Nackte Wahrheit: Frauen zeigen mehr Haut

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Wenn Menschen völlig frei wählen können, wie sie sich kleiden – in virtuellen Welten wie der von „Second Life“ –, dann zeigt sich ein gar nicht so kleiner Unterschied zwischen den Geschlechtern.

Im Paradies waren Adam und Eva nackt, dort war es so wohltemperiert, dass sie sich weder vor Hitze noch vor Kälte schützen mussten, dort gab es keine Arbeit, bei der sie sich ohne Bedeckung hätten verletzen können, und Dornbüsche waren auch unbekannt. Es gab also keine äußere Veranlassung, sich irgendwie zu kleiden, und eine innere schon gar nicht. Adam und Eva waren im Stande der Unschuld, sie hatten weder Moral noch Sex. Beide erkannten sie erst, als sie einander erkannten, und schon waren die Feigenblätter da: Was und wie viel wir von unserer Haut zeigen, liegt natürlich auch an der jeweiligen Kultur, von der des freien Körpers bis zu der des Tschador.

Aber wie würden Menschen sich gern zeigen, wenn sie alle Freiheiten hätten? Das könnte man herausfinden, wenn es etwas Ähnliches gäbe wie das Paradies. Das gibt es, etwa in der virtuellen Welt von „Second Life“, wo jeder Mann und jede Frau Körper nach seiner/ihrer Wahl modellieren und bekleiden kann, gegen gutes Geld: Avatare. Dort haben Anna Lomanowska und Matthieu Guitton nachgesehen, wer wieviel Haut zeigt: 404 Avatare wurden ein Jahr lang beobachtet, 192 Männer, 212 Frauen. Dabei zeigte sich ein gar nicht so kleiner Unterschied: Von den Männern kleideten sich 71 Prozent so, dass 75 bis 100 Prozent der Haut bedeckt waren, bei den Frauen taten das nur fünf Prozent; 47 Prozent von ihnen hatten nur 25 bis 49 Prozent der Haut bedeckt, bei den Männern neun (PLoS One, 26. 12.).

Dieses Ergebnis hält auch, wenn man berücksichtigt, dass viele Akteure im Second Life ein anderes Geschlecht wählen als im ersten, es sind geschätzte 25 Prozent. Deshalb haben Lomanowska/Guitton korrigiert – das oberste Viertel der am leichtesten gewandeten weiblichen Avatare und das unterste der am stärksten verhüllten männlichen aus der Analyse ausgeschieden –, die Geschlechtsdifferenz blieb.

Aber wo kommt sie her, geht es um Sex bzw. die Signale? Eher nicht, die Forscher haben noch um etwas anderes korrigiert, die Körperform, auch die kann im „Second Life“ frei gewählt wären, männliche Schultern, weibliche Hüften, das sind Sexsignale. Aber sie korrelieren nicht mit der gewählten Kleidung. Lomanowska/Guitton vermuten deshalb, dass nackte Avatar-Haut eher zu nicht sexuellen sozialen Berührungen einlädt, vor allem in dem virtuellen Raum, in dem es spürbare Berührung nicht gibt, man will sie dann wenigstens anlocken und sehen.

Bleibt der zentrale Punkt: Wie einflussreich ist die Kultur? Das ließ sich nur ansatzweise klären, an Rollenspielen wie denen von „Star Wars“. Auch dabei kann die Kleidung gewählt werden, allerdings nur im Rahmen der „Star-Wars-Kulturen“: Die Männer kleideten sich wie die Filmhelden, die Frauen leichter, Kultur generell bremst das Bedürfnis also nicht ein. Aber wie ist es mit den echten Kulturen? Dazu müsste man wissen, wer hinter welchem Avatar steckt. Und hier können die Forscher nur vermuten, dass es vor allem Angehörige der westlichen Kultur sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2012)

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