Die sanfte Art des Abgewöhnens: Ein Glas darf's sein

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sanfte Abgewoehnens Glas darfs(c) AP (Eric Risberg)
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Humaner und mit viel weniger Ängsten und Entzugserscheinungen bei Alkoholsüchtigen behaftet:Cut-down-Drinking, der schrittweise Entzug von Schnaps und Co., half der Wienerin Christa B. sehr. Und nicht nur ihr.

Es begann harmlos: Mit ein, zwei Gläsern Wein in Gesellschaft, mitunter ein, zwei Bier zum Abendessen zu Hause, hie und da einen Verdauungsschnaps. Das war Genuss, das schmeckte.

Dann aber waren es täglich sechs bis sieben Weinbrand, dazu ein paar Bier plus ein paar Gespritzte. Das war kein Genuss mehr, was die Wienerin Christa B. da jahrelang konsumierte. Sie ist alkoholkrank geworden, jeder 20. Österreicher ist es auch.

Aufhören? Das wollen viele. Aber: Ab morgen gar nichts mehr? Trocken über Nacht, Totalentzug von einer Sekunde auf die andere? Das ist für viele Alkoholkranke eine schier unüberwindbare Hürde, die strikte Forderung nach totaler plötzlicher Abstinenz schreckt viele ab. Auch für Frau B. war der radikale Entzug fast unvorstellbar. „Ich weiß nicht, ob ich das so geschafft hätte. Genau davor, vor dem schlagartigen Aufhören, habe ich mich immer gefürchtet und deswegen bin ich lange nicht zum Arzt gegangen. Und dann war ich heilfroh, dass ich an eine Ärztin geraten bin, die es anders machte“, erzählt die heute 63-Jährige. Ihr hat Cut-down-Drinking geholfen, mithilfe des schrittweisen Entzugs ist die einstige Handelsangestellte von der Alkoholikerin wieder zur Genusstrinkerin geworden. „Vielleicht alle zwei Monate einmal ein Bier, aus, pasta.“

In ihrer Alkoholphase hat die verheiratete Wienerin schon am Vormittag zum Glas gegriffen, täglich, heimlich und mit steigend schlechtem Gewissen. Die Flaschen waren stets gut versteckt, meist zwischen den Putzmitteln. „Mein Mann hat nichts gemerkt, auch meine Söhne nicht, ich bin ja nicht getorkelt, ich habe auch nicht gelallt. Und nach Weinbrand oder Bier habe ich stets ein Pfefferminzzuckerl gelutscht.“

Die Leberwerte wurden sukzessive schlechter, Frau B. mit ihrem Leben immer unzufriedener. „Ich wurde nicht mehr nüchtern, hatte immer einen leichten Dusel.“ Zum Glück stieß sie 2007 auf Henriette Walter, Psychiaterin am Wiener AKH und daselbst Sucht- und Hypnose-Expertin. „Beim Cut-down-Drinking geht es zunächst um eine stufenweise Reduktion der Trinkmengen, quasi eine sanfte Vorbereitung auf den Entzug.“ Das funktioniert bei vielen Menschen sehr gut. Vor die Wahl gestellt, entscheidet sich die überwiegende Mehrheit für diesen sanften Alkoholentzug, nämlich satte 80 Prozent. Mit der niederschwelligen Therapie erreicht man wahrscheinlich mehr Suchtkranke. „Es ist meiner Meinung nach auch die humanere Methode, die Patienten stehen viel weniger unter Zwang.“

Nicht nur das. Auch die negativen Folgen eines schlagartigen Entzugs – Unruhe, Zittern, Nervosität, Ängstlichkeit, Schlafstörungen – sind bei der sanfteren Abgewöhnmethode zumindest gelindert oder manchmal auch gar nicht vorhanden. Walter erinnert sich an einen ihrer Patienten, der von täglich 18 Flaschen Bier nach sechs Monaten bei einer Flasche täglich angelangt war. „Und nur geringe Entzugserscheinungen gespürt hat.“

Auch bei Christa B. hielten sich diese in Grenzen. „Am Anfang waren mir zwei oder drei Bier am Tag erlaubt. Und das war schon gut so. Ich habe gewusst, zu Mittag bekomme ich mein erstes Bier und habe mich wirklich gefreut darauf.“ Dennoch: Ein Spaziergang war der Entzug trotzdem nicht, „es war zeitweise schon sehr schwer, ein halbes Jahr lang etwa habe ich schon immer wieder gekämpft“. Doch irgendwann war sie so weit, dass sie nicht einmal mehr die erlaubte Menge Alkohol konsumierte, „weil es mir zu blöd war, schon wieder ein Stricherl auf der Trinkliste zu machen“.

Das Führen eines Trinktagebuches ist Teil der Cut-down-Drinking-Behandlung. Auch Medikamente, Gespräche und Psychotherapie gehören dazu. „Zudem biete ich, je nach Bedarf, zweimal die Woche eine spezielle Hypnosegruppe an“, erwähnt Walter. Die Erfolgsquote – so die Expertin – sei bei beiden Methoden gleich groß: Rund 65 Prozent nach sechs Monaten, sowohl beim abrupten als auch beim sanften Entzug, der eine Brücke zur Abstinenz darstellen könne. Absolute Abstinenz sei dann anzustreben, wenn großes Suchtpotenzial bestehe, „und damit die Gefahr, dass die Dosis wieder sukzessive erhöht wird“. Bei starker Abhängigkeit bleibt kontrollierter Alkoholkonsum wohl Illusion.

Christa B. lässt Wein generell lieber sein, „weil mit einem Achterl habe ich ja nicht genug. Beim Bier ist das anders.“ Und beim Sekt? „Als der Jüngere meiner beiden Söhne letztes Jahr geheiratet hat, habe ich Frau Professor Walter gefragt, ob ich da ein Glas Sekt trinken darf, ich erhielt ein O. K. Und als ich bei der Hochzeit dann das Glas in der Hand hielt, habe ich gar nicht so schnell schauen können, mein Sohn hat es mir gleich wieder weggenommen. Das war für mich schon in Ordnung“ Frau B. ist glücklich über die Unterstützung, die ihr ihr Mann und ihre Söhne in der schweren Zeit zukommen ließen und auch noch heute bieten. „Ich bin dankbar dafür und ich weiß nicht, ob ich es ohne diese Geborgenheit, ohne dieses starke soziale Netz und die moralische Unterstützung meiner großartigen Familie auch so geschafft hätte.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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