Anthropologie: In Zähnen lesen und im Kot

CHILE EASTER ISLAND
CHILE EASTER ISLAND(c) EPA (IAN SALAS)
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Die Anthropologie dringt mit feinstanalytischer Spurensicherung in immer subtilere Details vor. Aber in ihnen hausen auch die Teufel.

„Süßkartoffeln, nichts als Süßkartoffeln! „Hier bei uns beginnen wir mit der Geburt, Süßkartoffeln zu essen, dann essen wir weiterhin Süßkartoffeln, und am Ende sterben wir.“ Das gab eine Bewohnerin der Osterinsel 1866 einem Forschungsreisenden zu Protokoll, und die ewig gleiche Knolle stand auf dem Speiseplan, seit Siedler um das Jahr 1200 herum auf das entlegenste aller Eilande gestoßen waren. Sie hatten Süßkartoffeln im Gepäck, Ratten auch – auch sie zum Essen –, aber dort, wo sie herkamen, auf Polynesien, gab es von Natur her überhaupt keine Süßkartoffeln.

Sie mussten erst hin, von Südamerika her, und dass sie den weiten Weg schafften, ist ein starkes Indiz für frühe Fernreisen von Polynesiern. Ein anderes fand sich an der Küste Chiles: fossile Hühnerknochen aus der Zeit zwischen 1321 und 1407. In Südamerika wurden nie Hühner domestiziert – nach offizieller Lesart kamen sie erst mit den Konquistadoren –, auf Polynesien hingegen waren sie es. Auch sie werden auf den Schiffen gewesen sein, die auf die Osterinsel stießen, zudem wurde der Tisch von Früchten einer heimischen Palme gedeckt.

Diese verschwand im Lauf der Jahrhunderte, warum, ist umstritten: Für die einen, Jared Diamond an der Spitze („Collaps“), gruben sich die Osterinsulaner ihr eigenes Grab, indem sie alle Palmen abholzten, um damit die großen Steinstatuen zu transportieren. Andere sehen das völlige Verschwinden der Palmen als Werk entlaufener Ratten, die sämtliche Samen fraßen.

Wie auch immer, die Palmen waren weg, aber als Monica Tromp (Idaho State University) 2012 Zähne bzw. Zahnstein längst verstorbener Osterinsulaner analysierte, fand sie darin Spuren von Palmfrüchten, auch in Zeiten, in denen es keine Palmen mehr gab: Stärkekörner. Jede Pflanze produziert sie in einer eigenen Form, die Forschung nutzt das seit etwa 15 Jahren als Archiv der Ernährung.

Etwa gleichzeitig wurde, wieder an Zähnen, eine andere Quelle erschlossen: die der feinsten Abriebspuren, die jede gekaute Nahrung hinterlässt. Aber Kratzer von Palmfrüchten hatten die Zähne nicht, in deren Zahnstein ihre Stärke eingelagert war, der Abrieb zeigte nur Süßkartoffeln (International Journal for Osteoarcheology 16. 4. 2012). Das war eine harte Palmfrucht, Tromp hat sie nun geknackt: Die Stärke kam mit den Süßkartoffeln, abgefallene Palmfrüchte hatten sie in der Erde hinterlassen, und mit dieser Erde an den Kartoffelschalen – Süßkartoffeln kann man roh verzehren – gerieten sie in den Zahnstein (Journal of Archaeological Science, 4. 12. 2014).

Zeuge Kohlenstoff. Solche Finessen und Tücken birgt die feinstanalytische Spurensicherung. Begonnen hatte sie mit der Nutzung von Isotopen zur Altersbestimmung – zunächst über Kohlenstoff: Radiokarbon. Dort zeigte sich auch erstmals der Teufel im Detail: Datiert wird mit dem radioaktiven Isotop 14C. Es wird in der Atmosphäre gebildet und – zusammen mit den stabilen Isotopen 12C und 13C – in der Fotosynthese von Pflanzen aufgenommen; so kommt es in die Nahrungskette. Da man die Halbwertszeit von 14C kennt, kann man aus dem Verhältnis der Isotope in Fossilien das Alter lesen.

Aber nur dann, wenn das 14C direkt aus der Atmosphäre ans Land bzw. in Pflanzen kommt. Gelangt es hingegen erst ins Meer und später ans Land, ist es schon partiell zerfallen – dann sieht das Fossil mit dem 14C älter aus, als es ist. Das trifft möglicherweise auf die Hühner in Chile zu, sie wurden mit Fischresten gefüttert (Pnas 105, E100).

Will man also Knochen oder Zähne von Menschen oder Tieren datieren, muss man erst einmal wissen, wovon sie sich ernährt haben. Der zentrale Zeuge ist wieder Kohlenstoff: Pflanzen haben zwei Hauptwege der Fotosynthese, C3 und C4. C3-Pflanzen bevorzugen 12C, C4-Pflanzen lagern viel 13C ein. Zu C3 gehören Bäume und Büsche (und ihre Blätter und Früchte), zu C4 viele Gräser, auch solche mit verzehrbaren Wurzeln: Knollen.

Nun muss man nur noch eins und eins zusammenzählen, Matt Sponheimer (University of Colorado) hat es etwa bei Paranthropus getan. Der Ahn lebte vor 2,8 Millionen Jahren und hatte so mächtige Kiefer, dass man ihn Nussknacker hieß. Aber der Kohlenstoff in seinen Knochen deutete nicht auf Nüsse, sondern auf Gras (Pnas, 110, S. 10513). Darüber schüttelte Maelán Fontes-Villalba (Lund) den Kopf: Paranthropus habe eher Tiere gegessen, die sich ihrerseits von Gras ernährten (Pnas, 110, E4055). Solchen Feinheiten versucht man mit Analysen der spezifischen Kohlenstoffanreicherung auf verschiedenen Ebenen der Nahrungskette („Trophien“) gerecht zu werden, zudem erweitert man ständig die Palette der zurate gezogenen Elemente. Eben hat Vincent Balter (Lyon) Magnesium hinzugefügt (Pnas, 22. 12.).

Direkter geht alles natürlich, wenn man noch Spuren des Essens selbst hat: versteinerte Fäkalien, Koprolithen. Sie haben gerade auf einer anderen Insel geholfen, einen erbitterten Streit zu entscheiden, auf Vieques nahe Puerto Rico. Wer lebte dort, bevor 1493 Kolumbus kam? Saladoiden und Huekoiden, darüber herrscht Einigkeit. Aber nicht darüber, ob sie die gleichen oder ganz andere Wurzeln hatten. Archäologische Funde, etwa von Werkzeugen, deuteten darauf, die Saladoiden seien aus Venezuela gekommen, die Huekoiden aus den Anden, Bolivien.

Aber es gab böse Debatten. Nun hat Tasha Santiago-Rodriguez (University of Puerto Rico) Koprolithen beider Völkerschaften ausgewertet, mit DNA-Analysen (PLoS One 8, e65191): Im Stuhl der Hukeoiden fanden sich Gene von Mais und Hefe, Saccharomyces. Beides gehört in Bolivien zu den Ingredienzien des traditionellen Getränks Chica. Im Stuhl der Saladoiden war dergleichen nicht, stattdessen zeigte sich DNA von Fischparasiten. Auch die Hukeoiden aßen Wassergetier, keine Fische, sondern Muscheln, zudem nutzten sie offenbar Pilze als Medikamente. Aber in einem war der Kot beider gleich, er enthielt Bakterien, die mit Muttermilch kommen: Er stammte von Babys. ?

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015)

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