Kampusch: Wirbel durch Ermittlungen "nicht angenehm"

NATASCHA KAMPUSCH
NATASCHA KAMPUSCH(c) APA (Matthias Silveri)
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Natascha Kampusch bekundet Interesse an weiteren Ermittlungen, der Aufruhr sei ihr aber nicht angenehm. Die Ermittler unternehmen einen neuerlichen Anlauf, um die Angaben von Ernst H. zu überprüfen.

WIEN. Der Aufruhr, den die neuen Ermittlungen mit sich bringen, sei Natascha Kampusch „nicht angenehm“, hieß es am Montag aus dem näheren Umfeld der 21-Jährigen. Doch sie ließ wissen: „Wenn es tatsächlich Verflechtungen zu weiteren Tätern gibt, ist es natürlich von Interesse, das zu erfahren.“ Und: „Sofern sich tatsächlich stichhaltige Beweise ergeben, ist es natürlich zu begrüßen, wenn es Ermittlungen gibt.“

Indessen forciert der Grazer Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbacher die Ermittlungen gegen Ernst H. (46), den langjährigen Freund des Kampusch-Entführers Wolfgang Priklopil. Nachdem gegen H. ein Verfahren wegen des Verdachts der Freiheitsentziehung (dieser Tatbestand wird mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet) eingeleitet wurde, rücken nun die seinerzeitigen Aussagen des Mannes wieder in den Mittelpunkt. H. – er beschäftigt sich unter anderem mit Immobilien, seit längerer Zeit steht er im Visier der Polizei – hatte kurz nachdem Natascha Kampusch im August 2006 die Flucht gelungen war, vor Journalisten erklärt: „Heuer Mitte Juli rief mich Priklopil an, dass er sich gern meinen Kfz-Anhänger ausborgen würde.“ Daraufhin habe er ein Treffen vor einer von ihm betriebenen Veranstaltungshalle ausgemacht. Priklopil sei gekommen „und wurde dabei von einer jungen Frau begleitet“. Diese sei ihm von Priklopil als „Bekannte“ vorgestellt worden. Ihr Name sei nicht genannt worden. Ernst H.: „Ich gab ihr die Hand, sie sagte ein höfliches ,Grüß Gott‘. Sie machte einen fröhlichen, glücklichen Eindruck.“ Später habe ihm die Polizei ein Kampusch-Foto gezeigt, darauf habe er die Priklopil-Begleiterin wiedererkannt. H. über Priklopil: „Ich hätte ihn nie für einen Entführer gehalten.“

Die Ermittler unternehmen nun einen neuerlichen Anlauf, um die Angaben von Ernst H. zu überprüfen. Ob Beweise für eine Mittäterschaft gefunden werden, bleibt abzuwarten. Der Anwalt von Natascha Kampusch, Gerald Ganzger, beurteilt die Rolle von Ernst H. mit Zurückhaltung: „Entführt hat er sie nicht und gefangen gehalten auch nicht.“ Und: „Wir wissen nicht, ob er am Verlies mitgebaut hat, oder ob er im Hintergrund Mitwisser war.“ Klar ist nur, dass H. bereits mehrfach einvernommen wurde – darauf wird sich die Polizei nun auch stützen müssen, denn nun – als Beschuldigter – kann H. die Aussage verweigern.

Ein zweifelhafter „Zeuge“

Indessen wartet Oberstaatsanwalt Mühlbacher – er wurde nach Kritik der „Kampusch-Kommission“ (Leitung: Ex-VfGH-Präsident Ludwig Adamovich) an den schleppenden Ermittlungen und auf Druck der Medien der Oberstaatsanwaltschaft Wien zur Seite gestellt – auf das Ergebnis einer Hausdurchsuchung in Tengen (Baden-Württemberg). Der IT-Spezialist Thomas V. behauptet, dass nach der Flucht von Natascha Kampusch ein „Verließ-Pornovideo“ im Internet angeboten worden sei. Darauf sei das Opfer „zweifelsfrei“ zu erkennen gewesen. Außerdem will er von einem Priklopil-Freund handschriftliche Enthüllungen des Entführers bekommen haben. Ob all dies stimmt oder erfunden ist, soll nun geklärt werden. In Ermittlerkreisen gibt es erhebliche Zweifel an der Seriosität des Deutschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2009)

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