Bewusstsein: Sensation bei Wachkoma-Patienten

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Patienten im Wachkoma dürften wesentlich mehr verstehen als man ihnen bisher zugetraut hat. Das erfordert einen Paradigmenwechsel in der Behandlung.

Eine echte Sensation, die einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von Wachkoma-Patienten nach sich ziehen muss“, sagt Univ.-Prof. Dr. Walter Oder vom AUVA-Rehabilitationszentrum Meidling. Die Sensation: Mittels High-Tech-Medizin konnte eine belgische Forschergruppe beweisen, dass einige Wachkoma-Patienten ein gewisses Sprachverständnis haben. Das bisherige Dogma indes lautete: Solchen Kranken fehlt es am Bewusstsein ihrer selbst, es fehlt auch jegliche Interaktion zur Außenwelt.

Schmerzen bewusst erleben?

„Redet man mit diesen Menschen, zeigen sie sichtlich keinerlei Reaktion“, schildert Oder, „aber sie dürften wesentlich mehr verstehen, als wir ihnen bisher zugetraut haben.“ Mittels modernster bildgebender Verfahren konnte nämlich Folgendes gezeigt werden: Spricht man mit einem Wachkoma-Patienten, gibt es genau in den Gehirnarealen, wo üblicherweise das Sprachverständnis liegt, vermehrte Aktivität.

„Es dürfte so sein“, meint Oder, „dass der Reiz ankommt, aber der Patient nicht in der Lage ist, ihn zu verarbeiten. Minimale Bewusstseinsvorgänge aber dürften vorhanden sein.“ In jedem Fall, so Oder, müssen diese Erkenntnisse einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von Patienten mit dem sogenannten apallischen Syndrom nach sich ziehen. „Wir müssen uns gegenüber diesen Menschen so verhalten als ob sie uns verstehen würden.“ Denn man wisse ja nicht hundertprozentig, was ein Wachkoma-Patient wirklich mitbekommt.

Ebenso wenig wisse man, ob Menschen mit einem apallischen Syndrom Schmerzen bewusst erleben. Eines ist sicher: Der Inselcortex im Gehirn, der bei Schmerzreizen Aktivitäten zeigt, tut dies auch bei Wachkoma-Patienten. „Das hat eine deutsche Arbeitsgruppe um Univ.-Prof. Dr. Carl Hermann Lücking nachgewiesen.“ Man könne also nicht mehr ausschließen, dass diese Menschen Schmerz bewusst wahrnehmen.

Überraschende Einzelfälle

Relativ schwierig ist auch die Prognose, ob ein Mensch jemals wieder aus dem Wachkoma erwacht. Überraschende Einzelfälle gibt es immer wieder, wie etwa einen 65-jährigen Polen, der im Vorjahr nach 19-jährigem Koma – entgegen allen ärztlichen Prognosen – wieder erwacht ist und wieder gehen und sprechen konnte. Anfang 2005 hatte eine 36-jährige US-Amerikanerin wieder zu sprechen begonnen, nachdem sie 20 Jahre stumm im Wachkoma gelegen war. Vor knapp fünf Jahren war ebenfalls in den USA ein 40-Jähriger nach 19 Jahren aus dem Koma aufgewacht. „Die Prognose hängt auch davon ab, welche Schädigung zu Grunde liegt“, so Oder. Nach einem Schädel-Hirn-Trauma gäbe es prinzipiell bessere Chancen als nach einem Sauerstoffmangel des Gehirns in Folge eines Herzstillstandes oder Operation-Zwischenfalles.

„Bei ganz massivem Sauerstoffmangel geht der Cortex, der Hirnmantel, zu Grunde, der kann sich dann kaum mehr erholen“, weiß Oder. Bei Verletzungen sei häufig die Verbindung des Hirnmantels zum Hirnstamm „nur“ unterbrochen und nicht völlig zerstört. „Da kann Neuro-Rehabilitation die Regeneration sehr gut fördern.“

Ausmaß der Schädigung

Eine relativ neue Möglichkeit, das Ausmaß des Schadens im Gehirn zu beurteilen, bietet die Diffusionsgewichtung, eine spezielle Technik aus der Kernspintomografie. „Mit diesem bildgebenden Verfahren können wir im Verein mit klinischer Untersuchung, EEG und Laborparametern einschätzen, wie groß das Ausmaß der Schädigung ist“, erwähnt Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller vom Landeskrankenhaus Villach, Abteilung für Neurologie und Psychosomatik.

„Mit Hilfe dieses Diagnose-Quartetts versuchen wir eine frühe Einschätzung, ob der Betroffene sich eher in Richtung Pflegefall entwickeln könnte oder ob die Möglichkeit einer Erholung realistisch ist.“ Da Erfahrungen aus größeren Untersuchungsreihen aber derzeit noch fehlten, bliebe immer eine gewisse Unsicherheit in der Prognosestellung zurück, so Kapeller. „Deshalb wird in Österreich die fachliche Beobachtung und Therapie solcher Patienten durch Neurologen zumindest über sechs Monate gewährleistet, um den Krankheitsverlauf besser einschätzen zu können.“

Qualvoll verdursten lassen

Danach wird dann zusammen mit Angehörigen und im Idealfall einem externen Arzt, betreuendem Pflegepersonal und – so vorhanden – Patientenverfügung – entschieden, wie man beim jeweiligen Patienten weiterhin vorgeht: Ob man etwa – im Falle einer Lungenentzündung – dem Patienten Antibiotika gibt oder ihn an eine Beatmungsmaschine hängt. Derlei lebensverlängernde medizinische Maßnahmen können ausgesetzt werden. Eines aber passiert in Österreich mit großer Sicherheit nicht: Dass man einen Wachkoma-Patienten qualvoll verhungern und verdursten lässt, wie man es in den USA im Fall der Terri Schiavo vor drei Jahren getan hat.

„Die Amerikaner lassen Mörder milder und sanfter sterben als ihre Wachkoma-Patienten“, kritisierten damals österreichische Experten. Denn es sei keineswegs ausgeschlossen, dass Schiavo es registriert habe, dass man sie verhungern und verdursten ließ und dass sie darunter gelitten habe, vermuteten renommierte Fachleute damals schon. Neueste Untersuchungen scheinen ihnen recht zu geben...

BRAIN DAYS

Irrtum: Lange dachte man, dass es bei Wachkoma-Patienten keinerlei Interaktion zur Außenwelt gäbe. Das haben aktuelle Untersuchungen widerlegt.

Das Wachkoma wird bei den Brain-Days am 6. Mai behandelt. Im Rahmen der „Presse“-Kurzserie wird am 28. April über Schmerzwahrnehmung bei Demenz berichtet.

www.braindays.at("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2008)

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