„Nestlégate“: Großkonzern bespitzelte

(c) EPA (LAURENT GILLIERON)
  • Drucken

Die Schweizer Lebensmittelfirma Nestlé wurde zu einer Entschädigung verurteilt, weil sie die globalisierungskritische Gruppe Attac infiltriert hatte. Das Strafverfahren wurde unter fragwürdigen Umständen eingestellt.

Die Firma Nestlé hat von 2003 bis mindestens Ende 2005 mit illegalen Methoden die Sektion der globalisierungskritischen Organisation Attac im Schweizer Kanton Waadt, die damals ein kritisches Buch über den weltgrößten Nahrungsmittelkonzern geplant hat, infiltriert und bespitzelt – und zwar mithilfe der Schweizer Sicherheitsfirma Securitas AG. Ein Zivilgericht in Lausanne verurteilte beide Unternehmen deswegen nun zu einer Entschädigungszahlung von je 3000 Franken (etwa 2400 Euro) an zwei Mitglieder von Attac.

Die beiden Frauen reichten 2008, nachdem die Bespitzelung durch eine Sendung des Westschweizer Fernsehens aufgeflogen war, Straf- und Zivilklage gegen Nestlé und Securitas ein. Das Strafverfahren wurde indes vom Waadtländer Untersuchungsrichter Jaques Antenen schon 2009 mit einer fragwürdigen Begründung eingestellt, die den Verdacht einer Gefälligkeitsentscheidung für Nestlé, den größten Arbeitgeber im Kanton Waadt und wichtigsten Steuerzahler der Schweiz, erregte.

Eine Securitas-Mitarbeiterin war der Attac-Gruppe im Herbst 2003 unter dem falschen Namen Sara Meylan beigetreten, eine zweite 2005. Die zwei Spitzel nahmen regelmäßig an den Arbeitssitzungen der Gruppe teil, verschafften sich Zugang zu vertraulichen Informationen (auch über Dritte) sowie zu E-Mails der Attac-Mitglieder und lieferten Berichte über die Sitzungen an Nestlé. Mit dieser „unerlaubten Infiltration“ hätten Nestlé und Securitas „die Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen verletzt“, stellte das Lausanner Zivilgericht in seinem Urteil fest.

Nestlé: „Urteil bedauerlich“

Der Nestlé-Konzern äußerte „Bedauern“ über das Urteil, nicht aber über das eigene rechtswidrige Verhalten. Untersuchungsrichter Antenen hatte seine Strafermittlungen im Sommer 2009 eingestellt, weil er „nichts Strafbares entdeckt“ habe. Die Spitzel hätten demnach lediglich handschriftliche Notizen über die Attac-Versammlungen weitergegeben, jedoch keine verbotenen Tonbandaufnahmen oder Fotografien gemacht, hieß es damals in dem Einstellungsbescheid. Securitas und Nestlé ihrerseits hätten die Berichte archiviert, ohne daraus „gesetzeswidrige Akten“ herzustellen.

Als Straftatbestand wäre nur die Weitergabe von persönlichen Daten infrage gekommen, doch das sei bereits verjährt gewesen, denn es sei nicht beweisbar, dass die Spione ihre Aktivitäten nach 2005 weitergeführt hätten.

„Statt eine Hausdurchsuchung einzuleiten, Material zu konfiszieren und sich für die genaue Art der Materialbeschaffung zu interessieren, hat sich Antenen damit zufriedengegeben, die Aussagen der beiden Firmen für bare Münze zu nehmen“, kritisierte Attac seinerzeit die Einstellungsverfügung des Untersuchungsrichters. Die zweite Spionin habe öffentlich gesagt, auch noch nach 2005 rund zehn Berichte für den Lebensmittelkonzern verfasst zu haben. Antenen begründete die Unterlassung einer Hausdurchsuchung bei Nestlé überdies damit, dass Attac bereits vor der Sendung des Westschweizer Fernsehens, durch die die Spitzelaffäre aber überhaupt erst aufflog, hätte klagen müssen.

Parteiischer U-Richter?

„Das Ziel des Untersuchungsrichters war es, die Straffreiheit von Nestlé und Securitas zu garantieren“, kritisierte Attac-Anwalt Jean-Michel Dolivo die „mangelhaften Ermittlungen“ Antenens. So habe der Richter auch nicht geklärt, ob es sich bei den Spitzelberichten nur um bloße Gesprächsnotizen oder um die Abschrift verbotener Tonbandaufnahmen gehandelt habe. Auch habe der Untersuchungsrichter nicht ausreichend berücksichtigt, dass sich die Spitzel, wie im Zivilprozess festgestellt, Zugang zu den E-Mails der Attac-Mitglieder verschafft und damit auf rechtswidrige Weise deren Privatsphäre verletzt hätten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.