Filialen versus Internet: „Derzeit wird viel aufgeblasen"

Die Einkäufe im Internet boomen.
Die Einkäufe im Internet boomen. (c) AP (Ben Margot)
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Die Einkäufe im Internet boomen. Alle Händler wollen mitnaschen, doch nicht alle Produkte sind für Online-Shopping wirklich geeignet.

44 Prozent aller Österreicher im Alter zwischen 16 und 74 Jahren haben in den vergangenen zwölf Monaten im Internet eingekauft, sagt eine Studie der Statistik Austria. Der Onlinehandel wird für viele Einzelhändler, die den stationären Handel als Hauptgeschäft betreiben, immer mehr zu einem zweiten Standbein. Denn insgesamt nimmt der Zug für das Online-Shopping deutlich an Fahrt auf - und alle wollen aufspringen. Das zeigt auch der Umsatz, der sich von 2006 bis 2010 in Österreich auf etwa 1,9 Milliarden Euro verdreifacht hat.

Nach Berechnungen der KMU Forschung Austria sind das zwar nur 3,6 Prozent der gesamten Erlöse des österreichischen Einzelhandels. Aber der Beitrag zum Wachstum des Handels steigt auf bereits 20 Prozent. Hierzulande gibt es etwa 39.000 Einzelhandelsunternehmen. Mittlerweile verkaufen schon 15 Prozent der Unternehmen Waren über ihre Website. Das Internet vereinfacht auch das Online-Shopping jenseits der Grenzen. 2010 haben die Österreicher über das Internet Waren im Wert von 2,6 Milliarden Euro aus dem Ausland bezogen. Der Hauptanteil der online getätigen Shoppingausgaben entfiel mit 840 Millionen Euro auf Bekleidung und Textilien.

Handel setzt auf Multi Channel-Strategie

Auch Deichmann, die Nummer zwei im österreichischen Schuhhandel, hat dem geänderten Einkaufsverhalten der Konsumenten bereits Rechnung getragen. Im August 2011 wurde der Online-Shop gestartet. Geschäftsführer Georg Müller setzt im ersten Schritt jedoch nicht auf enorme Umsatzsummen über Online, sondern auf eine ausbaufähige Strategie mit einer funktionierenden Logistik. Dabei geht es darum, dass sich der Kunde einerseits über das Internet informiert, was ihn im Geschäft erwartet, andererseits bringt Onlinehandel auch viele Leute ins Geschäft. Sie sind über die Darstellung im Internet neugierig geworden und wollen sich die Produkte vor Ort ansehen oder auch ihren online erstandenen Artikel umtauschen.

Schuhe seien ein etwas schwierigeres Thema für diesen Absatzkanal, erzählt Müller im Gespräch mit DiePresse.com. Schuhe müssen nicht nur gefallen, sondern auch am Fuß passen. Und selbst die richtige Größe allein reiche nicht immer aus, der Schuh könne trotzdem immer noch irgendwo drücken. Startups seiner Branche, die es zuhauf gibt und ausschließlich über das Internet agieren, wie Zalando sieht Müller kritisch: "Da wird derzeit viel aufgeblasen und es stellt sich die Frage, ob das wirtschaftlich jemals rentabel wird."

Bald die Hälfte über online

Wesentlich revolutionärer sieht Zukunftsforscher Eike Wenzel im „Presse"-Interview die Entwicklung des Online-Handels. In den nächsten zehn Jahren werde es darauf hinauslaufen, dass 50 Prozent elektronisch umgesetzt werden und die andere Hälfte im stationären Handel. Als Beispiel nennt er die Buchbranche, die online schon sehr gut funktioniert und der stationär starke Einbrüche drohen. Wo die Reise hingehen wird, lasse der gegenwärtige E-Book-Anteil in Europa ahnen. Derzeit noch bei einem winzigen Prozent, werde der Anteil in der nächsten Dekade auf bis zu 25 Prozent steigen, prophezeit Wenzel.

Auch wenn Handelschefin Bettina Lorentschitsch von der Wirtschaftskammer Österreich den stationären Handel durch Online-Shopping nicht verschwinden sieht, rät sie ihren Mitgliedern, sich dem Thema intensiv zu widmen. Die Unternehmervertretung selbst entwickelt gegenwärtig ein Konzept für einen leichteren Online-Einstieg ihrer Mitglieder. Vom Internet erwartet sie eine auch Unterstützung des stationären Handels, obwohl sie Verschiebungen zwischen den Absatzkanälen in einzelnen Branchen nicht ausschließen will.

Lorentschitsch setzt auf die Multi-Channel-Strategie und hält nichts von einem „Entweder-oder". Sie glaubt, dass der Handel über diesen Ansatz die Kunden auf unterschiedlichen Vertriebswegen abholen kann. „Beim Frühstück lese ich die schöne große Zeitung, tagsüber informiere ich mich zur Gänze online über Internet und Apps", stellt die WKO-Handelsobfrau einen einleuchtenden Vergleich mit der Medienbranche an.

Logistikkosten belasten

Relativ gelassen sieht KMU Forschung Austria-Chef Peter Voithofer den kommenden Herausforderungen für den stationären Handel entgegen: „In den 1950er und 1960er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat es mehr Lebensmittelgeschäfte gegeben als heute Einzelhandelsgeschäfte. Der Handel ist nun mal im Wandel. Entweder man entwickelt sich weiter oder man scheidet aus dem Markt aus." Es gebe Unternehmen, die schon lange am Markt sind. Diese haben ihre Standorte verändert, sie haben ihre Dienstleistungen und Produkte angepasst. Und deswegen gebe es sie heute noch.

Die großen Einsparungspotentiale im Internethandel sieht Voithofer in den Logistikkosten, die von vielen Händlern unterschätzt werden. Dafür sorgen enorm hohe Umtauschquoten im Online-Handel, wo Kunden vor allem in der Modebranche bis zu 50 Prozent der gekauften Artikel zurückschicken. Hinzu kommen dann noch Kosten für die Aufbereitung der umgetauschten Produkte, um diese wieder verkaufsfertig zu machen.

Bessere Informationsmöglichkeiten

Wohin die Reise im Einzelhandel gehen wird, wird nach Meinung des Standortforschers Hannes Lindner wesentlich davon abhängen, wie sich die Menschen den Einkauf zukünftig überhaupt vorstellen. Dabei werden die immensen Möglichkeiten der Kommunikation und des Internets für breite Massen von ganz arm bis sehr reich eine wesentliche Rolle spielen.

Denn neben den angebotenen Produkten kann die Information den Menschen auch bewusst machen, ob sie mit ihrer Art des Lebens und des Einkaufs von Gütern so weitermachen wollen wie bisher. Wollen Sie weiter auch Produkte kaufen, die billig sind, aber die Gesundheit beeinträchtigen könnten oder nicht umweltfreundlich produziert wurden, oder kommt es zu einem Umdenken. Der Informationszugang bietet Möglichkeiten zur Aufklärung, die es vor zehn bis 20 Jahren noch nicht gegeben hat. Unterstützt wird diese Aussage durch die KMU-Studie, wonach 59 Prozent der ÖsterreicherInnen vor dem Online-Kauf gezielt im Internet nach Informationen suchen.

Dass Online-Shopping sich in vielen Branchen trotzdem durchsetzen wird, scheint auch für Lindner so gut wie sicher, verläuft doch die Entwicklung der letzten Jahre angebots- und auch nachfrageseitig sehr dynamisch. Den Lebensmittelhandel sieht er nicht darunter, denn dort ist vor allem die Frische von Produkten wichtig. Die Frage wird nur sein, wie sich der stationäre Handel darauf einstellt und mit welchen neuen Konzepten er in den Kampf um Marktanteile zieht. Denn es ist evident, dass durch Online-Shopping der Kreis der Anbieter, die ein Stück vom etwa 55 Milliarden großen Umsatzkuchen haben wollen, größer geworden ist und noch wachsen wird.

(herbas)

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