Baustellen im Sachverständigenrecht

Baustellen Sachverstaendigenrecht
Baustellen Sachverstaendigenrecht(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Lange Verfahren: Wie der Überlastung von Sachverständigen vorgebeugt werden könnte.

Wien. Die Sachverständigen sind ins Gerede gekommen. Es gibt kaum einen spektakulären Fall von Wirtschaftskriminalität, bei dem nicht auch ein kritisches Wort über die Tätigkeit der Sachverständigen fällt. Dabei droht der gerichtlich beeidete und zertifizierte Sachverständige als verlängerter Arm des Gerichtes zu erlahmen. Diese Entwicklung stellt die Effizienz der Rechtsprechung infrage. Die Probleme sind mannigfacher Natur.

1 Es gibt zu wenig Sachverständige, die Kosten sind hoch.

Die zu Recht in der Öffentlichkeit immer wieder beklagte lange Dauer der Verfahren ist in erster Linie auf Überforderung der Sachverständigen zurückzuführen. Richter und Staatsanwälte führen wiederholt Beschwerde darüber, dass gerade in Wirtschaftsstrafverfahren die benötigten Sachverständigen nicht vorhanden sind. In der Öffentlichkeit hingegen werden deren Honorare (spätestens seit dem Verfahren gegen Meinl) als überhöht kritisiert. Deren Kosten steigen durch die lange und intensive Befassung tatsächlich in enorme Höhe. Dabei versteht es sich, dass diese selbst im Fall eines Schuldspruches von der Öffentlichkeit getragen werden, weil der Schuldner meist sein Vermögen an Dritte verschiebt und das Geld bei ihm nicht einbringlich ist. Im Fall eines Freispruchs hat diese Kosten ohnedies die Republik zu tragen.

Trotz dieser Verdienstmöglichkeiten sind nicht genügend qualifizierte Sachverständige in die Liste eingetragen. Die seit 2007/2008 massiv angefallenen Wirtschaftsstrafverfahren, verbunden mit dem Inkrafttreten der Strafprozessnovelle (1. Jänner 2008) haben zu einem deutlichen Anstieg des Bedarfs an Wirtschaftssachverständigen geführt. Dieses Problem ist auch dem Justizministerium bekannt, die eingerichteten Arbeitskreise sollten rasch zu einer Lösung kommen. Immerhin stehen gerade diese Verfahren im Blickpunkt der Öffentlichkeit; ihre Erledigung, ja sogar das Setzen von einzelnen Verfahrensschritten tragen wesentlich zum Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz bei. Urgenzen der Staatsanwälte im Vorverfahren oder des Gerichts auf Beschleunigung und termingerechte Erstellung des Gutachtens müssen scheitern, weil der Sachverständige mit seinem Büro für eine rasche Erledigung nicht strukturiert ist. Die im Sachverständigen- und Dolmetschergesetz (SDG) vorgesehene Sanktion der Enthebung des Sachverständigen bei dessen Säumnis greift nicht, weil das Gericht auf den einmal bestellten Sachverständigen weitestgehend angewiesen ist. Jede theoretisch mögliche Umbestellung hätte durch die Einarbeitungszeit eines anderen Sachverständigen vielmehr einen neuerlichen Zeitverlust zur Folge, wie dies etwa auch im Verfahren gegen Meinl zutage getreten ist. Und gerade hier waren die in vielen anderen Verfahren zu beobachtenden Bemühungen der Verteidiger, die Sachverständigen mit hunderten Fragen zu bombardieren oder gar mit Ablehnungsanträgen aus den Verfahren zu eliminieren, erfolgreich.

2 Sachverständige sollten in schlagkräftigen Teams arbeiten.

Um dem Mangel an Sachverständigen abzuhelfen, müssten fachlich kompetente Teams von Sachverständigen – allenfalls unter Einbindung des Hauptverbands – gebildet werden, vergleichbar mit großen Anwaltskanzleien, deren juristische Potenz und Verwaltungsstruktur zur Erledigung umfangreicher und komplexer Verfahren eingerichtet sind. An den Kosten kann es wohl nicht liegen, denn die Entlohnung für Mühewaltung eines Wirtschaftssachverständigen richtet sich nach den sonstigen außergerichtlichen Einkünften. Dabei kann von einem Stundensatz in der Größenordnung von 300 Euro ausgegangen werden. Dieser Satz kann wohl vom Gericht überprüft werden, bei der für das Gesamthonorar letztlich maßgeblichen Zahl der Stunden ist das Gericht wohl auf das Vertrauen in den Sachverständigen angewiesen. Paradox: Obwohl die Stundensätze alles andere als niedrig sind, finden sich nicht genügend geeignete Sachverständige, um der Flut der Wirtschaftsstrafsachen Herr zu werden. Auch hier wäre das Justizministerium aufgerufen, die Bildung von Sachverständigenteams zu fördern und gesetzlich zu verankern.

3 Sachverständiger der Anklage widerspricht „fairem Verfahren“.

Dazu stößt man auf eine weitere, durch die StPO-Reform ausgelöste, rechtlich bedenkliche Situation. Bis dahin bestanden keine Zweifel, den einmal durch den Untersuchungsrichter bestellten Sachverständigen auch im Hauptverfahren als Beweismittel heranzuziehen. Die Beiziehung dieses Sachverständigen in dem jetzt vom Staatsanwalt geleiteten Vorverfahren und dessen Heranziehung in der vom Gericht geleiteten Hauptverhandlung entsprechen nicht dem Grundsatz des Fair Trial. Es wird daher erforderlich sein, einen anderen Sachverständigen zu beauftragen, wodurch ein zusätzlicher Bedarf entsteht.

Blickt man auf die zahlreichen infolge der Finanzkrise angefallenen Anlegerverfahren, so zeigt sich auch dort, dass viele Klagen – allein beim Handelsgericht Wien langten mehr als 10.000 ein – nicht ohne Sachverständige aus dem Wirtschaftsfach erledigt werden können. Diese fehlen somit an allen Ecken und Enden.

4 Geregelte Tarife liegen weit unter dem Marktwert.

Eine andere Baustelle findet sich bei den Sachverständigen, deren Honorar in Tarifen geregelt ist. Das Gebührenanspruchsgesetz zählt eine Gruppe von Sachverständigen auf, deren Honorar von beruflichen Einkünften, wie etwa bei den Wirtschaftssachverständigen, weit entfernt ist. Ärzte, Psychologen und Psychiater erhalten im Strafverfahren für ein medizinisches Gutachten, nach entsprechender Untersuchung, ein Honorar in der Größenordnung von 200 Euro. Es verwundert nicht, wenn sich viele aus der Liste der Sachverständigen einfach streichen lassen. Im so bedeutsamen Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind etwa im Sprengel des Oberlandesgerichtes Wien praktisch keine Sachverständigen mehr eingetragen. Hier scheint dringender Reformbedarf zu bestehen. Das Justizministerium kann den eklatanten Widerspruch zwischen den Sachverständigen, deren Honorar sich nach den sonstigen außergerichtlichen Einkünften richtet, und jenen, deren Honorar im Tarif geregelt ist, nicht langfristig mit dem Argument der fehlenden finanziellen Mittel abtun.

5 Es fehlt der Mut zur Entscheidung ohne zugekaufte Expertise.

Eine weitere Baustelle könnte jedoch im eigenen Bereich der Gerichte behoben werden. Selbstverständlich gibt es im Zivilverfahren viele komplexe Sachverhalte, an die man nicht ohne Expertise eines Sachverständigen herankommt. Richter neigen aber dazu, einen Sachverständigen auch beizuziehen, wenn das nicht unbedingt indiziert ist. Sie geben damit die Beantwortung der Sachfrage aus der Hand, auch wenn die Lösung durch andere Beweisaufnahmen oder eigene Kenntnis möglich wäre. Der dazu vorgebrachte Einwand, im Fall eines Rechtsmittels würde die übergeordnete Instanz mit der Meinung des Erstgerichts nicht mitgehen und in einem weiteren Rechtsgang die Beiziehung eines Sachverständigen fordern, mag im Einzelfall nicht von der Hand zu weisen sein. Der Mut zur Entscheidung einer Sachfrage ohne Beiziehung eines Sachverständigen wird aber oftmals von der Rechtsmittelinstanz belohnt; das sollte Ansporn dafür sein, nicht in jedem Fall sofort einen Sachverständigen zu bestellen und damit notwendigerweise eine Verlängerung des Verfahrens in Kauf zu nehmen.

Lange Verfahren, eine zu geringe Zahl qualifizierter Sachverständiger, enorme Honoraransprüche einerseits, zu gering bewertete Ansätze andererseits sind Baustellen, an denen zu arbeiten der Gesetzgeber dringend aufgerufen ist.

Hon.-Prof. Dr. Nikolaus Lehner ist emeritierter Rechtsanwalt in Wien.
Dr. Wolfgang Pöschl war Vizepräsident des Oberlandesgerichts Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2013)

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