Yasmina Reza: Nirgendwo und überall

Yasmina Reza gilt als meistgespielte lebende Theaterautorin. Doch über sie selbst wissen wir wenig. Nun sind ihre autobiografischen Lebensnotizen erschienen.

Sie besucht nur mehr die Uraufführungen, alles andere wäre zu viel. Zu oft werden ihre Theaterstücke in den großen und kleinen Theaterhäusern großer und kleiner Metropolen mittlerweile gespielt. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird jeder neue Bühnentext von Yasmina Reza automatisch zum Erfolg. Ihre Texte sind die Pageturner des Theaterbetriebs: kurz, einfach gestrickt, aber unterhaltsam. Meistens reden die Protagonisten sehr viel, fast immer kommen sie aus dem Bildungsbürgertum. In schicken Wohnungen debattieren sie zuerst höflich, streiten irgendwann und hadern zum Schluss fürchterlich mit ihrem Leben – und der theaterliebende Bildungsbürger im Publikum? Der erkennt sich wieder, schmunzelt, lacht herzhaft und freut sich über die Pa­­rallelen zu seinem eigenen Leben, kurz: Er mag Yasmina Rezas Stücke, meistens zumindest. Das erfolgreichste – „Der Gott des Gemetzels“, ein Streitdialog zwischen zwei Ehepaaren – wurde vor einiger Zeit sogar von Roman Polanski mit Christoph Waltz und Kate Winslet in den Hauptrollen verfilmt und, natürlich, auch zu einem großen Erfolg an den Kinokassen.

Aufgeblasene Sorgen. In der „Zeit“ stand vergangenen Herbst, kurz vor der Uraufführung ihres Werkes „Ihre Version des Spiels“ am Deutschen Theater in Berlin, in Rezas Stücken würde meistens „endloses halbgebildetes Gequatsche die Handlung ersetzen“. Das war ziemlich treffend, aber gar nicht als Beleidigung gemeint. Denn Yasmina Reza, einst Schauspielerin und selbst im Pariser Bürgertum zu Hause, schafft es mit ihren Texten, die gehobene Mittelschicht einerseits wichtig zu nehmen, und sich andererseits über ihr sinnloses Palavern und ihre aufgeblasenen Sorgen lustig zu machen.
Seltsamerweise gilt die Frau, die diesen redseligen Protagonisten die Dialoge schreibt, bis heute als das genaue Gegenteil ihrer Figuren: verschlossen, schweigsam, interviewscheu. Da denkt man unweigerlich: Diese Frau hat Angst! Aber nein, versichert sie in ihren wenigen Interviews. ­Furchtsam sei sie nicht, sie wolle sich in diesen Gesprächen, die für die Ewigkeit in Archiven einsehbar seien, einfach ungern festlegen; nicht heute dies behaupten, wenn sie morgen vielleicht schon eine andere Meinung zum Gesagten hat.

Doch in der kleinen Textform lässt sie uns schließlich doch ein wenig teilhaben an ihrem Leben. Soeben erschien der Essayband „Nirgendwo“, in dem kurze autobiografische Notizen versammelt sind, erstmals auf Deutsch. Der größere Teil davon, die Erzählung „Hammerklavier“, wurde 1998 bereits auf Deutsch veröffentlicht, nun sind weitere 30 Seiten mit der Erzählung „Nirgendwo“ dazugekommen. Ein Begriff der sich auf die Heimat der Autorin bezieht. Yasmina Reza, am 1. Mai 1959 als Tochter eines jüdischen Iraners und einer jüdischen Ungarin geboren, sagt von sich selbst, sie habe kein Gefühl von Heimat oder Tradition. Dass sie Jüdin sei, habe sie erst erfahren, als sie bei Tisch ein Kreuz schlagen wollte, so wie die Kameradinnen aus der Schule, und ihre Eltern ihr sagten, sie solle „so etwas Schreckliches“ nie wieder machen. Eine Theaterautorin, die sich „nirgendwo“ zu Hause fühlt, aber überall, zumindest auf allen Bühnen dieser Welt gespielt wird.

Neureiche des Todes.  In „Nirgendwo“ schreibt Reza: „Ich weiß nicht, von welchem Lebenssaft ich mich genährt habe, das Wort Herkunft existiert ebenso wenig wie das Wort Exil. (. . .) Ich habe keine Tradition, ich habe keine Religion, ich kann keine Kerzen anzünden, ich kann kein Fest feiern“. Mit so etwas wie Stolz und Zufriedenheit schließt sie den Text, in dem sie davon erzählt, dass sie ihre Eltern und ihre Großeltern nebeneinander im jüdischen Teil des Friedhofs von Montparnasse begraben ließ. Sie empfinde das als „eine Art sozialen Aufstieg, dass sie da liegen, mitten in Paris, neben bekannten französischen Kulturschaffenden, als wären sie Neureiche des Todes“. Erstaunlich tief lässt Reza den Leser hier in ihre Gedankenwelt blicken, doch insgesamt geht es in ihren Notizen viel weniger um sie selbst, als um ihre Angehörigen und Personen, mit denen sie zu tun hatte.

Immer wieder kommt ihr Vater vor, den sie als lebensbejahenden, starken Mann schildert. Als die beiden an einem Februartag im Jahr 1987 nach einem Mittagessen die Brasserie Lipp verlassen, laufen sie in den damaligen Minister Raymond Barre. Rezas Vater sagt: „Monsieur Barre!“ und stellt dem Minister seine Tochter als „die große Autorin“ vor, „von der alle Welt spricht“. Reza ist sich sicher, dass die beiden Herren einander nicht kennen, was stimmt. Aber „am Ende ihres Duetts werden sie sich die Hand drücken und sich nie wiedersehen“.

Familienalbum. Auch von ihren Kindern Alta und Nathan,  die heute 23 und 19 Jahre alt sind, schreibt Reza immer wieder – und das, obwohl sie in den früheren „Hammerklavier“-Texten schildert, wie unrecht das vor allem ihrem Sohn Nathan war. Die Erinnerungen an die Schulwege mit dem Sohn oder eine langatmige Privatvorführung der Tochter sind für Reza so etwas wie Fotografien. Nie habe sie ihre Kinder mit einer Kamera festgehalten, diese zum Teil nur eine halbe Seite langen Texte würden ihre Erinnerungen an diese Erlebnisse wie Fotos archivieren.

Insgesamt lernen wir die scheue Theaterautorin in diesen kurzen Monografien als ebenso kritische Beobachterin ihrer Umgebung wie auch als von sich selbst eingenommene Persönlichkeit kennen. So schildert sie eine Anekdote über den bereits verstorbenen Schauspieler Roger Blin, dem sie ein Treffen ausgeschlagen hat, und merkt selbstbewusst an, dass sie ihm damals als junge Schauspielerin „wohl Kummer bereitet habe“. Auch die Sehnsucht nach dem bürgerlichen Leben wird immer wieder thematisiert. In diesen Anekdoten ist sie ihren Figuren aus den Theaterstücken plötzlich ganz nah – und wir bekommen einen Eindruck, woher die Autorin den Stoff für ihre Stücke schöpft: aus ihrem eigenen Alltag.

TIPP

Neu erschienen. Yasmina Rezas Erinnerungsbuch „Nirgendwo“ erschien in Frankreich bereits 2005. Ende 2012 wurde der Band mit kurzen Anekdoten über ihren Vater und ihre Kinder auf Deutsch übersetzt (Edition Akzente/Hanser, 149 Seiten).

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