Snowden-Affäre: Litauen hält Russland für wahren Übeltäter

Litauen haelt Russland fuer
Litauen haelt Russland fuer(c) Reuters (THOMAS PETER)
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Die US-EU-Spionageaffäre nährt Litauens Vorbehalte gegenüber Moskau. Von US-Seite erwarte man keine Entschuldigung, sondern „Klarheit“.

Vilnius. Eigentlich war alles ganz anders geplant. Nach dem Finish der irischen EU-Präsidentschaft – auf Schiene gebracht wurden in den letzten Junitagen die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, das EU-Budget sowie die Bankenabwicklung – rechneten die nachfolgenden Litauer mit einer sommerlichen Verschnaufpause. Stattdessen beschert die Affäre um den in Moskau gestrandeten US-Spion Edward Snowden dem neuen EU-Vorsitzland die erste Bewährungsprobe. Im Zuge dieser Feuertaufe zeigt sich, dass in der ehemaligen Teilrepublik der UdSSR antirussische Reflexe tief verwurzelt sind.

Aus litauischer Perspektive ist nicht so sehr der Inhalt von Snowdens Vorwürfen relevant – der Ex-Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA hat die gegen Europa gerichteten Spionageaktivitäten der USA enthüllt –, sondern vor allem ihr Zeitpunkt und Ort. Oder wie es die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite formulierte: „Wenn ich derartige Berichte aus Moskau vernehme, bin ich doppelt vorsichtig.“ In Regierungskreisen in Vilnius scheint man die Causa Snowden für einen Versuch russischer Geheimdienste zu halten, die Gespräche über die Schaffung einer transatlantischen Freihandelszone zu torpedieren.

Von US-Seite erwartet sich Grybauskaite keine Entschuldigung, sondern „Klarheit“. Das hat US-Präsident Barack Obama der EU zugesagt – Washington bot in einem an Kommissionschef José Manuel Barroso adressierten Brief Gespräche auf Expertenebene an, die zeitgleich mit dem Beginn der Handelsverhandlungen am Montag starten sollten. Gesprochen wird nun allerdings nur über das Datenklau-Programm „Prism“, nicht über die Spionage-Vorwürfe. Dies hätte Großbritannien, unterstützt von Schweden, verhindert, wie der „Guardian“ berichtete.

In Litauen sieht man die Aufregung um das Ausspionieren der europäischen „Partner“ als Sturm im Wasserglas. „Die Amerikaner tun das bloß, um uns Europäer zu schützen“, sagte ein Regierungsvertreter – um im selben Atemzug auf zwei russische Horchposten hinzuweisen, die in Weißrussland installiert seien und von dort den gesamten litauischen Mobilfunk überwachen sollen.

Scheitert Ostpartnerschaft?

Diese Haltung dürfte den litauischen EU-Vorsitz über weite Strecken prägen. Denn neben der Bewältigung der europäischen Wirtschaftskrise stehen mit der Ostpartnerschaft und der Energiepolitik zwei Punkte mit indirektem Bezug zu Moskau auf der Agenda. Punkt eins betrifft ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, dessen Unterzeichnung im November wackelt. Litauen setzt sich massiv dafür ein. Obwohl diverse Deadlines der EU verstrichen sind, hält Außenminister Linas Linkevičius die Vertragsunterzeichnung noch für machbar. Ohne die Ukraine mit an Bord sei das Scheitern der Ostpartnerschaft besiegelt.

Der zweite Schwerpunkt: Litauen will die Integration der europäischen Strom- und Gasnetze und die prinzipiell beschlossene Trennung zwischen Gaslieferanten und Netzbetreibern forcieren – eine Maßnahme, die sich direkt gegen den russischen Monopolisten Gazprom richtet. Für Vilnius steht viel auf dem Spiel: Das Land ist fast völlig von russischem Erdgas abhängig und zahlt mit rund 500 Euro pro 1000m3 einen Spitzenpreis. Entspannung soll erst Anfang 2015 eintreten, wenn im Ostseehafen Klaipeda ein Flüssiggasterminal seine Arbeit aufnimmt. Bis dahin bleibt Litauen seinem Nachbarn ausgeliefert – wobei Grybauskaite das russische Drohpotenzial für überschaubar hält. „Wir zahlen jetzt schon 30Prozent mehr für Gas als Deutschland. Schlimmer kann es nicht werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2013)

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