Wer schuldet wem was? Als Buchhalter noch Erbsen zählten

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Spätmittelalterliche Buchhaltung diente mehr als Gedächtnis- stütze denn der Gewinnermittlung. von Gerhard Mészáros

Urkunden und sonstige offizielle Dokumente, auch aus dem Mittelalter, finden Historiker mit ein bisschen Glück in diversen Archiven. Mit Rechnungsaufzeichnungen sieht es schlechter aus, die wurden leicht weggeworfen, für den Forscher ist es relativ schwer, an Material zu kommen. Claudia Feller versucht es trotzdem: In ihrem dreijährigen FWF-Projekt „Adeliges Rechnen im Spätmittelalter“ hat sie sowohl Landes- als auch Privatarchive in Tirol, Südtirol und im Trentino abgeklappert, um Überbleibsel mittelalterlichen Rechnungswesens zu sichten. Ihr Interesse gilt dabei dem nichtfürstlichen Adel, die Aufzeichnungen des fürstlichen Adels im spätmittelalterlichen Tirol, die „Tiroler Raitbücher“ („raiten“ heißt „rechnen“), sind schon recht gut erforscht.

Was ist an Rechnungsaufzeichnungen interessant? Zum einen kann man daraus einiges über die Verwaltungspraxis lernen, zum anderen über die sozioökonomischen Grundlagen des Adels. „Von Buchhaltung im heutigen Sinn kann man nicht sprechen“, meint Feller. Die doppelte Buchführung breitete sich zwar seit dem 14. Jahrhundert von Norditalien ausgehend aus, nördlich der Alpen wurde sie laut Feller erstmals in den 1470er-Jahren in Nürnberg verwendet. Im mittelalterlichen Tirol war sie jedenfalls nicht üblich. Die Aufzeichnungen über wirtschaftliche Vorgänge hatten weniger die Funktion, systematisch die jährlichen Nettogewinne darzustellen, sondern waren vielmehr vereinzelte Notizen, die als eine Art Gedächtnisstütze fungierten. „Was waren die Einnahmen? Was waren die Ausgaben? Und vor allem: Wer ist wem was schuldig?“ Das waren die Fragen, die die Rechnungsaufzeichnungen beantworten sollten. „Mehr war für die Adeligen nicht nötig“, so Feller.

Wirklich „gerechnet“ wurde aber nicht in den Rechnungsbüchern, sondern auf Rechentüchern oder -tischen (Hilfsmittel fürs Addieren und Subtrahieren); in die Bücher wurde nur die Summe eingetragen. Das Rechnen in Büchern ging auch nicht wirklich, da man lange Zeit an den römischen Zahlzeichen festhielt. „Man war der Meinung, dass diese fälschungssicherer seien“, so Feller. „Im 15. Jahrhundert sieht man dann ein langsames Eindringen der arabischen Ziffern, zunächst bei Seitenzahlen oder der Datierung. Man war aber oft noch unsicher bei der Verwendung, schrieb schon mal eine Null zu viel, die gibt es ja im römischen Zahlensystem nicht.“ Die Rechnungsbücher sind auch kein „Zahlenfriedhof“, meist waren die Zahlen in Sätzen ausformuliert.


Schreiben war nicht standesgemäß. Die von Feller untersuchten Aufzeichnungen sind oft in der Ichform gehalten und können mit dem Namen des adeligen Grundherrn (oder eines Verwaltungsbediensteten) versehen sein. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass die Adeligen selbst gerechnet und geschrieben haben. „Die Schriftlichkeit nimmt im Spätmittelalter stetig zu“, sagt Feller. „Man kann aber nicht davon ausgehen, dass die Adeligen im Normalfall schreiben und lesen konnten. Schreiben wurde auch nicht unbedingt als eine standesgemäße Tätigkeit gesehen.“ Wie groß der Anteil der wirtschaftlichen Aktivitäten war, der schriftlich festgehalten wurde, kann man laut Feller nicht beantworten.

Die Einkünfte der Adeligen stammten vorwiegend aus der Landwirtschaft, dazu kamen Einnahmen aus Zöllen. Der sich langsam vollziehende Übergang zur Geldwirtschaft hatte laut Feller nicht nur ökonomische Bedeutung: Er trug auch zu einer stärkeren Verschriftlichung bei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2009)

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