarxistischen Funktionärs: Gewerkschafter, Häftling im christlich-sozialen „Ständestaat“, Flucht in die Tschechoslowakei, Emigration über Norwegen nach Schweden.

1946 kehrte er nach Österreich zurück, blieb aber ein unbequemer Quergeist. So erbarmte sich lediglich Friedrich Hillegeist von der Gewerkschaft der Privatangestellten: Er bot Hindels Unterschlupf und einen „Brotberuf“ als Sekretär. Aber dessen eigentliche Mission spielte sich anderswo ab: im „Bund Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus“. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands ist mit sein Werk.

Oft hat man ihn als „Berufsantifaschist“ belächelt. Aber der Mann war authentisch. Rednerisch ungemein begabt. „Es war ein Vergnügen, seinen druckreifen Reden zuzuhören, allerdings spürte man auch den Geifer, der in ihm abrann, wenn er in seinem rhetorischen Element war“, urteilt Norbert Leser. „In der Ersten Republik hätte er eine glänzende Karriere machen, vielleicht sogar Otto Bauer Konkurrenz machen können.“

Überlegenheit des Sozialismus

Hindels' Tragik war, dass er mit seinem Austromarxismus in der Zweiten Republik zu spät dran war. Felsenfest glaubte er an Otto Bauers einstiges Credo, dass sich früher oder später Kommunisten und Sozialdemokraten wieder vereinen würden: Die westliche Sozialdemokratie werde sich revolutionieren, der sowjetische Kommunismus sich demokratisieren und liberalisieren. Sein ehernes Glaubensbekenntnis: Der Sozialismus sei dem Kapitalismus überlegen.

Klar, dass dieser Mann in seiner Unbedingtheit den SPÖ-Funktionären als Sicherheitsrisiko galt. Sie gaben ihm nie ein öffentliches Mandat, nur auf den Parteitagen hatte er eine Plattform, die er weidlich nützte. Sonst blieben ihm nur kleine verschworene Zirkel, die er mit zündenden Reden aufputschte. Norbert Leser: „Er musste erleben, dass gar manche derer, die an seinen Lippen hingen, darunter spätere Politgrößen wie Karl Blecha, den Marsch durch die Institutionen antraten und in den Positionen, die sie erlangten, auf die Grundsätze, die er ihnen gepredigt hatte, vergaßen.“

In mancher Hinsicht erscheinen Norbert Leser und der 1990 verstorbene Hindels wesensgleich, auch wenn sie einander in der „Arbeiter-Zeitung“ oft kein Pardon gegeben haben. Heute existiert weder diese Tageszeitung, noch besteht irgendein Interesse an ideologischer Diskussion.

Leser erinnert sich an einen Besuch bei dem Parteigenossen in Döbling: Mit Ekel habe Hindels über den Opernball gesprochen. Nicht nur die Zurschaustellung des Reichtums stieß ihn ab, sondern auch, dass sich sozialistische Würdenträger „in solch einer Umgebung offenkundig wohl fühlen.“

Attacke auf Vranitzky

Immer wieder schimmert bei Leser die Enttäuschung über die Pragmatiker an der Parteispitze durch. So meint er, man hätte Franz Vranitzky, der als Staatsmann durchaus gute Figur gemacht habe, einen Parteiobmann beigeben sollen, „nicht so weit von den Idealen der Sozialdemokratie abgehoben“. Alfred Gusenbauer habe als Vertreter der SJ den Instinkt besessen, gegen Vranitzky zu stimmen, „doch die meisten anderen erkannten die ideelle Gefahr nicht ... Sie überließen sich willig der Führung eines Mannes, für den die Partei nicht mehr als ein Vehikel der Machterhaltung war“.

Im Rückblick und in der Bilanz fällt Lesers historisches Urteil über Josef Hindels zwiespältig aus : „Auf der einen Seite war er der letzte Vertreter einer Ideologie, die sich bereits überlebt hatte, auf der anderen Seite bietet er das erfreuliche, weil so selten gewordene Bild eines Einzelkämpfers, der bereit war, um der Sache willen gegen den Strom zu schwimmen.“

Es ist ein amüsantes Alterswerk des politischen Philosophen. Er schildert Begegnungen u. a. mit Kardinal König und Hans Weigel, mit Hans Kelsen und Friedrich Heer, mit Adam Schaff und Adolf Merkl, mit Otto von Habsburg und vielen anderen. 29 bunte Porträts sind so entstanden.

Der australische Historiker William M. Johnston meint in seinem Vorwort, „in dieser Ahnengalerie soll ein jeder Österreicher, ja ein jeder Europäer etwas nach seinem eigenen Geschmack finden. In Lesers Erinnerungen kehrt das geistige Konnubium Österreichs noch einmal wieder, vielleicht zum letzten Mal in solcher Breite und Tiefe“.

Norbert Leser

Skurrile Begegnungen

Böhlau-Verlag, 256 Seiten, 29,90 Euro.

Erscheint Ende Februar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2011)

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