HTC Desire S im Test: Android als Lifestyle-Accessoire

Desire Test Android LifestyleAccessoire
Desire Test Android LifestyleAccessoire(c) Presse Digital (Daniel Breuss)
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Der Nachfolger des Vorjahres-Modells muss hohe Erwartungen erfüllen. DiePresse.com hat herausgefunden, ob das Desire S das auch kann. Zumindest optisch hat sich HTC bemüht.

Das voriges Jahr erschienene HTC Desire gilt als eines der wichtigsten Geräte für den Erfolg von Android. Es verkaufte sich so gut, dass der Hersteller mit seiner Produktion der Nachfrage nicht mehr nachkam. Auf ein solches Debut einen Nachfolger hinterherzuschieben, ist nicht leicht. HTC hat sich dazu bei Samsung etwas nachgeschaut: den Buchstaben "S". Nach dem Galaxy S und Nexus S von Samsung besitzt jetzt so ziemlich jedes neue HTC-Gerät ein "S" hinter seinem Namen. Neben Incredible S und Wildfire S auch das neue Desire S, das DiePresse.com ausführlich testen konnte.

Alte Innereien in neuem Gewand

Rein von den technischen Kerndaten hat sich nicht viel geändert. Der Prozessor rechnet wieder mit 1 GHz Taktfrequenz, die Kamera schießt Bilder mit 5 Megapixel und der Touchscreen misst 3,7 Zoll und stellt 800 x 480 Bildpunkte dar. Allerdings wurde der Arbeitsspeicher von 576 MB auf 768 MB vergrößert und das S-Modell bekam ein Unibody-Alugehäuse spendiert. Außerdem verkleinerte HTC das Gerät, ersetzte die fixen Buttons durch Sensortasten und entfernte kurzerhand den optischen Trackball. Dazu kam noch eine Frontkamera für Video-Telefonate. Alles in allem also sehr viel Drumherum, das geändert wurde. Bis auf eines: Die Übertragungsgeschwindigkeiten über UMTS wurden verdoppelt.

Charakterkinn mit Understatement

Das Desire S wirkt recht kompakt, im Vergleich zum Vorgänger fast schon winzig, und liegt dank seines Materialmixes aus griffigem Kunststoff und Aluminium recht gut in der Hand. Die Entscheidung, auf Hardware-Tasten zu verzichten, dient einerseits der Optik. Andererseits kann derzeit nichts das haptische Feedback eines gedrückten Knopfs ersetzen. Der Trackball hingegen wird im Gebrauch kein einziges Mal vermisst. Also folgt die "form" hier nur teilweise der "function". HTC-typisch befindet sich am unteren Ende des Gehäuses ein Knick. Mit fortschreitender Entwicklung der Modelle des Herstellers wird dieser aber immer geringer und ist beim Desire S kaum mehr wahrnehmbar. Charakterkinn mit Understatement, gewissermaßen.

Android-Lebkuchen mit Sense-Streusel

Das Kernstück jedes aktuellen Smartphones ist sein Betriebssystem. HTC setzt die aktuelle Version Android 2.3.3 "Gingerbread" ein und garniert sie wie gewohnt mit seiner Benutzeroberfläche HTC Sense. Diese weist wieder einmal einige Anpassungen im Vergleich zum Standard-System auf. Diesmal lässt die Oberfläche aber nicht nur die HTC-typischen bogenförmigen Bedienelemente am unteren Bildschirmrand zu, dieser kann durch "Oberflächen" auch angepasst und so etwas dezenter werden. Oder gerade ans aktuelle persönliche Outfit angepasst werden.

Wechselbad der Licht- und Schattenseiten

Positiv ist die Integration der kürzlich genutzten Anwendungen im Benachrichtigungsmenü und ein Zugriff auf die wichtigsten Verbindungsoptionen, wie WLAN, Bluetooth oder auch den WLAN-Hotspot, der seit Android 2.2 möglich ist. Leider zeigte sich im Test, dass der Touchscreen an den Rändern, wo sich eben auch die Benachrichtigungsleiste befindet, nicht immer so präzise reagiert, wie man sich das wünschen würde. Ansonsten bietet er aber keinen Grund zur Klage. Farbdarstellung und Kontrast passen, im Sonnenlicht zeigen sich die Technologiebedingten Probleme mit der Ablesbarkeit.

Dafür zickte die E-Mail-Software gelegentlich. Obwohl sie Push-Mail unterstützt, trudelten Nachrichten oft erst mit Verspätung ein. Dafür ist HTCs E-Mail-App eine der wenigen in der Android-Welt, die Mails in Ordner verschieben kann. Dass Google das selbst noch nicht in der entsprechenden Anwendung für Android 2.3 integriert hat, ist eigentlich unverzeihlich.

Praktische Kleinigkeiten

Zu den Veränderungen der Benutzeroberfläche kommen aber noch einige praktische Details, die recht brauchbar sein können. So klingelt das Gerät etwa lauter, wenn es glaubt, sich in der Hosentasche zu befinden. Sobald es draußen ist, beziehungsweise der Lichtsensor Licht wahrnimmt, klingelt es weniger vehement. Lässt man das Desire S auf dem Tisch liegen und jemand ruft an, reicht es, das Gerät umzudrehen, um das Läuten stumm zu schalten. Telefoniert man gerade und legt das Handy mit dem Display nach unten auf den Tisch, glaubt das Desire S, ein Konferenzgespräch wird erwünscht und schaltet den Lautsprecher ein.

Tastatur-Absurditäten

Zu HTCs Anpassungen zählt aber auch das Keyboard. Im Test offenbarte sich ein zugegeben spezielles Problem damit. Unter den Symbolen ist bei Android üblicherweise der vertikale Balken "|" verfügbar. Bei der HTC-Tastatur gibt es aber nur die Abwandlung mit Unterbrechung "¦". Das führte im Test dazu, dass ein Passwort nicht akzeptiert wurde, das eigentlich ein "|" statt des "¦" benötigt hätte. Mit der Installation einer alternativen Tastatur (einer der Vorzüge von Android im Vergleich zu anderen Plattformen) ließ sich das leicht beheben. Blöd wird es aber, wenn das eigene Google-Konto das Sonderzeichen benötigt, womit man keinen Zugriff auf den Android Market und damit auch nicht auf die alternative Tastatur erhält.

Im Rundum-Sorglos-Paket von HTC ist auch eine Navigations-Software enthalten. Sie ist allerdings nur für die ersten 30 Tage kostenlos. Von den Funktionen her wird hier die übliche Kost geboten. Der Vorteil im Vergleich zum kostenlosen Pendant von Google Maps: Die Karten können auf das Gerät heruntergeladen werden. Das Macht das Desire S auch im Ausland und ohne Roaming-Gebühren zu einem Navi-Ersatz fürs Auto.

Klangverschlimmbesserung

Weiters gibt es noch einen brauchbaren Musik-Player, der beim Desire S auch über eine Klangverbesserung verfügt. Die darin enthaltene SRS-Funktion ist offenbar darauf ausgelegt, den eher blechernen Klang der mitgelieferten Kopfhörer auszugleichen und deren kaum vorhandene Bässe aufzupolieren. Bei besseren Kopfhörern mutiert Musik mit aktivierter Klangverbesserung aber zu einem dumpfen Wummern. Und HTC dürfte unsere Testberichte ihrer Handys nicht aufmerksam lesen. Beziehungsweise sich nicht daran stören, dass DiePresse.com schon seit etlichen HTC-Modellen darauf hinweist, dass das Mikrofon einer Freisprecheinrichtung wenig Sinn macht, wenn es auf Höhe des Brustbeins baumelt.

Kameras vorn und hinten

Bei der Kamera bleibt HTC in seiner gewohnten Form. Die ist aber nicht allzu spektakulär. Mit fünf Megapixel ist die Auflösung in Ordnung, die Bildqualität könnte aber besser sein. Dafür bietet HTC brauchbare Funktionen wie Touch-Fokus für Fotos und während Videoaufnahmen und zahlreiche Einstellmöglichkeiten. Der Weißabgleich ist deutlich treffsicherer als etwa bei der Kamera des Nexus S, das auch über einen 5-Megapixel-Sensor verfügt. Bei guten Lichtverhältnissen macht das Desire S brauchbare, wenn auch etwas knallfarbene Bilder. Wird es dünkler, kommt der LED-Blitz zum Einsatz.

Die Frontkamera reicht für Videotelefonie, mehr aber auch nicht. Wer unbedingt jederzeit wissen will, wie man gerade aussieht, kann mit einer eigenen "Spiegel"-App sein Konterfei genau studieren oder das Makeup (sofern vorhanden) nachziehen.

Fazit: Gelungenes Facelift - aber mehr nicht

Das Desire S ist kein Meilenstein. Es kann alles, was sein Vorgänger konnte, nur eben eine Spur besser. Vieles davon geht aber auf das Konto von Android 2.3 und HTCs immer weiter fortschreitenden Eigenanpassungen daran. Wenn für das alte Desire voraussichtlich im Juni ein Update auf "Gingerbread" erscheint, gibt es kaum Gründe für einen Umstieg. Eins ist aber klar: Das Desire S ist deutlich hübscher geworden. Vielleicht steht ja S für "schön", für "schneller" steht es nämlich nicht unbedingt. In grafisch aufwendigen Spielen macht sich der flottere Grafikprozessor bemerkbar, sonst kaum. Die flottere 3G-Verbindung hängt zu stark von den Netzbetreibern ab, um im Alltag schlagend zu werden.

Das Desire S ist also mehr eine Evolution als eine Neuerfindung des Verkaufsschlager. Was durchaus positiv zu sehen ist, denn die Veränderungen und Anpassungen der Software machen großteils auch Sinn. Wenn allerdings die Konkurrenz derzeit auf Doppelkern-Prozessoren umsteigt, wie etwa LG mit dem Optimus 2X und demnächst Samsung mit dem Galaxy S2, kann das Desire S hier nicht mithalten. Hier soll aber ein anderes HTC-Topmodell bald kommen, das in den Gerüchteküchen wahlweise "Pyramid" oder "Sensation" genannt wird.

Was bleibt, ist ein solides Android-Smartphone, das HTC als Lifestyle-Accessoire ausgelegt hat. Die "neue Mittelklasse" der Taiwanesen ist somit ein brauchbarer Nachfolger des Desire, aber kein überragender. Allerdings zeugt das Desire S von Selbstbewusstsein. HTC weiß, dass sein erstes Desire ein Erfolg war. Deshalb wird hier gar nicht erst versucht, andere zu übertrumpfen. Aber immerhin: Die Schönheitsoperation war erfolgreich. Hübscher ist es zumindest. Die 489 Euro unverbindliche Preisempfehlung für ein vertragsfreies Gerät sind dann aber doch etwas viel für ein ein Jahr altes Gerät mit neuem Outfit.

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