„Israel bestraft die Menschen in Gaza“

A Palestinian smuggler prepares to smuggle fuel into Gaza through a tunnel beneath the Egyptian-Gaza
A Palestinian smuggler prepares to smuggle fuel into Gaza through a tunnel beneath the Egyptian-Gaza(c) REUTERS (IBRAHEEM ABU MUSTAFA)
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Wasser und Brot sind nach israelischen Vergeltungs-Maßnahmen Mangelware im Gazastreifen. Die neue Eskalation schaukelte sich wieder einmal nach palästinensischen Raketenangriffen auf die israelische Grenzstadt Sderot auf.

JERUSALEM/GAZA. Seit gut einer Woche bleibt der Wasserhahn in Hani Shawwas Badezimmer trocken. Aus Mangel an Strom kann das lebenswichtige Nass nicht mehr aus dem Brunnen des Wohnviertels gepumpt werden. Städte und größere Ortschaften verfügen über Generatoren. In Beith Hanoun im nördlichen Gazastreifen müssen Hani und seine Familie mit mehreren Kanistern ausgerüstet auf die Straße, wenn einmal täglich der Tankwagen kommt.

Nur für ein paar Stunden gibt es Strom, bis spätestens um Mitternacht die Lichter wieder ausgehen, berichtet der Vater von fünf minderjährigen Kindern. Problematisch wird zunehmend das Ausbleiben neuer Gaslieferungen. Allein in Gaza hätten bis Anfang der Woche schon 13 Bäckereien schließen müssen, weil sie ihre Öfen nicht anheizen können. „Wenn man überhaupt noch Brot bekommt, muss man lange dafür anstehen“, sagt Hani.

Für kurze Zeit ließ Israel am Montag den Übergang für die Warentransporte im südlichen Gazastreifen öffnen. Nach fast zweiwöchigem kompletten Lieferstopp sind die Waren von kaum 15 Lastwagen jedoch völlig unzureichend. „Israel bestraft die Menschen in Gaza, nicht die Hamas“, sagt Hani. Die Leute würden auf beide Seiten schimpfen, auf die Hamas und auf Israel: „Die meisten beschäftigen sich aber nicht mit Politik, sondern versuchen nur noch zu überleben.“

Israel hält die Grenzen diesmal auch dauerhaft für Diplomaten und Journalisten geschlossen. 20 EU-Vertreter hielten eine Demonstration ab, als sie vergangene Woche am Grenzpunkt Erez zurückgewiesen wurden. Der Verband der Auslandskorrespondenten in Israel protestierte am Montag gegen den „unverschämten Verstoß“ gegen die Informationsfreiheit.

Die neue Eskalation schaukelte sich wieder einmal nach palästinensischen Raketenangriffen auf die israelische Grenzstadt Sderot auf. In den vergangenen Wochen schlugen der israelischen Zählung zufolge 170 solcher Geschosse ein. Israel antwortete mit Militäraktionen und tötete 15 Palästinenser.

Zunächst bestand die Hoffnung, dass beide Seiten schnell wieder zu der vor knapp fünf Monaten vereinbarten Waffenruhe zurückkehren würden. Danach sieht es inzwischen nicht mehr aus. Die Einigung sollte zunächst bis Mitte Dezember gelten und dann neu verhandelt werden.

Krisentreffen mit Abbas

Nun warnt Verteidigungsminister Ehud Barak vor einer militärischen Offensive. Die Armee lässt der Gedanke an den im Sommer 2006 entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit zögern, dessen Leben bei einer Großaktion unmittelbar gefährdet wäre.

Ideal aus israelischer Sicht wäre eine kurzfristig angelegte Operation, die mit dem Einzug der offiziellen palästinensischen Sicherheitskräfte beendet wird. Die Zusammenarbeit der israelischen und palästinensischen Sicherheitskräfte funktioniert schließlich im Westjordanland, wenngleich sie selbst von Aktivisten der Präsidentenpartei Fatah zunehmend offen kritisiert wird. Beobachter fürchten jedoch, dass ein solcher Versuch das politische Ende von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas einleiten würde.

Am Montag kamen Abbas und Israels scheidender Premier Ehud Olmert zu einem Krisentreffen zusammen. Angeblich wurde dabei die Freilassung von 250 palästinensischen Gefangenen vereinbart. Israel will dem gemäßigten Präsidenten wieder einmal den Rücken stärken. Doch kann die Rechnung aufgehen?

Die Hamas erhofft sich offenbar politischen Profit, wenn sie neue Eskalationen provoziert. Jeder Raketenangriff ist Wasser auf die Mühlen der israelischen Rechtsparteien. Ein Sieg des Likud bei der Parlamentswahl im Februar würde wiederum den diplomatischen Prozess zwischen Israel und der Autonomiebehörde zusätzlich verlangsamen und gleichzeitig die Chancen für neue gewaltvolle Auseinandersetzungen steigen lassen.

Selbst wenn Hamas-Führer Ismail Haniyeh, wie er jüngst vor europäischen Politikern einräumte, eine Zweistaatenlösung für möglich hält, so scheint der Weg zu Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas noch immer endlos.

AUF EINEN BLICK

Israel und die radikal-islamische Hamas, die den Gazastreifen beherrscht, einigten sich im Juni auf eine Waffenruhe. Diese Vereinbarung ist in den vergangenen zwei Wochen in die Brüche gegangen. Palästinensische Extremisten feuerten 170 Raketen auf Israel ab. Israel tötete im Gegenzug 15 Palästinenser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2008)

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