Pixelkreuz im Stephansdom

Pixelkreuz Stephansdom
Pixelkreuz Stephansdom(c) APA / Schlager
  • Drucken

Peter Baldinger beschert St. Stephan heuer ein herausragendes neues Fastentuch. Die Erkenntnis (des Motivs) stellt sich nur aus der Distanz her.

Gibt es so etwas wie ein zeitgemäßes Fastentuch? Kann es das überhaupt geben in einer Zeit, in der wenige wissen, wozu Fastentücher überhaupt gut sind und wie die Vorbilder aussehen? Dem 1958 in Linz geborenen Künstler und Grafiker Peter Baldinger ist dazu ein erstaunlicher Wurf, noch dazu mitten ins Zentrum des österreichischen Katholizismus, gelungen.
Seit über zehn Jahren – und künstlerisch erstmals mit herausragender Qualität – hat man sich im Wiener Stephansdom wieder dazu entschlossen, einen zeitgenössischen Künstler ans Allerheiligste zu lassen und das barocke Hochaltarbild zu verhüllen. Ansonsten wird das mit einem schlichten violetten Tuch getan, das die Leinwand der Stephanus-Steinigung von Tobias Pock knapp bedeckt. Baldingers Tuch verdeckt fast den ganzen Hochaltar, mit seinen sechs mal neun Metern ist es fast so groß wie Österreichs immer noch größtes (und ältestes) Fastentuch, das im Gurker Dom aufbewahrt wird. Der Anspruch ist also gestellt.

Eine Kreuzigung, in 651 Pixel zerlegt


Nicht nur mit der Größe, sondern auch formal nimmt Baldinger die Tradition auf. Das mittelalterliche Gurker Tuch erzählt in 99 quadratischen Szenen Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament. Auch Baldingers Tuch besteht aus Quadraten, aus 651 bunten Kästchen, die er ebenso dringend braucht, um die Heilsgeschichte auf den Punkt zu bringen: Seine farbigen Kästchen sind Pixel, also Bildpunkte, die entstanden, als er eine Kreuzigungsdarstellung von José de Ribera von um 1620 am Computer „auflöste“, also mehr und mehr vergrößerte (und schließlich malte).
Steht man nun ganz hinten im Kirchenraum des Doms, kann man nicht nur die gekrümmte Figur des Gekreuzigten, sondern sogar die Beweinungsgruppe am Kreuzesfuß noch gut erkennen. Je näher man aber kommt, desto verschwommener, desto abstrakter wird das Pixelfeld. Jeder könnte heute mit seinem Smartphone derlei Aufnahmen von Altarbildern machen. Vielleicht machen es manche Junge sogar während der Messe. Wer aber hat sich auf das Gedankenspiel von Auflösung und Auferstehung, von Erkenntnis aus der Distanz und Verklärung aus der Nähe bisher eingelassen? Das neue, übrigens nur einjährige Fastentuch in St. Stephan schafft mit großer Geste und dennoch subtil derlei Gedankensprünge, schafft es, Zeiten und Welten miteinander zu verschränken.
Es ist ein klarer Höhepunkt in Baldingers bisherigem Werk, das sich vor allem mit Verunklärung beschäftigt hat. Entweder lösten sich die Menschen und Gesichter im Wasserspiegel auf. Drehten einem gleich den Hinterkopf zu. Oder wurden eben in ihre Pixel aufgelöst. Voriges Jahr schuf er für die Kirche in Langenlois bereits ein Fastentuch, das sich aus unzähligen Porträts anonymer Menschen zusammensetzte. 2010 verpixelte er Historien-Deckengemälde auf der Feststiege zur Bundespräsidentenkanzlei in der Hofburg.
„Was kommt als nächster Ausstellungsort, der Petersdom?“, scherzte daher nicht umsonst Dompfarrer Toni Faber bei der Fastentuch-Präsentation Dienstagabend. Wer wird als Nächstes das Fastentuch im Stephansdom gestalten? Baldingers Tuch könnte der Beginn einer spektakulären Reihe sein, die sich die Kirche nicht entgehen lassen sollte. Ein würdiger Beginn wäre ihr schon einmal geschenkt worden.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.