Untreue-Judikatur verschärft: "Müssen mit dem Risiko leben"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Rechtsprechung hat die Strafbarkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens in letzter Zeit erweitert, viele Manager sind verunsichert. Experten rufen zur Zurückhaltung beim Einsatz des Strafrechts auf.

Wien. Spektakuläre Wirtschaftsprozesse laufen in Serie vor den Augen der Öffentlichkeit ab: Allein in der Causa Telekom hat die Justiz vor einer Woche nach hauseigener Zählung Verfahren Nr. IV in erster Instanz erledigt. Die verschärfte Gangart der Justiz wirft bei Managern landauf landab die Frage auf, ob sie sich mit ihren Entscheidungen strafbar machen, auch dann, wenn – anders als im Fall Telekom – von einer verboten großen Nähe zur Politik keine Spur ist.

„Die Manager müssen mit dem Risiko der Strafbarkeit leben“, sagte Helmut Fuchs, Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, vorige Woche beim 8. Wiener Symposium zum Wirtschafts- und Finanzstrafrecht (Veranstalter: Deloitte, Uni Wien, Transparency International). Praktiker aus Anwaltschaft und Wirtschaftsprüfung bestätigen unisono, wie stark die Angst vor dem Untreue-Vorwurf im Alltag präsent ist.

Nicht ohne Grund: Der Oberste Gerichtshof hat die Judikatur zur Untreue verschärft. Gesetzlich verboten – und im schlimmsten Fall mit Freiheitsstrafe bis zehn Jahre bedroht – ist es, eine Vertretungsmacht (z.B. als Geschäftsführer, Prokurist) pflichtwidrig einzusetzen und dabei dem Machtgeber einen vermögenswerten Nachteil zuzufügen. Während der Missbrauch der Vertretungsmacht wissentlich erfolgen muss – der Täter muss sich der Pflichtwidrigkeit bewusst sein –, genügt für die Schädigung „Eventualvorsatz“: Der Täter hält den Schaden ernstlich für möglich und findet sich damit ab.

„Unvertretbare Kreditvergabe“

Und worin besteht die Verschärfung? Der OGH hielt 2012 in seiner Entscheidung zur Pleite-Fluglinie „Styrian Spirit“ fest, dass der Befugnismissbrauch unabhängig von allen gesetzlichen und sonstigen Regeln einfach in einer „wirtschaftlich unvertretbaren Kreditvergabe“ bestehen kann (11 Os 19/12x). „Das ist eine Ausweitung“, sagte Anwalt Wolfgang Höller (Schönherr Rechtsanwälte), „hier ist Vorsicht geboten.“ Betroffen sind nicht nur Bankkredite (hier der Hypo Alpe Adria), sondern beispielsweise auch konzerninterne Darlehen.

Auch den Schadensbegriff hat der OGH ausgedehnt: Es genügt eine bloße Vermögensgefährdung dergestalt, dass dem Schuldner bei der Kreditvergabe Bonität oder Sicherheiten fehlen. „Das ist scharf und heftig“, so Höller. Werden später Sicherheiten nachgereicht oder Zahlungen geleistet, wird bloß der Schaden verringert, das Delikt aber nicht ungeschehen gemacht.

Aus der Judikatur ergibt sich, dass mit dem wissentlichen Befugnismissbrauch nahezu automatisch der Schädigungsvorsatz einhergeht: Wer sich sicher ist, dass er ein unvertretbar hohes Risiko eingeht, wird sich in aller Regel auch damit abfinden, dass der Schaden möglicherweise eintritt. Für einen Täter, der trotz hohen Risikos fest daran glaubt, dass nichts passieren werde, bleibt praktisch kein Raum.

Mögliche Untreue beschränkt sich keineswegs auf die Vergabe von Krediten. Hannes Hofer, als Geschäftsführer der Bundesbeschaffung GmbH für den Einkauf der öffentlichen Hand verantwortlich, beschrieb etwa, wie Entscheidungsträger bei einem Beschaffungsvorgang in die Ziehung kommen können: indem sie bewusst den Bietermarkt oder den Bedarf falsch einschätzen oder die geforderte Leistung so definieren, dass ein Bieter bevorzugt wird. Der Schaden in Form überhöhter Preise ist dann nicht mehr weit weg.

Wenn es passiert ist, schützt dann eine „D&O-Versicherung“ (für Directors & Officers) vor den Kosten der Verteidigung? Anwältin Irene Welser (CHSH) warnte: „Untreue ist ein Wissentlichkeitsdelikt, und nach §152 Versicherungsvertragsgesetz ist die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungfalls nicht gedeckt.“ Untreue ist damit in aller Regel vom Versicherungsschutz ausgenommen.

Strafrechtler Fuchs rief zur Zurückhaltung beim Einsatz des Strafrechts und zur Abkürzung der Verfahren auf. „Schon allein längere Untersuchungen sind für die Beteiligten schädlich, ja häufig vernichtend.“ Ein gewisses Risiko gehöre wesensmäßig zur unternehmerischen Tätigkeit. „Der beste Kaufmann ist derjenige, der ein vertretbares Risiko eingeht, aber nicht der, der gar keines eingeht.“ Wirtschaftliches Fehlverhalten solle daher nur in klar umschriebenen Grenzen mit den Mitteln des Strafrechts aufgeklärt und bestraft werden. „Untreue sollte erst einsetzen, wenn die Zustimmungsrechte anderer Organe umgangen wurden, konkrete interne Verhaltensregeln verletzt wurden oder das Verhalten eindeutig unvertretbar war.“ Unterhalb diese Schwelle könnte wirtschaftlich unvernünftiges Handeln ja noch immer zu einer zivilrechtlichen Haftung führen, sagte Fuchs.

Auch Anwalt Höller will die Sphären des Straf- und des Zivilrechts getrennt wissen: Das Strafrecht solle nicht als Waffe zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche missbraucht werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2013)

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