Cartier-Bresson: "Kamera als Waffe"

CartierBresson Kamera Waffe
CartierBresson Kamera Waffe(c) EPA (Centre Georges Pompidou-Metz / H)
  • Drucken

Schönheit und Politik: Eine bemerkenswerte Auswahl von 214 Reportage-Fotografien des französischen Meisters Henri Cartier-Bresson ist in einer Ausstellung im Kunsthaus Wien zu sehen.

Er war knapp 30 Jahre alt, und gerade hatte seine Karriere als Fotograf mit Ausstellungen in New York und Madrid begonnen. Da wurde Henri Cartier-Bresson 1940 von den Deutschen gefangen genommen. Zweimal misslang ihm die Flucht, beim dritten Versuch schaffte er 1943 den Weg in die Freiheit. In Paris porträtierte er dann berühmte Maler und dokumentierte nach Kriegsende die Befreiung der französischen Hauptstadt.

Zur selben Zeit bereitete das Moma in New York eine große, posthume Retrospektive seiner Fotografien vor – man glaubte, er wäre im Krieg gestorben. Statt der Gedenkausstellung entstand dann in enger Zusammenarbeit mit dem Fotografen die erste große Werkausstellung. Aber obwohl Cartier-Bresson große Anerkennung in der Kunstszene erhielt, entschied er sich für die Welt des Fotojournalismus. Nach seiner Kriegsgefangenschaft, in seinem „zweiten Leben“, wie er es nannte, sei diese Entscheidung von dem Entschluss, dem Faschismus mit „der Kamera als Waffe entgegenzutreten“, getragen gewesen, erklärte die Cartier-Bresson-Kennerin Andrea Holzherr auf der Pressekonferenz im Kunsthaus Wien.

Dort ist jetzt eine bemerkenswerte Auswahl von 214 Reportage-Fotografien zu sehen, die Cartier-Bresson im Laufe von fünf Jahrzehnten in den USA, Indien und der Sowjetunion aufgenommen hat. Seine Reisen, das wird hier deutlich, waren nie jene Hop-on-and-off-Touren, denen das mittlerweile reichlich verstaubte Kunsthaus seine Besucher verdankt. Er verbrachte meist mehrere Monate in den Ländern, seine Bilder zeugen davon, wie sehr sein Blick auf die Welt politisch geprägt war.

Schon 1948 war Cartier-Bresson das erste Mal nach Indien gereist. Der Subkontinent sei für Cartier-Bresson ein Land der Hoffnung gewesen, er sei fasziniert gewesen von Gandhi, erklärt Marco Bischof, Präsident der Magnum Foundation Frankreich: Cartier-Bresson sei immer ein enorm politischer Mensch gewesen, dessen Reisen nicht einer bezaubernden Landschaft galten, sondern im Zusammenhang mit den politischen Verhältnissen standen.

Fast ausschließlich mit Tageslicht

Genau dieser Aspekt macht auch die Faszination jeder der ausgestellten Fotografien aus. Sicher, die Bildkompositionen sind perfekt, die Hell-dunkel-Kontraste lassen jede Fotografie zu einem kleinen Meisterwerk werden, die Linienführungen und meist geometrischen Bildaufbauten betonen das Bildmotiv über den erzählten Moment hinaus. Auch technisch sind die Fotografien perfekt, nachträgliche Korrekturen über die Wahl des Ausschnitts vermied er, fotografierte fast ausschließlich mit Tageslicht und nur in Schwarz-Weiß. Aber vor allem ist jedes dieser Bilder getragen vom Interesse an den Lebensbedingungen der Menschen, vom Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft.

Schon 1937 fiel er mit seiner außergewöhnlichen Bildserie der Krönung von George VI. in London auf. Denn der Fabrikantensohn hatte nicht den Prunk und Pomp, sondern die ermüdeten Schaulustigen in den Blick gerückt. Nach seiner Kriegsgefangenschaft perfektionierte er diesen Fokus, manchmal sozialkritisch wie vor allem in den USA-Bildern, manchmal höchst malerisch wie bei den indischen Frauen, die ihre Saris in der Sonne ausbreiten, oder humorvoll-präzise wie bei einer Aufnahme aus Leningrad am 9.Mai 1973: Eine schier endlos scheinende Reihe von Soldaten steht im Gedenken an den Sieg über die Nazis stramm – und dazwischen schaut vorwitzig ein kleines Mädchen heraus.

Es ist dieses Gespür für den entscheidenden Augenblick, der Cartier-Bresson den Beinamen „das Auge des Jahrhunderts“ einbrachte. Immer wieder sucht er die Folgen politischer Prozesse im Leben der Menschen, zeigt die Strenge des Systems oder die Kontraste der Gesellschaftsschichten mit bildlichen Mitteln, die Armut in der UdSSR, aber auch in den USA, die Lebenslust neben der Erschöpfung– und in allem eine tiefe Schönheit, die jetzt im engen Kunsthaus Wien den Blick auf Reisen schickt.

„Der Kompass im Auge: Amerika–Indien–Sowjetunion“, bis 26.Februar, täglich 10–19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.