Die EZB und ihre gewaltigen Kollateralschäden

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Das Anti-Deflationsprogramm der EZB pumpt Blasen auf, kommt aber in der Realwirtschaft nicht an. Wenn die EZB auch noch Hedgefonds mit Insider-Infos bedient, dann ist das ziemlich bedenklich.

Wäre Benoît Coeuré Vorstand einer Aktiengesellschaft, hätte die illustre Runde, die sich vergangenen Montagabend im Londoner Nobelhotel Mandarin Oriental versammelt hatte, eigentlich in Handschellen aus dem Saal geführt werden müssen: Coeuré hatte in einer Rede vor handverlesenen Bankern und Hedgefonds-Managern höchst kursrelevante Informationen preisgegeben – 14 Stunden, bevor die gemeine Öffentlichkeit davon Kenntnis erlangte. Und die erlauchte Schar hatte die exklusive Insiderinformation, wie man an Währungs- und Aktienkursen unschwer ablesen konnte, blitzschnell in flotte Knete verwandelt.

Das nennt man bei börsenotierten Gesellschaften Insiderhandel, und der ist auf der ganzen Welt verboten. In Österreich würden Herrn Coeuré beispielsweise 150.000 Euro Verwaltungsstrafe und den Verwendern der Insiderinformation bis zu fünf Jahre Haft drohen.

Nur: Benoît Coeuré ist nicht Konzernvorstand, sondern Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB). Und für die gelten die Anti-Insiderbestimmungen – beispielsweise die Ad-hoc-Pflicht bei kursrelevanten Informationen – nicht. Ein EZB-Direktor kann also offenbar völlig konsequenzenlos ein paar Hedgefonds-Freunden Informationen zustecken, die ein paar Milliarden Euro wert sind. Bei der Londoner Veranstaltung pikanterweise noch dazu nach der sogenannten „Chatham House Rule“, die besagt, dass die erhaltenen Informationen unbeschränkt verwendet werden dürfen, solange deren Quelle nicht genannt wird.

Wir breiten das hier noch einmal so aus, weil die EZB keine beliebige Bank ist, sondern eine Notenbank, die uns mit ihrem Marktflutungsprogramm gerade ins Zentrum des größten Finanzexperiments, das dieser Kontinent je gesehen hat, stellt. Von der Seriosität und dem Geschick der Euro-Notenbanker wird also nicht unwesentlich abhängen, ob wir bald aus der Krise herausfinden, oder ob das ganze Experiment in einem gewaltigen Knall endet. Und da ist es ziemlich unerheblich, ob Notenbanker unprofessionell oder nur „patschert“ agieren: Ein „Hoppala, das hätte nicht passieren sollen“, wie es jetzt aus Frankfurt tönt, ist eindeutig zu wenig. Vertrauensbildung sieht jedenfalls anders aus.

Das ist schlecht, denn von der Glaubwürdigkeit der EZB hängt in nächster Zeit sehr viel ab. Und sie ist ohnehin schon ein wenig angekratzt, weil das „Wirtschaftsrettungsprogramm“ per Nullzinsen und Staatsanleihenankauf, in dessen Rahmen mehr als eine Billion in die Wirtschaft gepumpt werden sollen, nicht im Sinne der Erfinder funktioniert.

Bisher hat es zwar die gewünschte Inflation erzeugt, aber nicht dort, wo sie gebraucht würde: Enorm gestiegen sind die Preise von Immobilien und Aktien, wenig tut sich in der realen Wirtschaft. Selbst EZB-Chef Mario Draghi hat neulich schon Bedenken über mögliche Gefahren der aktuellen Notenbankpolitik geäußert.

Und die sind sehr real: Die Abermilliarden, die die EZB in die Märkte pumpt, kommen nämlich keineswegs als wachstumsbelebende Investitionskredite in den Unternehmen an, sondern pumpen gewaltige Blasen im Immobilien-, Aktien- und Anleihensektor auf. Wenn die platzen, kracht es im Finanzsystem und in der Realwirtschaft ordentlich.

Weil das Geld nicht in die Realwirtschaft, sondern in Anlagen fließt, sorgt die lockere Hand der EZB auch noch für einen gesellschaftlich höchst problematischen Effekt: Sie setzt eine gewaltige Umverteilungsmaschinerie nach oben in Gang und beschleunigt damit die Vermögenskonzentration.

Als größter Kollateralschaden bleiben dagegen jene übrig, die vorsorgen wollen oder müssen, beispielsweise für die Pension: Negative Realzinsen auf Spareinlagen und Staatsanleihen machen konventionellen Vermögensaufbau so gut wie unmöglich. Versucht man es auf den riskanteren Immobilien- und Aktienmärkten, dann kauft man sich jetzt sehr teuer in durch billiges Notenbankgeld hochmanipulierte Märkte ein – und riskiert, beim Platzen der diversen Blasen Geld zu verlieren.

Eine derartige Situation lässt sich durchaus argumentieren, wenn sie zeitlich begrenzt ist. Daran gibt es aber schon erhebliche Zweifel: Die hohe Verschuldung der Euroländer macht substanzielle Zinserhöhungen praktisch unmöglich – es sei denn, man riskiert eine ganze Reihe von Staatspleiten. Wir werden also noch sehr lange mit künstlich nach unten manipulierten Zinsen leben müssen – mit allen damit verbundenen Problemen.

Womit wir bei einem der Kernprobleme sind: Die Verschuldung ist viel zu hoch. Nicht nur Regierungen, auch Unternehmen stehen in zu hohem Ausmaß in der Kreide. Und das ist wohl einer der Hauptgründe dafür, dass die gigantische Liquiditätsschwemme, die die EZB derzeit erzeugt, so wenig Wirkung in der Wirtschaft zeigt: Wer hohe Schulden hat, ist bei neuen Krediten eben vorsichtig (außer er ist Finanzminister). Und wenn von der Nachfrageseite wenig Impulse kommen, weil die Menschen fast überall in Europa reale Einkommensverluste erleiden, dann sinkt die Bereitschaft, zusätzliches Geld für Investitionen aufzunehmen, noch einmal drastisch.

Diese Entwicklung zeigt jedenfalls, dass Notenbanken das Problem allein nicht lösen können. Bevor es nicht zu einer substanziellen Entschuldung von Staaten und Unternehmen kommt – die durchaus auch über Pleiten zu geschehen hat – wird Geldflut allein das genaue Gegenteil des gewünschten Effekts erreichen. Das trifft besonders auf den noch weitgehend unsanierten Bankensektor in Europa zu.

Da sind aber die Grenzen einer Notenbank erreicht. Hier geht es um die in Politikerreden so häufig genannten, in der politischen Praxis aber fast nirgends sichtbaren „Strukturreformen“. Dies wäre Aufgabe der Wirtschaftspolitik, die das in Europa aber meist nur unter größtem Schmerzensdruck, also knapp vor der Staatspleite, schafft.

Wenn die Politik aber nicht mitspielt, müsste sich eine verantwortungsvolle Notenbank um eine Adaptierung der Behandlungsmethode kümmern. Was derzeit mit dem Anleihenankaufprogramm geschieht, ist ja nur, einen Süchtigen mit immer höheren Narkotika-Dosen ruhigzustellen. Das mag im Augenblick hilfreich sein und den unmittelbaren Zusammenbruch verhindern, schiebt diesen in der Realität aber nur hinaus – und lässt ihn dann umso heftiger zuschlagen.

Das bloße Aufpumpen von Asset-Blasen und das massive Schaufeln von frisch gedrucktem Geld in Richtung Finanzinvestoren ist jedenfalls noch keine vertrauenswürdige Antikrisenmaßnahme. Aktionen wie die eingangs erwähnte in London lassen leider den Schluss zu, dass das einige in der Chefetage im Frankfurter EZB-Turm noch nicht ganz begriffen haben. Dabei ist angesichts der gesamtwirtschaftlichen Lage durchaus Gefahr im Verzug.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2015)

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